Geboren wurde sie in Bahia, die meiste Zeit ihres Lebens verbrachte sie in New York – aber dass die ganze Welt sie als „Girl from Ipanema“ kennt und liebt, verdankt sie letzten Endes ihren europäischen Wurzeln: Die Karriere von Astrud Gilberto, dieser wunderbaren, weltweit verehrten und nun leider verstorbenen Diseuse, war im Grunde ein Missverständnis – wenngleich eines der schönsten der Popgeschichte.
Alles begann im März 1963, als sich der amerikanische Jazzer Stan Getz mit den beiden Brasilianern Antonio Carlos Jobim und João Gilberto in New York traf, um einzuspielen, was später unter dem Albumtitel „Getz/Gilberto“ zum Meilenstein werden sollte. Jobim hatte acht Songs im Gepäck, Gilberto seine Gitarre und seine Frau Astrud Weinert, die polyglotte Tochter eines deutschen Geschäftsmannes, die ihm auf Reisen als Dolmetscherin zur Seite stand. Binnen zwei Tagen waren alle Lieder im Kasten, mit Getz am Saxofon, Jobim am Klavier und João Gilbertos Bossa-Nova-Gitarre, über die er in gutturalem Portugiesisch die Verse des Dichters Vinícius de Moraes sang. Alle bis auf eines: „Garota de Ipanema“, eine entschleunigte Samba von fast surrealer Schönheit und Melancholie.
Deren Text war für das Album – als Zugeständnis an den internationalen Markt – teils ins Englische übertragen worden, was jedoch den guten João, der nichts außer Portugiesisch sprach, komplett überforderte. Was tun? Die verzweifelten Blicke der Musiker trafen schließlich: Gilbertos Frau. Das Mädchen, 22, trat daraufhin zum ersten Mal in seinem Leben hinter ein Mikrofon, hauchte dem Lied jenen erdenfernen Charme ein, der es bis heute zum meistgespielten Popsong nach „Yesterday“ macht – und wurde als Astrud Gilberto zur internationalen Sensation.
Sechs Alben nahm sie in den Sechzigern auf, Songs wie „Água de Beber“ von Antonio Carlos Jobim, „Summer Samba“ von Marcos Valle oder „The Sea Is My Soil“ von Dorival Caymmi machte sie ganz zu ihren und als solche zu unsterblichen Klassikern; und ihre vermutlich aus Unsicherheit geborene Akzentuierung, irgendwo zwischen verführerischer Unschuld und melancholischer Fragilität oszillierend, findet in Künstlerinnen wie Norah Jones und Diana Krall, Tracey Thorn und Mélanie Pain mittlerweile die mindestens dritte Generation an Epigoninnen.

