Konzert

Billie Eilishs Konzert in Berlin: „Sei kein Arschloch!“

Der amerikanische Superstar verzichtete in Berlin auf große Inszenierungen und plädierte für Toleranz – bis es um Abtreibung ging.

Billie Eilish bei ihrem Konzert in Berlin
Billie Eilish bei ihrem Konzert in BerlinMatty Vogel/Live Nation

Da steht sie plötzlich. Wie ein Blitz schlägt sie in die Mercedes Benz Arena ein, entlädt die Spannung im Raum, um sie von nun an mit ihrer Stimme zu leiten. Billie Eilish ist durch eine Luke auf die Bühne gesprungen, wuschelt sich einmal kurz durch die schwarz gefärbten Zöpfe und legt los. „What do you want from me? Why don’t you run from me?” fragt sie in „Bury a friend“ zu treibenden Bässen und die Antwort heißt natürlich: Die Menge nimmt alles, was Billie bereit ist, zu geben.

Die Fans sind ausgehungert. 2020 sagte die Sängerin ihre Tour aufgrund der Pandemie ab, stattdessen nahm sie ein neues Album auf. Wie immer mit ihrem älteren Bruder Finneas, der ihre Songs produziert und die Texte mitschreibt. Billie war erst 14, als die beiden ihren Song „Ocean Eyes“ bei Soundcloud hochluden, seitdem haben die Geschwister sieben Grammys und einen Oscar gewonnen. Ihrem Bruder widmet Billie an diesem Abend den Song „Everything I wanted“, und für einen Moment meint man zumindest erahnen zu können, was diese beiden, die als Kinder von den Eltern zu Hause unterrichtet wurden und mit selbstgemachten Songs aus dem Kinderzimmer zusammen die Welt erobert haben, einander bedeuten müssen. „I had a dream/ Got everything I wanted/ But when I wake up, I see/ You with me/ And you say/ As long as I'm here, no one can hurt you“.

Die Fans sollen sich entspannen

Überhaupt regierte die Liebe an diesem Abend in Berlin, der schon nach wenigen Minuten ausverkauft war. Bei Billie Eilish im Publikum zu stehen, fühlt sich anders an als bei anderen Teenie-Idolen oder Rockstars aller Art. Billies Show ist nicht auf Ekstase ausgelegt. Zwar rastet die Sängerin durchaus zwischendurch auch mal aus, springt, rennt oder lässt den Oberkörper schlaff nach hinten fallen, als wollte sie mit den Zöpfen den Boden berühren. Doch das bewusste Spiel mit dem Publikum scheint ihr beinahe unangenehm zu sein.

Bei ihrer „Happier Than Ever“-Tour gibt es keine Kostümwechsel, keine ausufernden Installationen, keine Pyrotechnik. Ab und zu läuft mal eine Spinne über die LED-Wand hinter der Bühne, schwimmt ein Hai vorbei oder rasen ein paar Autos die Straße entlang. Zwischendurch blitzen hier und da ein paar Laser durch die Halle, einmal kreisen sie die Sängerin ein. Doch meistens steht Billie einfach auf der Bühne und singt, so als wäre sie gerade zufällig hier, ihre wunderbaren Songs, die klingen, als hätte sie sich gerade frisch aus dem Herzen geschnitten.

„Ich liebe euch so sehr. Und jetzt will ich, dass ihr einen Menschen anschaut, mit dem ihr gekommen seid, ihn umarmt und ihm die Hand gebt“, fordert Billie irgendwann das Publikum auf. Sie bittet die knapp 14.000 Fans, ihre Augen zu schließen, sich zu entspannen, alles auszublenden, was belastet. Ihre drei Regeln für den Abend: 1. „Sei kein Arschloch“, 2. „Verurteile niemanden hier drin“, 3. „Hab Spaß, bitch!“.

„Die deprimierende Scheiße, die Frauen in den USA gerade erleben müssen“

Das Berliner Publikum gehorchte, ließ sich fallen in das sichere Netz, das die Sängerin unter ihnen aufgespannt hatte, indem sie von Anfang an ausstrahlte: Schickschnack ist nicht mein Ding, ich mache euch nichts vor,  ich bin eine von euch. Vielleicht auch deshalb flossen nur wenige Tränen an diesem Abend, und es war kaum die Verzweiflung unerfüllter Liebe zu spüren, die bei Events in dieser Größenordnung sonst in brutaler Drängelei oder Zusammenbrüchen kulminiert. „Your songs make me feel hugged“ steht auf einem Plakat.

Dass die heile Konzertwelt nicht Realitätsverlust bedeutet, machte Billie dann aber deutlich, als die Geschwister zum Akustik-Set ansetzten. Sie erinnerte an „die deprimierende Scheiße, die Frauen in den USA gerade erleben müssen“ und meinte damit natürlich die Entscheidung des Supreme Court, das nationale Recht auf Schwangerschaftsabbrüche zu kippen. Es folgte der Song „Your Power“: „Try not to abuse your power/ I know we didn’t choose to change/ You might not wanna lose your power/ But having it’s so strange.“

Auch in dem bisher unveröffentlichten Song „TV“ war das Thema präsent: „The internet’s gone wild watching movie stars on trial/ While they’re overturning Roe v. Wade.“ Das Internet ist mit Johnny Depp und Amber Heard beschäftigt, während Roe v. Wade aufgehoben wird. Am Ende flüstert die Sängerin „Maybe I’m the problem“ und lässt auch das Publikum die Frage mehrmals wiederholen. Hinterfragen, ohne zu verurteilen, auch sich selbst. Das ist der Markenkern von Billie Eilish. Ihre Fans lieben sie dafür. Auch in Berlin.