Mit ihrer Platte „What’s Your Pleasure“ gelang Jessie Ware 2020 der Durchbruch als große Disco-Queen unserer Zeit. Vergleiche mit Donna Summer und Diana Ross wurden laut. Auf ihrem neuen Album „That! Feels Good!“ feilt Jessie Ware nun weiter an diesem Image. Produziert hat es Stuart Price, der auch schon mit Madonna und den Pet Shop Boys im Studio war. Wir haben bei Jessie Ware in London angerufen, um übers Tanzen zu sprechen.
Frau Ware, Sie sind auch Gastgeberin im Food-Podcast „Table Manners“. Woran erkennen Sie gute oder schlechte Tischmanieren?
Für mich haben gute Tischsitten vor allem damit zu tun, höflich und respektvoll zu sein. Wertschätzend. Und auch beim Abräumen zu helfen – wenn der Gastgeber schon alles gekocht hat. Und natürlich geht es auch um Konversation. Niemand möchte neben jemandem sitzen, der nur Müll redet. Neben jemand Fremdem zu sitzen, ist immer ein Risiko – könnte aber auch das spannendste Gespräch Ihres Lebens bedeuten.
Als gute Gastgeberin wissen Sie dann auch, wen Sie nebeneinander setzen?
Ja, auf einer guten Party braucht man immer mindestens zwei Plaudertaschen, die gut auf Fremde zugehen können.
Apropos Party: Nun kommt Ihr zweites Disco-Album in Folge. Sie hatten niemals vor, den Dancefloor zu verlassen, oder?
Nein, das kam für mich nicht infrage. Ich wollte aber, dass der Tanzboden diesmal ein anderer ist. Nach den Reaktionen auf mein „What’s Your Pleasure?“-Album wollte ich schon weiter Party machen – aber eine andere Art Party.
Inwiefern anders?
Etwas wärmer, farbenprächtiger und mit mehr Soul. Mehr Groove und weniger four-to-the-floor. Aber „Freak Me Now“ und „Free Yourself“ knüpfen trotzdem an meine vorherige LP an.
Guter Punk mit „Free Yourself“: Wovon sollten wir uns denn befreien?
Für mich handelt das Lied von Emanzipation. Ich lasse Raum für Interpretation. Mein Mann würde wahrscheinlich sagen, dass er sich gerne vom Durcheinander befreien würde, das ich hier bei uns im Haus oft hinterlasse. (lacht) Aber vielleicht haben Sie tiefgründigere Ideen.
Von dieser Single gibt es vier Remixe. Nach welchen Kriterien suchen Sie die Remixer aus?
Das geschieht immer in enger Abstimmung mit der Plattenfirma. Die Remixe können unterschiedlichen Zwecken dienen. Mein Wunsch ist immer, dass sie helfen, die Tracks in die Clubs zu tragen. Aber meine Leute vom Label sehen eben auch die Möglichkeiten, die uns ein bestimmter Remix im Radio oder in der Streaming-Welt bescheren kann.
Auch Mel C von den Spice Girls hat den Song für Sie geremixt.
Ja, sie hatte Bock darauf. Sie ist eine Freundin, und ich liebe sie. Als die Spice Girls groß wurden, war ich elf Jahre alt. Diese selbstsicheren Frauen haben mich damals völlig überwältigt. Ich find das extrem toll, dass sie ihre Klappe nicht gehalten haben. Und ich wollte immer solche Klamotten wie Posh Spice tragen.
Jessie Ware im Interview: „Ich hab das Mikro von Madonna benutzt“
Stuart Price hat Ihre neue Platte produziert. Der hat auch schon „Confessions on a Dance Floor“ mit Madonna gemacht. Ist das für Sie eine Referenz? Oder wollten Sie vielleicht sogar absichtlich anders klingen?
Nicht direkt. Aber mir ist schon klar, wie viel diese Madonna-Platte vielen Menschen bedeutet. Und wissen Sie was: Ich habe dasselbe Mikrofon benutzt wie Madonna bei „Confessions“. So nah war ich Madonna wohl noch nie. Ein krasses Teil! Ich meinte zu Stuart: „Hey, meine Stimme klingt damit echt stark.“ Und er dann: „Nun, es ist dasselbe Teil, das schon Madonna bei ‚Confessions‘ hatte.“ Es muss irgendwie verzaubert sein. Obwohl, unter uns gesagt: Bei Tageslicht betrachtet ist es nur ein stinknormales Mikro.
Zum Song „Freak Me Now“: Wie sehr Freak können Sie sein?
Ich bin mir selbst nicht Freak genug. Dazu brauche ich meine Musik! Meine Musik intensiviert meinen Charakter. Darin finde ich Sicherheit. Ich habe wie auf einer Orgie gestöhnt bei „Freak Me Now“. Ich hab meiner Stimme freien Lauf gelassen und hatte sehr viel Spaß dabei.
Jessie Ware im Interview: „Ich würde auch ohne Sie den Flieger nehmen“
Gibt es andere Acts, die Ihre Art zu singen inspirieren?
Speziell bei diesem Song? Mousse T feat. Hot ’n’ Juicy mit „Horny 98“. Diese Art von French House. Auch Róisín Murphy ist stets eine Referenz für mich. De La Soul.
Oft ist von Disco-Diven die Rede. Wie viel Diva steckt in Ihnen?
Ich bin der ungeduldigste Mensch der Welt. Wenn jemand zu spät kommt, werde ich zur Oberdiva. Leute sind dann völlig von der Rolle, da ich ansonsten recht entspannt und spaßig wirke. Aber ich verspreche Ihnen: Ich würde auch ohne Sie den Flieger nehmen, wenn Sie nicht rechtzeitig am Flughafen auftauchen! Oh wei, ganz schön böse von mir, oder?
Kann man wohl sagen. Wie ist das dann, wenn Sie mit einer anderen Disco-Diva zusammentreffen? Sie haben schon auf Kylie Minogues Album gesungen.
Sie war zu Gast bei mir im Podcast. Krasse Sache! Sie wurde von Paparazzi verfolgt. Im Podcast haben wir dann entspannt Fisch gegessen, als sie mir ihr neuestes Album vorgespielt hat: „DISCO“. Als ich sie verabschiedet hab, sagte ich noch: „Wir sollten was zusammen machen.“ Sie meinte, das sehe sie genauso, aber offen gesagt, hätte ich nicht gedacht, dass daraus wirklich mal was wird. Ich zu Kylie: „Dann schreiben wir besser mal einen verdammten Song!“ Ich hab ihr eine Idee geschickt und sie hat weiter dran geschrieben. Ihre Vocals sind phänomenal! Kylie ist ein Arbeitstier! Und zugleich herzallerliebst.
Welche anderen Disco-Sängerinnen inspirieren Sie?
Diana Ross. Chaka Khan. Donna Summer. Teena Marie. Debbie Harry. Grace Jones. Um nur ein paar zu nennen.
Ihre frühen Sachen wurden öfter mit Prince verglichen. Ist das keine Bürde?
Als mein „Tough Love“-Album rauskam, war er noch am Leben. Und er war ein Fan von mir. Wundervoll! Meinem Eindruck nach bin ich seitdem noch besser geworden. Ich wünschte, er könnte auch mein neues Album hören. Ich denke, es würde ihm gefallen. Aber allein schon der Fakt, dass Prince wusste, wer ich bin, fühlt sich für mich fabelhaft an. Meinen Album-Opener „That! Feels Good!“ habe ich für ihn gemacht.
Sie schreiben auch für andere Acts. Woher wissen Sie, ob etwas ein Nicki-Minaj-Song oder ein Ed-Sheeran-Song ist?
Den Nicki-Song hatte ich eigentlich für mich selbst geschrieben. Sie hat ihn gehört und wollte ihn haben. Mit Ed war ich zusammen in einem Zimmer, um etwas zu schreiben. Aber wozu sollte Ed schon Hilfe brauchen? Er ist eine Songwriter-Maschine! Er hätte meine Hilfe nicht gebraucht. Aber ja, ich schreibe gerne auch für andere.
Mit wem würden Sie noch gerne arbeiten?
Liebend gern mit Omar Apollo. Der ist ganz fantastisch. Und ich würde so gerne Charli XCX im Studio treffen. Und Christine and the Queens! Und Lady Gaga am Klavier, wow, das wär toll!
Florence Welch (von Florence + the Machine) und Sie gingen gemeinsam zur Schule, richtig?
Ja, wir sind befreundet. Wir sind beide Süd-Londoner Mädchen.
Ihre Mutter war Sozialarbeiterin, Ihr Vater war Reporter. Beides Berufsgruppen, die viel auf Probleme in der Gesellschaft blicken. Hat das Ihre Sicht der Welt geprägt?
Es hat mich auf jeden Fall darin bestärkt, etwas von Bedeutung zu tun. Etwas Seriöses.
Nichts für ungut, aber so seriös ist eine Disco-Queen ja auch nicht.
(lacht) Ja, da haben Sie wohl recht! Es fühlt sich trotzdem ganz fantastisch an. Ursprünglich dachte ich aber tatsächlich, ich sollte was „Anständiges“ machen: so was wie Jura zu studieren oder Lehrerin zu werden. Vermutlich weil auch meine Eltern sehr passioniert in ihren Berufen waren. Beziehungsweise sind, sie arbeiten mit 70 noch.
Jessie Ware: „Für mich war das kein Lebensplan – aber dann kam alles anders“
Und dann wurden Sie Journalistin.
Ja, mir kam das glamourös und aufregend vor, auch auf eine Deadline hinzuarbeiten. Bis ich gemerkt hab, dass das ganz schön schlaucht und dafür nicht unbedingt so gut bezahlt wird. Aber alle Achtung vor denjenigen, die das machen! Wichtige Arbeit, ganz klar. Dann habe ich mit dem Gedanken gespielt, im Familienrecht zu arbeiten. Und vermutlich würde ich das nun auch tun, wenn ich keine Sängerin geworden wäre.
Wie haben Sie den Mut aufgebracht, dann doch nichts „Anständiges“ zu machen?
Ich habe das am Anfang nicht als Karriere betrachtet. Sondern eher als: Ich probiere mich mal aus, mach Party. Und wenn ich dann irgendwann Anwältin bin, erzähle ich meinen Kindern: Mama war mal kurz ein bisschen famous und auf Tour. Für mich war das kein Lebensplan. Es sollte nur ein Ding für eine Zeitlang sein. Aber dann kam alles anders.
Aber wie ging das konkret los mit der Musik? Sie haben Vocals für SBTRKT gesungen.
Noch davor begann ich als Background-Sängerin für meinen besten Kumpel Jack Peñate. Das war mega! Dann kamen viele Leute auf mich zu: „Du musst mit dem und dem ins Studio.“ Einiges davon wurde auch wahr. Es hat mir geholfen, meine Stimme erst mal anderen Electro-Projekten zu leihen. Dadurch stand ich selbst am Anfang nicht so sehr im Rampenlicht und hatte weniger Druck. Aufregend war es trotzdem.
Und wie kamen Sie zum R&B?
Soul und R&B ist die Musik, mit der ich aufwuchs. „The Miseducation of Lauryn Hill“! D’Angelo! Meine Mama hat zu Hause Dusty Springfield aufgelegt. Auch Stevie Wonder und Aretha Franklin. Ich liebe die Sexyness von R&B und den Groove.
Tanzen Sie denn auch allein zu Hause?
Zu Hause absolut, ja, aber nicht nur allein. Mit meinen drei Kindern mache ich jeden Abend Party, bevor es für sie dann ins Bett geht. Unser Dancefloor ist die Küche. Ach, es gibt nichts Besseres als Tanzen, oder? Das kann selbst einen miesen Tag noch retten.
Jessie Ware: „Meine LP klingt so, wie ich mir eine Berghain-Nacht vorstelle“
Können Sie noch in normale Clubs gehen?
Ja, ich gehe viel in Clubs tanzen. Manchmal brauche ich Security. Letztens war ich in einem queeren Club. Eine krasse Energie! Sowieso verdanke ich der Queer-Community sehr viel. Sie haben mir den Rückhalt gegeben, eine bessere Performerin zu werden. Das Gute: Meistens ist es ja recht dunkel in Clubs, also erkennt man mich auch nicht so leicht.


