Der ukrainischen Luftabwehr drohen innerhalb weniger Wochen die Raketen und die Munition auszugehen. Dies geht aus einem offenbar geleakten Pentagon-Dokument von Februar hervor, wie die New York Times und der Guardian übereinstimmend berichten. Amerikanische Beamte versuchen derweil herauszufinden, wie die Dateien an die Öffentlichkeit gelangen konnten. Sind sie authentisch, die Informationen zutreffend, könnte sich den Kriegsverlauf ändern.
In einem der Dokumente, das auf den 23. Februar datiert und als „geheim“ gekennzeichnet ist, wird detailliert dargelegt, wie die ukrainischen S-300-Luftabwehrsysteme aus der Sowjetzeit bei der derzeitigen Nutzungsrate bis zum 2. Mai erschöpft sein würden. Möglicherweise hat sich die Nutzugsrate seitdem aber geändert. Laut New York Times könnten die ukrainischen Buk-Luftabwehrsysteme, auf die sich die Ukraine zusammen mit den S-300-Systemen verlässt, um lebenswichtige Standorte vor der russischen Luftwaffe zu schützen, bis Mitte April in Schwierigkeiten geraten, und die Luftabwehr zum Schutz der Truppen an der Frontlinie könnte bis zum 23. Mai praktisch nicht mehr vorhanden sein. Die Tatsache, dass russische Kampfjets und Bomber mehr Möglichkeiten haben, die ukrainischen Streitkräfte anzugreifen, könnte sich für Kiew als große Herausforderung erweisen, berichtete die Times unter Berufung auf hochrangige Militärs.
Bis jetzt ist allerdings nicht klar, ob die Pentagon-Papiere echt sind. Das Pentagon erklärte am Sonntag, es prüfe die Gültigkeit der fotografierten Dokumente, die „offenbar sensibles und streng geheimes Material“ enthielten.
Sprecher der ukrainischen Luftwaffe fordert Hilfe vom Westen
Oberst Juri Ihnat, ein Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, äußerte sich nicht speziell zu den in den Dokumenten enthaltenen Informationen, erklärte jedoch laut Guardian gegenüber dem Wall Street Journal, dass die Ukraine vor großen Herausforderungen stehe, wenn es darum gehe, die von der Sowjetunion entwickelte Munition für ihre wichtigen S-300- und Buk-Batterien zu finden.
„Wenn wir die Schlacht um den Himmel verlieren, wird das für die Ukraine sehr ernste Folgen haben“, sagte er der Zeitung. „Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, um zu zögern“, sagte er und forderte die westlichen Verbündeten auf, ihre Hilfe zu beschleunigen.
Die ukrainische Führung ist nach einem Bericht des US-Fernsehsenders CNN verärgert wegen der veröffentlichten Geheimdokumente zum russischen Angriffskrieg. Das Land habe daher bereits einige seiner militärischen Pläne geändert, berichtete CNN unter Berufung auf das Umfeld des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
Die Geheimdienste Washingtons durchleuchten auch Verbündete
Ein Dokument zeigt demnach, dass die USA auch Selenskyj ausspioniert hätten. Die Tatsache an sich sei keine Überraschung, aber ukrainische Beamte seien zutiefst frustriert über das Datenleck, schrieb CNN unter Berufung auf eine Selenskyj nahe stehende Person. Nach Berichten zahlreicher US-Medien belegen die Dokumente, wie tief die Geheimdienste Washingtons auch ihre Verbündeten durchleuchten.
Laut CNN konnte die US-Aufklärung zudem Pläne der russischen Seite für Angriffe gegen die von den Nato-Staaten gelieferten Panzer aufdecken. Mehrere US-Medien berichteten, dass Russland wegen der abgefangenen Informationen nun Kommunikationswege ändern könnte, um seine Pläne zu verdecken. US-Stellen befürchten demnach auch, dass Informationsgeber in den russischen Reihen in Gefahr sein könnten.
Abgefangene Informationen auf ukrainischer Seite könnten laut CNN dazu geführt haben, dass die USA dem Land keine Raketen mit größerer Reichweite liefern, um etwa Angriffe Kiews auf russisches Staatsgebiet zu verhindern. Demnach soll Selenskyj laut einem Dokument vorgeschlagen haben, russische Stellungen im Gebiet Rostow zu beschießen. Dabei sollten Drohnen eingesetzt werden.
Einige US-Beamte glauben, dass eine amerikanische Quelle die umfangreichen geheimen Pentagon-Dokumente geleakt hat. Denn viele Dokumente seien nur in den Händen von Amerikanern gewesen, sagte Michael Mulroy, ein ehemaliger hochrangiger Pentagon-Beamter, in einem Interview mit Reuters, auf das sich der Guardian bezieht.
US-Beamte schließen nicht aus, dass prorussische Kräfte hinter Leck stecken
US-Beamte erklärten, die Untersuchung befinde sich noch im Anfangsstadium, und die Verantwortlichen würden nicht ausschließen, dass prorussische Elemente hinter dem Leck steckten, das als eine der schwerwiegendsten Sicherheitsverletzungen seit 2013 gilt. Damals wurden mehr als 700.000 Dokumente, Videos und diplomatische Kabel auf der WikiLeaks-Website veröffentlicht.
Die russische Botschaft in Washington und der Kreml reagierten nicht auf Bitten um eine Stellungnahme.
Nach Bekanntwerden des Lecks hat Reuters mehr als 50 als „geheim“ und „streng geheim“ gekennzeichnete Dokumente untersucht, die erstmals im vergangenen Monat auf Social-Media-Websites wie Discord und 4Cha, auftauchten. Während einige der Dokumente bereits vor Wochen veröffentlicht wurden, berichtete die New York Times am Freitag erstmals über ihre Existenz.
US-Beamte zu Reuters: Dokumente könnten manipuliert sein
Reuters hat die Authentizität der Dokumente nicht unabhängig überprüft. Einige Schätzungen der Verluste auf dem Schlachtfeld in der Ukraine wurden offenbar geändert, um die russischen Verluste zu minimieren.
So berichtete CNN unter Berufung auf ein Dokument, dass während des Krieges bisher 43.000 russische Soldaten getötet worden sein sollen. Auf ukrainischer Seite liege die Zahl der Toten bei 17.500, hieß es. In den manipulierten Versionen der Dokumente, die in russischen Kanälen auftauchten, war Experten zufolge die Zahl der getöteten Russen nur halb so hoch, die Zahl der getöteten Ukraine dagegen höher als in der ursprünglichen Fassung.
Mindestens ein Dokument ist als „nicht klassifiziert“ gekennzeichnet, obwohl es streng geheime Informationen enthält. Einige Dokumente sind mit dem Vermerk „NOFORN“ versehen, was bedeutet, dass sie nicht an ausländische Staatsangehörige weitergegeben werden dürfen.
Zwei US-Beamte erklärten am Sonntag gegenüber Reuters, sie würden nicht ausschließen, dass die Dokumente manipuliert worden seien, um die Ermittler hinsichtlich ihrer Herkunft in die Irre zu führen oder um falsche Informationen zu verbreiten, die den Sicherheitsinteressen der USA schaden könnten.
Das Weiße Haus verweist Fragen an das Pentagon. Das Pentagon hat die Angelegenheit an das Justizministerium weitergeleitet, das eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet hat.
Die geleakten Papiere enthalten auch Informationen zu Israel und Südkorea
Derartige streng gehütete Informationen könnten für die russischen Streitkräfte von großem Nutzen sein, und die Ukraine teilte mit, dass ihr Präsident und hochrangige Sicherheitsbeamte am Freitag zusammenkamen, um Möglichkeiten zur Verhinderung von Informationslecks zu erörtern.




