Gaming-Event

Pokémon GO Fest in Berlin: Taschenmonster bevölkern den Britzer Garten

40.000 Menschen aus der ganzen Welt trafen sich an diesem Wochenende im Britzer Garten. Sie wollten mehr als nur digitale Tierchen fangen.

Ein aufblasbares Relaxo auf dem Östlichen See
Ein aufblasbares Relaxo auf dem Östlichen SeeManuel Genolet

„Sorry, aber damit kann ich nichts anfangen“, sagt Andreas aus der Schweiz. Der kleine Lukasz aus Polen ist traurig. Er wollte mit Andreas ein Venuflibis tauschen, ein seltenes Pflanzen-Pokémon, das es nur im Südosten der USA und auf den Bahamas gibt. Doch Lukasz hat nichts anzubieten, das Andreas braucht. Der Deal kommt nicht zustande. Amanda aus Chicago kann das vom Nebentisch aus nicht mitansehen. „Komm Lukasz, gib mir irgendwas. Meine gute Tat des Tages.“ Lukasz kann sein Glück kaum fassen, auch der Papa strahlt.

Lukasz und sein Vater sind aus Warschau angereist, für das Pokémon GO Fest, das am Wochenende im Britzer Garten in Berlin, am westlichen Rand von Neukölln stattfand. Nach zwei Jahren Corona-Pause trafen sich hier zum ersten Mal wieder Spieler von Pokémon GO, die auch Trainer genannt werden, zu einem großen Live-Event. 40.000 Menschen erwarteten die Veranstalter insgesamt. Die Trainer reisten aus der ganzen Welt dafür an, nur 40 Prozent von ihnen kamen aus Deutschland.

20.000 Teilnehmer waren allein am Samstag hier und ließen sich von der knallenden Sonne nicht beirren. Viele sind verkleidet oder in den Farben ihres Teams erschienen. Als Trainer muss man sich irgendwann zwischen Weisheit (blau), Mut (rot) und Intuition (gelb) entscheiden, erstaunlicherweise scheinen heute im Britzer Garten die Freunde der Intuition in der Überzahl zu sein.

Sechs Milliarden Dollar Umsatz seit dem Start

Seit Pokémon GO nach seiner Veröffentlichung 2016 einen großen Hype auslöste, ist es aus der Wahrnehmung der meisten Menschen wieder verschwunden. Doch der Schein trügt. Der Titel ist bis heute das erfolgreichste Augmented-Reality-Spiel aller Zeiten und hat bislang einen Umsatz von über sechs Milliarden US-Dollar generiert. Noch immer laufen auf der ganzen Welt über 150 Millionen Menschen regelmäßig mit ihren Handys durch die Welt und fangen kleine digitale Monster.

Sie alle zu fangen, das ist der große Reiz am Spiel und das wissen die Entwickler der Firma Niantic natürlich sehr genau. Immer wieder kommen neue Pokémon heraus, oder besondere Versionen bekannter Exemplare. „Shiny“ Pokémon haben eine andere Farbe und tauchen nur extrem selten auf, deshalb sind viele von ihnen hier am Tauschstand des GO Fest begehrte Ware.

Tamara aus Köln hält nach einem Relicanth Ausschau, den es nur in Neuseeland gibt. Andreas hat einen und interessiert sich für ihre Shiny Roserade, der Berliner Himmel hat die beiden zusammengebracht. Doch dann die Ernüchterung. Andreas hat heute schon sein Tauschlimit ausgereizt, nichts geht mehr. Der nächste Mitleidseinsatz für Amanda. Doch sie kann nichts versprechen, da ist noch was in der Schwebe, auch die Amerikanerin kann nur noch einmal tauschen. Das muss erst geklärt werden, die beiden wollen gleich wiederkommen.

Ein Mitglied von „Team Intuition“ macht ein Selfie mit Team-Leader Spark.
Ein Mitglied von „Team Intuition“ macht ein Selfie mit Team-Leader Spark.Manuel Genolet

Die Tauschbörse ist nicht der einzige Hotspot im Britzer Garten, der 1985 für die Bundesgartenschau angelegt wurde. Vier Sonderzonen haben die Organisatoren angelegt: Die windige Küste, den elektrischen Garten, die lebendige Wiese und das geschmolzene Gestein, sie sind vom Park inspiriert. In diesen Zonen tauchen nun unterschiedliche Pokémon auf, und manche speziellen Herausforderungen, die Spieler mit ihrem Ticket absolvieren können, müssen in diesen Zonen erledigt werden. So erkunden die Besucher automatisch das gesamte Areal. Das passt zum generellen Konzept von Pokémon GO.

„Im Kern des Spiels stehen für uns drei Dinge“, erklärt Philip Marz von Niantic. „Die Welt entdecken, sich bewegen und andere Menschen kennenlernen“. Was nach Marketing klingt, funktioniert bei Pokémon GO tatsächlich, vielleicht ist der Erfolg des Spiels auch deshalb bis heute ungebrochen. Amanda und Andreas von der Tauschbörse haben sich in der Schweiz auf der Straße beim Spielen kennengelernt, heute arbeiten die beiden zusammen.

Jahreskartenbesitzer sind verwirrt

Das Publikum im Britzer Garten ist heterogen, es tummeln sich junge Frauen mit Baby im Tragetuch neben Kindern im Vorschulalter und japanischen Rentnern. Mitunter mutet es etwas surreal an, dass bei einem Massenevent der Großteil der Besucher fast durchgehend aufs Handy schaut. Doch es gibt durchaus Momente der Begegnung: Autogrammstunden mit YouTubern und Influencern, Live-Kämpfe, Fototermine mit Pikachu oder Evoli und natürlich organisierte Treffen von Trainern, die manchmal seit Jahren digital vernetzt sind und sich nun zum ersten Mal in der Realität sehen.

Schlange stehen für das Foto mit Pikachu
Schlange stehen für das Foto mit PikachuManuel Genolet

Tamara aus Köln wartet geduldig auf ihren Relicanth, nach einer halben Stunde gibt sie die Hoffnung auf. Und tatsächlich, Andreas schreibt, dass es leider nicht klappt. Sie packt die Powerbank in ihre Tasche, da klingelt plötzlich das Handy. Andreas hat alles falsch verstanden, die beiden sind auf dem Weg. Ein paar Minuten später steht Amanda, mit ihren Ohrringen, die dem Stahl-Pokémon Meltan nachempfunden sind, vor der strahlenden Tamara, die den seltenen Fisch in Empfang nimmt. Darauf hat sie vier Jahre lang gewartet, seit das Pokémon zum ersten Mal im Spiel aufgetaucht ist.

Auch ein paar andere Parkgänger haben sich in den Britzer Garten verirrt, wahrscheinlich Jahreskartenbesitzer. Mit großen Augen versuchen diese, meistens älteren, Berliner herauszufinden, was sich hier wohl abspielt. Viele Glücksmomente bleiben ihnen verborgen: seltene Funde, absolvierte Herausforderungen, neue Rekorde. Die Trainer allerdings können die Freuden aus dem Handy endlich mal live teilen. 40.000 Menschen hier, wissen, was sie fühlen.