Sich ein Ticket für die Stadiontour der Arctic Monkeys zu kaufen, ist ja mittlerweile auch ein Spiel mit dem Feuer. Hat die Band sich in den letzten 20 Jahren doch so einige Male neu orientiert – zuletzt mit dem Album „Car“ (2022), das, wie auch der Vorgänger „Tranquility Base Hotel & Casino“ (2018), komplett mit dem eigentlichen Erfolgsrezept der rotzigen Gitarrenrock-Banger bricht. Was ein Konzert-Abend der Arctic Monkeys bereithält, kann hier vorher also keiner so genau wissen.
Vor der Berliner Mercedes-Benz-Arena, deren Multifunktionshallen-Architektur weder zu dem Image der einst so hörenswert-angepissten Britrock-Bubis noch zu dem lasziv-schimmernden Loungesound der heutigen Monkeys so richtig passen will, herrscht am Dienstagabend nach dem langen Mai-Feiertags-Wochenende immer noch ausgelassene, vorfreudige Stimmung. So als wäre das Wochenende noch gar nicht vorbei.
Spätestens als kurz nach 21 Uhr Monkeys-Sänger Alex Turner und seine treu ergebenen Bandkollegen die Bühne betreten, ist klar, dass der Abend für viele in der relativ jungen, hippen Crowd wohl seit Monaten ein fett angestrichenes Kalender-Highlight ist: Lautes Kreischen und filmende Smartphones dominieren den halligen Raum. Turner dankt den Vertrauensvorschuss mit seinen betont coolen Bühnen-Posen und seinem sich schwermütig um die Melodie schraubendem Gesang: „How am I supposed to manage my infallible beliefs?“, fragt Turner im Opener „Sculptures of Anything Goes“ theatral durch die enorm laut aufgedrehten Boxentürme – und schafft so schon im ersten Moment ein bezeichnendes Bild für das Dilemma seiner Band.
Denn: Die Arctic Monkeys haben sich bei ihrer riesigen Fangemeinde einen beinahe unfehlbaren („infallible“) Status erspielt und sich dabei musikalisch in eine Richtung entwickelt, die wohl eher im kleinen Kreuzberger Privatclub funktionieren würde. Doch einen Vorteil hat die große Aufmerksamkeit ja: Die Band (neben Turner selbst: Gitarrist Jamie Cook, Schlagzeuger Matt Helders und Bassist Nick O’Malley) kann es sich leisten, noch vier weitere Musiker mit auf die Bühne zu nehmen, die unter anderem zusätzliche Keys, Gitarre und Percussions beisteuern. Zumindest theoretisch – denn leider verliert sich der Versuch des wohldosierten Arrangierens im Hall der Mehrzweckhalle. Die mittleren Frequenzen, also genau die harmonischen Wegweiser des von Synths angetriebenen ersten Songs, kommen so kaum durch.
Arctic Monkeys in der Berliner Benz-Arena: Moshpit mit Schlagersänger
Doch die Arctic Monkeys haben zum Glück eine Setlist im Gepäck, die nicht allzu sehr versucht, das treu-zahlende Publikum mit dem etwas verkopften Hotelbar-Sound der neueren Alben zu belehren, sondern ihm genug davon gibt, was es von den Monkeys länger schon kennt und liebt. Mit „Brianstorm“, „Crying Lightning“ und „Snap Out of It“ überraschen sie wie aus dem Nichts mit drei absoluten Hits und haben den Saal spätestens jetzt komplett auf ihrer Seite. Bei „Teddy Picker“, dieser so tight-griffigen Tanz-Rock-Nummer vom zweiten Album, stehen auch auf den Rängen fast alle.
Im Innenraum bildet sich ein kleines Moshpit, womit die Band wohl ihr erstes Ziel erreicht hat. Mit „4 Out of 5“ schalten die Rocker erst mal wieder einen Gang runter, wobei Schlagzeuger Matt Helders mit einem treibenderen Beat als auf der Studio-Version den energetischen Drive beibehält. Sein alter Freund und Bandleader Turner fällt allerdings durch den fast schon satirisch-übertriebenen Hochglanz-Charakter des Songs in eine Bühnenperformance, die teils schwer mit anzusehen ist. Wie ein Method-Actor, der nach dem Filmdreh nicht aus seiner Rolle als egozentrischer Schlagersänger herausgefunden hat, bewegt er sich lasziv über die Bühne! Den ruhigeren, intimeren Songs nimmt er so leider die Chance, Authentizität zu entfalten. Zwischen den Songs bemüht er sich gar nicht, mit den Menschen im Raum zu interagieren. Seine obligatorischen „Dankeschöns“ und leicht vernuschelten „What a wonderful audience“-Phrasen wirken da schon etwas bieder.
Doch zum Glück kann er auch auf seinen Fundus an verdammt guten Songs zurückgreifen. So ist das Publikum dankbar über den nächsten Hit-Block, in dem sie Songs aus dem Album „AM“ abfeuern. Dem Album, das sie mit teils über einer Milliarde Streams erneut in die Arenen der Welt katapultiert hatte. Und dieses Album ist auch das einzige, was dort richtig gut funktioniert.
Die eingängigen Song-Gerüste aus prägnanten Drums, schwerem Bass und simpleren Gitarrenmelodien zum Mitgrölen wirken auch in der Mehrzweckhalle emotional greifbar. Als dann jedoch die Nebelmaschine hochgefahren und eine riesige Discokugel von der Decke abgeseilt wird, verliert sich die Band kurz in uninspirierten Vorträgen neuerer Stücke. Verse wie „Baby, I was a little bit too wild in the 70s“ performt Turner so, als würde er tatsächlich wehmütig vom Ende einer großen Karriere singen. Nur hat das ohne das stimmliche Charisma eines Iggy Pop leider gar keine Wirkung.



