Ganz am Ende hängt die Erde in Fetzen am Himmel. Genauer gesagt, nicht sie selbst, sondern eine Mondscheibe, in die ein Bild von ihr projiziert wird, aus dem zwischendurch immer wieder auch das Antlitz der Frau Sonne scheint, die wiederum Elfriede Jelineks dauerglimmende Textstrahlen aussendet. Ein Dreiergespann aus Wissen, Mythen und Interpretationen also, das den quijotischen Kampf ums Überleben der Welt auf einen schillernden Punkt bringt.
Nicht nur die Erde samt ihrer maßlos übergriffigen Bewohner kommt in diesem neuen Sonnentext Elfriede Jelineks schlecht weg, die Sonne selbst erklärt ihre brennende Kraft und Unendlichkeit als planetarisches Selbstzerstörungsprojekt, das wiederum jegliches Kleinmaß der Erdlinge weit unter sich lässt. Im Auge entropischer Unendlichkeit herrschen andere Maßstäbe, als wir sie uns zurechtschneidern könnten. Eine musikalisch-spielerische Melancholie herrscht in Nicolas Stemanns Zürcher Inszenierung von „Sonne, los jetzt!“, der die sechs fantastischen Schauspieler eine feine Humorgrundierung unterlegen, dass man ihr endlos folgen möchte.
Dieses Gastspiel setzte eben mit dieser Art, das Schwere leicht zu machen, einen kongenialen Schlusspunkt zu dem, was Rafael Sanchez eine Woche zuvor mit seiner Kölner Inszenierung von Thomas Melles Diskursstück „Ode“ begann. „Ode“ ist ein so komplexes wie humoristisches Redewerk, das nach den Grenzen der Kunst wie der Kunstkritik überhaupt fragt und dabei im Duell zwischen der woken Sensitivity-Bewegung „Wehr“ und dem wertkonservativen Universalästhetiker „Orlando“ sämtliche Diskurslinien von Cancel Culture über kulturelle Aneignung zu Fragen des Klassismus immer bis zu jenem Schmerzpunkt abschreitet, wo die Positionen in ihr Gegenteil umschlagen.
„Du spielt nicht, du stiehlst!“
„Wir brauchen eine andere Darstellungskunst“, ruft es aus dem Duellanten-Ensemble heraus. In diesem Moment sind die Diskutanten Schauspieler, die deprimiert am Rand einer kleinen Bühne auf der Bühne sitzen, wo sich soeben ihr Kollege Orlando (Benjamin Höppner) die Seele aus dem Leib gespielt hat. Es sollte eine Vergewaltigungsszene sein, weshalb er sich die Kleider herunterriss, den blanken Hintern hinhielt und schließlich mit Putzlappen über den Boden robbte. Natürlich, so der Vollblutmime, spielt er alles, auch eine Vergewaltigte, wenn der dramatische Konflikt es verlangt. Aber die Kollegen schauen nur sprachlos zu: „Faschist“ tropft es giftig aus ihnen heraus, „du spielst nicht, du stiehlst!“

Es war eine der stärksten Szenen in Rafael Sanchez’ Inszenierung, die das Zerren um Moral und den Widerspruch zwischen pathetischem Kunstrealismus und kritisch distanzierter Aufgeklärtheit wunderbar leicht in die Aporie treibt. Diese Doppelbewegung, das Problem einerseits so komplex wie möglich zu halten, den Witz und die spielerische Leichtigkeit dabei aber andererseits nie zu verlieren, zog sich durch das ganze Festival. Umso bemerkenswerter, weil es thematisch gesehen durchaus ein Festival der Finsternis war. Gleich drei Stücke erklärten den Untergang des Planeten immerhin als beschlossen.
Die Wut des „alten, weißen Mannes“
Ariane Kochs Singspiel „Die toten Freunde (Dinosauriermonologe)“ aus Kaiserslautern sprang dafür gleich eine Millionen Jahre vor in eine posthumane Zukunft, wo allerdings auch nur wieder sehr menschliche Probleme verhandelt wurden. Daneben war Kim de l’Horizons Neuerzählung des Märchens „Hänsel & Greta & the big bad Witch“ aus Bern in seiner sprachschöpferischen Abgedrehtheit schon wieder ein Ereignis. Warum die Weltretterin Greta darin vor allem schmollt und worum es der gar nicht bösen Hexe mit ihren „13 Übungen zur Weltrettung“ eigentlich geht, wird nicht klar. Das Resilienz-Prinzip „Flechte“ spielt zumindest eine bedeutende Rolle und mit ihm der Aufruf zu multiplen Symbiose-Bildungen. Die transparente spielerische Umsetzung des in alle Richtungen offenen Werks aus Musik, Verkleidungsparty, Erzählung und Zuschaueragitation aber ließ alle Fragen klein werden.




