Man könnte es einen Countdown nennen, auf den ganz Deutschland sorgenvoll blickt. Die Tage vom 20. und 21. Juli 2022 sind damit gemeint. Das ist das Datum, das zeigen wird, ob Wladimir Putin sich tatsächlich dazu entschließt, Deutschland den Gashahn zuzudrehen und den Konflikt zwischen Russland und der Europäischen Union um eine weitere Stufe eskalieren zu lassen. Ganz klar: Putin will explodierende Preise in Europa und eine Destabilisierung in der EU. Er will, dass die Solidarität für die Ukraine schwindet und die Menschen in Europa auf die Straße gehen, um gegen ihre Regierungen zu protestieren. Die Gas-Drosselung ist als Erpressungsmechanismus momentan das schärfste Mittel dafür.
Man hat gestern Abend bei „Markus Lanz“ gesehen, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Grüne, aktuell nichts anderes tut, als sich für das Worst-Case-Szenario, also für den oben beschriebenen Countdown, vorzubereiten. Vermutlich wird auch er in seinem Büro eine tickende Uhr haben, die den 20./21. Juli 2022 als vorläufigen Kulminationspunkt eines krisenhaften Sommers anvisiert. Wird Putin den Gashahn zudrehen oder nicht? Was für Konsequenzen wird das haben? Und ist Deutschland darauf vorbereitet, alternative Energiequellen zu finden und die Verluste auszugleichen?
Robert Habeck: Es gibt Maßnahmen, um die Gasverbräuche zu reduzieren
Robert Habeck war bei „Markus Lanz“ zu Gast, um den Menschen die Sorgen zu nehmen. Er betonte immer wieder, dass die deutsche Politik nicht paralysiert sei, sondern auf jede russische Aktion mit einer Gegenhandlung reagieren könne. Am 20./21. Juli 2022 wird das Gas weiterfließen, deutsche Haushalte werden mit Gas kochen können, egal was passiert. Das oberste Ziel für den Sommer sei es aber, die Gasspeicher aufzufüllen und sich für den Winter vorzubereiten, so Habeck. Und genau das könnte schwierig werden, wenn Putin sich dazu entschließt, die Gaslieferungen über Nord Stream 1 einzustellen.
Robert Habeck sprach davon, dass die Bundesregierung alles dafür tut, die Speicher bis zum Winter vollzukriegen. Die ersten Maßnahmen seien erfolgreich, man sei jetzt auf einem Stand von circa 62,5 Prozent. Robert Habeck lobte die deutsche Bevölkerung, die auf seine Werbekampagnen zum Gassparen positiv reagieren würde und sich Mühe gebe, sparsam mit Energie umzugehen.
Auch Schwimmbäder würden sich beteiligen und Energiekosten sparen. Doch Markus Lanz wollte es genauer wissen. Er wollte wissen, was passiert, wenn Putin seine Drohungen am 20./ 21. Juli wirklich wahr macht. Er wollte plakative Szenarien hören. Würde es zu einer Gastriage kommen, würden Verbraucher auf Gaslieferungen verzichten müssen? Habeck: „Nein, dazu kommt es nicht.“ Und dann weiter: „Ich habe es ja schon gesagt, wir sind dann noch mitten im Sommer. (...) Es gibt weitere Möglichkeiten, die Gasverbräuche in Deutschland zu reduzieren. Es gibt gesetzliche Möglichkeiten, die Dinge zu regeln.“
Der Countdown läuft
Hier wurde er schnappatmig, Markus Lanz schmunzelte. Im Raum stand eine Maßnahme, die deutsche Verbraucher dazu zwingen würde, Energie einzusparen. Vielen Deutschen dürfte heute gar nicht bewusst sein, dass die Regierung über solche Möglichkeiten bald verfügen könnte. Robert Habeck sprach vom Energiesicherungsgesetz, einem sehr scharfen Gesetz, das die Regierung nur mit großer Vorsicht anwenden darf. Am Freitag soll es den Bundestag und den Bundesrat passieren. Auf der Seite des Bundestags heißt es: „Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, soll die Möglichkeit einer Treuhandverwaltung über Unternehmen der kritischen Infrastruktur und als Ultima Ratio auch die Möglichkeit einer Enteignung geschaffen werden. Des Weiteren ist im Entwurf die Möglichkeit für Preisanpassungen bei verminderten Gasimporten und großen Preissprüngen vorgesehen.“
Das Gesetz soll unter anderem die Rettung von angeschlagenen Versorgern in der Gaskrise möglich machen. Zudem wird mit dem Gesetz die Regierung ermächtigt, eine schnelle Weitergabe der rasant gestiegenen Preise über ein Umlageverfahren zu erlauben. In erster Instanz müssten Unternehmen auf Gaslieferungen verzichten. Aber auch für private Haushalte könnte es Konsequenzen geben. Bei Reuters heißt es dazu: „Die Bundesregierung bekommt mit dem Gesetz auch freie Hand, etwa niedrigere Raumtemperaturen zum Energiesparen vorzugeben.“ Das hieße: In Berliner Häusern könnte es im Winter kälter werden, wenn wir nicht genug Energie sparen und Putin uns den Gashahn zudreht. Außerdem wird es teuer werden. Mit anderen Worten: Der Countdown läuft.
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