Pop

Noel Gallagher emanzipiert sich endgültig vom Oasis-Mythos

Noel Gallagher liefert mit „Council Skies“ eine Platte voller Schönheit und Melancholie ab. So ist das neue Album des früheren Kopfs der Britpop-Band Oasis.

Akuter Altmeisterwerksverdacht: Der frühere Kopf der Britpop-Band Oasis, Noel Gallagher
Akuter Altmeisterwerksverdacht: Der frühere Kopf der Britpop-Band Oasis, Noel GallagherMatt Crockett/dpa

Im nächsten Jahr wird „Definitely Maybe“ 30 Jahre alt, das stilbildende Debütalbum der Britpop-Band Oasis, und natürlich wird es eine Jubiläumsedition geben. Aber das ist es dann wohl auch schon. Nach einer großen Feier sieht es nicht aus, und die von den Fans mit unerbittlicher Leidenschaft ersehnte Wiedervereinigung der Band scheint weiter weg denn je, wenn man den aktuellen Beziehungsstatus der notorischen Radaubrüder Noel und Liam Gallagher betrachtet. Was Noel angeht, muss man sich ohnehin fragen, ob das Feiern noch zu seinen bevorzugten Beschäftigungen zählt: Der inzwischen 55-jährige Schöpfer von Songs wie „Cigarettes & Alcohol“ und „Champagne Supernova“ hat seine Ernährung umgestellt und sich das Rauchen abgewöhnt, und es hat seiner Kunst erstaunlicherweise nicht geschadet. Im Gegenteil.

„Council Skies“ heißt sein eben erschienenes neues Album, das vierte seines Projekts Noel Gallagher’s High Flying Birds, und es ist das Beste, was er oder irgendein anderes Oasis-Mitglied veröffentlicht hat, seitdem die Musiker im Jahr 2009 im Unfrieden auseinandergingen. Es ist eine Platte voller Schönheit und Melancholie – und unter akutem Altersmeisterwerksverdacht.

Erstmals tatsächlich begleitet von mindestens einer Band (die ersten drei Alben der High Flying Birds waren eine weitgehende One-Man-Show), wenn nicht gar einem ganzen Orchester, findet Gallaghers seit jeher erstaunliches Gespür für die bittersüße Mini-Symphonie hier etliche ganz erstaunliche neue Varianten. Nüchtern, klar strukturiert und um die nicht zuletzt dem entschlossenen Nichtkönnen seiner Ex-Kollegen geschuldeten Oasis-typischen Dissonanzen und Distorsionen bereinigt, ist das Ganze nah wie nie bei seinem Idol Burt Bacharach (den man, bei genauem Hinsehen, auf dem Cover von „Definitely Maybe“ entdecken konnte): Auf dem eleganten, von einem 70s-Softrock-Vibe durchdrungenen „Pretty Boy“ etwa, das von der Gitarre der Smiths-Legende Johnny Marr angetrieben wird, oder auf dem mit großem Besteck in den Abbey- Road-Studios eingespielten, sonnengeküssten und den sinfonischen Ausdrucksraum waghalsig auslotenden „Open The Door, See What You Find“.

Und dann ist da noch die von somnambuler Zartheit umwehte Ballade „Dead To The World“, zu der man nichts anderes machen kann als niederknien: eine nicht ganz kitschfreie, aber wunderbar kunstvoll hingetupfte Song-Impression von Liebesverlust und Großstadteinsamkeit, von der Gallagher, der Anfang des Jahres bekannt gab, sich nach 23 Jahren von seiner Ehefrau Sara MacDonald getrennt zu haben, behauptet, sie sei autobiografisch. „If love ain’t enough to make it right“, klagt er über dem wohligen Schrammeln seiner akustischen Gitarre, „it’s too bad.“

Ähnlich dem  Drink in der Hand von Hoppers „Nachtfalken“ gelingt es dem geschmeidigen Bass, der Sache Halt und Balance zu geben – ehe sich das warme Flair eines französischen Straßen-Akkordeons über die Szene legt. Was für ein Song! Wenn er es nicht schon wäre, wenn Noel Gallagher nicht schon „Live Forever“, „Wonderwall“, und „Don’t Look Back in Anger“ geschrieben und mit der vielleicht letzten Rockband von grundsätzlicher Bedeutung 80 Millionen Alben verkauft hätte, würde er damit reich und unsterblich werden. Sogar sein Bruder Liam mag „Dead To The World“, tweetete er doch: „Wie kann ein so niederträchtiger kleiner Mann so einen schönen Song schreiben?“

Nein, das wird nichts mehr mit den beiden. Offenbar hat auch Ma Peggy Gallagher inzwischen aufgegeben, die verstrittenen Brüder wieder zur Vernunft und zusammenzubringen. Sie wohnt noch immer im alten Haus der Gallaghers in der Arbeitersiedlung Burnage südlich von Manchester, aus dem sie einst ihren gewalttätigen Trunkenbold von einem Ehemann rauswarf, um mit Putzjobs, aber in Würde und Frieden ihre Jungs alleine großzuziehen. Noel hat lange schon angeboten, ihr ein Schloss in ihrer Heimat Irland zu bauen oder wo auch immer auf der Welt sie es haben will. Sie meinte aber, sie wünsche sich nichts, außer dass er sich mit our kid wieder vertrage, wie Liam bis heute in der Familie heißt.

Auch wenn man sich inzwischen an Noels immer leicht gepressten Gesang gewöhnt hat, so ertappt man sich doch noch immer gelegentlich dabei, sich Liams lennoneskes Genäsel, seinen Swagger, sein fast zur Kunst erhobenes, gedehntes Mancunisch herbeizuhalluzinieren. Wer sich je gefragt hat, was Kraftklub mit der Zeile meinen: „Wenn du mich küsst, schreibt Noel wieder Songs für Liam“, der höre sich die Beatles-Pastiche „Easy Now“ an oder den von einem sommerlichen Bossa-Nova-Feel getragenen Titelsong. Aber die Momente werden weniger.

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Sour Mash
Zur Platte
Noel Gallagher’s High Flying Birds: Council Skies. Sour Mash (Membran), Vinyl LP, 36,99 Euro.

„Council Skies“ ist im Übrigen von einem Buch mit Gemälden des Sheffielder Künstlers Pete McKee inspiriert, und das aus Fotos von Kevin Cummins gestaltete Artwork zeigt Orte aus Gallaghers Kindheit und Jugend. Er sagt, er habe ein very council estate, northern feel verströmen wollen, in Bild und Ton. Wenn Norden auch heißt, dass der Blick klarer und der Horizont weiter ist, dass kein Flirren und kein Gespinst den Blick verstellt und so auch die Seele Perspektive hat, dann hat er es ganz wunderbar getroffen.

Das Album wirke gleich einem Nikotinpflaster für alle, die seit knapp anderthalb Jahrzehnten ohne ihre Lieblingsband auskommen müssten, befand Torsten Groß von Radio eins am vergangenen Freitag im „Soundcheck“. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist der erste Weg raus aus dem Entzug, in eine Welt, in der der Council Sky auch ohne Oasis voller Geigen hängt.