Klassik

Wie Polen die letzte Oper seines Nationalkomponisten in Berlin feiert

Es gleißt und blitzt wie eine Silberkrone: In der Philharmonie präsentiert das Teatr Wielki aus Poznań die letzte Oper von Stanisław Moniuszko.

Der polnische Komponist Stanisław Moniuszko (1819–1872)
Der polnische Komponist Stanisław Moniuszko (1819–1872)Heritage Images/imago

Nichts gegen Moniuszko. Der „Vater der polnischen Nationaloper“ (wegen „Halka“) gilt als Stolz des Landes. Anders als sein Landsmann Frédéric Chopin kehrte er – nach drei Jahren in Berlin – in seine Heimat zurück. Klar, dass in unserer Zeit bei der von Festansprachen begleiteten Aufführung eines großen Bühnenwerkes von ihm die Philharmonie fast voll wird, auch wenn „Paria“ – so der Titel von Stanisław Moniuszkos letzter Oper – 1869 in Warschau recht erfolglos uraufgeführt wurde.

Der Titel bezeichnet die außerhalb des indischen Kastensystems stehenden „Unberührbaren“. Das scheint harmlos, gemeint sind: Geächtete. Wo immer sie im heiligen Hain eines Brahma-Tempels angetroffen werden, können sie getötet werden. Moniouszko, sozialkritisch gesonnen, sah einen Zusammenhang mit der erst wenige Jahre zuvor in Polen abgeschafften Leibeigenschaft. Die Absage der Heldin an die gesellschaftliche Konvention – samt anschließender Verbannung – verstand er als Botschaft des Humanismus. Indien-Exotismus kommt in dem Werk nicht vor.

Ein Meisterwerk mit großem Druck

Die konzertante Aufführung folgt einer preisgekrönten Produktion des Teatr Wielki in Poznań, deren Mitschnitt demnächst auf CD erscheint. Dominik Sutowicz in der Titelrolle hat unvergleichlich schmelzendes Metall im Tenor. Seiner unstandesgemäßen Geliebten (Neala) leiht Iwona Sobotka Spitzentöne, sirrend und erhaben wie fliegende Untertassen. Dem weich timbrierten ukrainischen Bass Volodymyr Tyshkov (Akebar) fehlt es nur untenrum, im Kellergeschoss, an Tönen. Dirigent Jacek Kaspszyk hält die romantischen Geschäfte wundersam fluffig zusammen. Man lernt, das Moniuszko, obwohl er dem Belcanto historisch nahe stand, ein oft besserer Melodiker, immer aber ein weit opulenter Orchestrator war – verglichen mit den berühmteren italienischen Zeitgenossen.

Je weiter es auf 23 Uhr zu geht, desto mehr Zuschauer schienen der Botschaft nicht länger bedürftig. Sie wanderten ab. Der Druck des vielbeschworenen „Meisterwerks“ kann auch belastend werden. Dennoch geschieht es selten, dass einem beim Zuhören die Musik eines Landes, ja das ganze Land, plötzlich wie entschlüsselt vorkommt. So hier. Das Orchester der Posener Oper verfügt über gleißend helle Streicher und hat ein wundersam eisiges Blech parat. Die ganze Armada, ein riesiger Apparat, erscheint so wie eine monumental blitzende Silberkrone. Nie wird das pathetisch, niemals lastend oder pastos. Großartig.

Die Polen wollen wiederkommen. Für den 22.4. nächsten Jahres ist, erneut in der Philharmonie, Moniuszkos beliebteste Oper, „Das Gespensterschloss“ (Straszny Dwór), angekündigt. Nur zu.