Jazz

Louis Armstrong in der DDR: „I’ve Seen the Wall“ zeigt das Private und die Politik

Siebzehn Konzerte hat Louis Armstrong 1965 in der DDR gespielt, als erster Superstar aus dem Westen. Eine Ausstellung in Potsdam beleuchtet dies nun facettenreich. Gelungen?

Louis Armstrong 1965 während seines Auftritts in der Messehalle Leipzig.
Louis Armstrong 1965 während seines Auftritts in der Messehalle Leipzig.VG Bild-Kunst, BONN 2023 /Deutsche Fotothek/Evelyn Richter

Wer in Potsdams Kunsthaus Das Minsk die Ausstellung „I’ve Seen the Wall. Louis Armstrong auf Tour in der DDR 1965“ sehen will, muss erst einmal durch einen goldenen Vorhang schlüpfen; der ist jenem des damaligen Friedrichstadtpalastes nachempfunden, Schauplatz von Armstrongs Auftritten in Ost-Berlin zwischen dem 20. und dem 22. März 1965. Zwar gibt es von dem legendären Konzert nur Schwarz-Weiß-Bilder, doch die Kuratoren, die Minsk-Direktorin Paola Malavassi und der amerikanische Jazzpianist Jason Moran, sind sich sicher: Er muss golden gewesen sein.

Nur wenige Objekte in der Ausstellung sind in Vitrinen vor allzu viel Publikumskontakt sicher verwahrt, so etwa eine originale Armstrong-Trompete. Die Ausstellungsmacher brechen mit der Tradition, anhand von Dokumenten die bereits tausendfach erzählte Geschichte des legendären Blues-Virtuosen zum tausendundersten Mal zu erzählen. Vielmehr legen sie ihren Fokus auf Geschichten, die ein komplexes Bild der Privatperson Louis Armstrong jenseits der Bühne zeichnen. Etwa jene Beziehung Armstrongs zu seiner vierten und letzten Ehefrau Lucille, mit welcher der Musiker von 1942 bis zu seinem Tode 1971 verheiratet war – und die dafür Sorge trug, dass sich das Paar auch unterwegs immer ein Stück Zuhause bewahrte.

Die Ausstellung zeigt auch diesen seltenen, privaten Louis Armstrong, der mit seiner Band scherzt, mit Schere und Papier die Hüllen seiner Tonbänder selbst collagiert und im Ost-Berliner Friedrichstadtpalast nach Show-Ende im Morgenmantel auf der Bühne steht, in welchen er Backstage in vorauseilender Feierabendlaune bereits geschlüpft war, ohne mit dem frenetisch nach noch mehr hungernden Publikum zu rechnen, das knapp vier Jahre nach dem Mauerbau einen Lufthauch der verlorenen Freiheit verspürt haben muss.

Collage von Romare Baerden mit Duke Ellington und Amstrong, ca. 1975
Collage von Romare Baerden mit Duke Ellington und Amstrong, ca. 1975VG Bild-Kunst, Bonn 2023/FOTO: STEVEN BATES

Apropos Backstage: „I’ve Seen the Wall“ will vor allem zeigen, dass sich die Realität nicht auf, sondern hinter der Bühne abspielt; so auch in Armstrongs bürgerrechtsbewegter Heimat, wo er – wie so viele schwarze Künstler – zwar auf der Bühne der gefeierte Star ist, aber den Veranstaltungsort aufgrund der bis 1964 offiziell noch herrschenden Rassentrennung nicht durch den Vordereingang betreten darf. Oder die Ambivalenz, welche in der offiziellen Einladung des Musikers durch die Künstleragentur der DDR klar zutage tritt, die sich hierdurch (wie auch durch andere Gastspiele etwa von amerikanischen Stars wie Paul Robeson, der 1960 als „Sänger des Friedens“ Staatsgast war) kulturelle und politische Aufwertung erhoffte. 

Armstrong ist zu Gast in einer DDR, wo die „Schallplattenunterhalter“ nur vierzig Prozent westliches Repertoire spielen dürfen – aber Armstrong mit einem hundertprozentigen West-Repertoire dennoch hofiert wird wie ein König. Und das zu einer Zeit, als sich der Kalte Krieg auf dem Höhepunkt befindet und der damalige DDR-Staatschef Ulbricht mit seiner Meinung über Jazz als „Affenmusik“ nicht hinter dem Berg hält. Kein Wunder, dass es bis zu dieser so unrealistisch erscheinenden Tournee keine einzige offizielle Louis-Armstrong-Platte im ganzen Land zu kaufen gibt. Dennoch geschieht das fast Undenkbare: Die Tournee von Armstrong durch die DDR wird realisiert.

Louis Armstrong in der DDR: Er gibt sich unpolitisch und legt dann doch nach

Doch auch der Star-Trompeter bleibt von dem hinter dem Eisernen Vorhang üblichen „Maulkorb“ nicht verschont. Filmausschnitte zeigen einen unkomfortabel zwischen allen Stühlen sitzenden Armstrong, der auf der unter politischer Hochspannung stehenden Pressekonferenz zu seiner Tournee der Frage eines West-Berliner Journalisten, ob er sich denn die Mauer ansehen würde, ausweicht, um dann doch Stellung zu beziehen: „I’ve seen the wall, but I don’t worry about the wall. I worry about the audience. I can’t say what I wanna say, but if you’ll accept it, I’ll say it: Forget about all that other bullshit!“ Kurz: Armstrong gibt sich unpolitisch, indem er behauptet, sich nicht für die Mauer, sondern lediglich für sein Publikum zu interessieren, dann aber nachsetzt: „Ich kann nicht sagen, was ich sagen möchte.“

Louis Armstrong im Berliner Friedrichstadtpalast am 20. März 1965
Louis Armstrong im Berliner Friedrichstadtpalast am 20. März 1965Helmut Raddatz/DDR-Fotoerbe

Vor allem wirft die Potsdamer Ausstellung nun auch heute relevante Fragen auf: Was es bedeutet, im Namen der Freiheit repressive Systeme zu besuchen – und wie man mit der geradezu schizophrenen Situation umgeht, wenn einem dabei sowohl Anerkennung als auch Abwertung widerfahren. Während sich im Erdgeschoss der Potsdamer Ausstellung nun (unter Betonung auf den beiden DDR-Blues-Hotspots Berlin und Leipzig) alles um Armstrongs damalige Tour dreht, durch die der Trompeter und seine All Stars in neun Tagen mit siebzehn Konzerten in der DDR 45.000 Menschen erreichten, finden sich im Obergeschoss Kunstwerke, die auf das ambivalente Verhältnis von Musikproduktion und -rezeption, Rassismus und Politik Bezug nehmen.

Gemälde, Fotografien, Archivmaterialien und Installationen von solch heterogenen Kunstschaffenden wie Pina Bausch, Peter Brötzmann, Wadada Leo Smith, Evelyn Richter, Adrian Piper oder Ruth Wolf-Rehfeldt lassen den Besucher teilhaben am Ringen mit diesen Gemengelagen. Da verweist ein aus Herdplatte und Stricknadel bestehender Plattenspieler etwa auf die limitierte Rolle des Weiblichen; und es dienen musikalische Termini wie Mundstück und Dämpfer als bittere Metaphern, um sich der Frage „Was wird in der Gesellschaft verstärkt und was gedämpft?“ zu nähern.

Im Obergeschoss des Minsk befindet sich der Listening Room, der den als Bootleg erschienenen Ost-Berliner Louis-Armstrong-Konzertmitschnitt vom 22. März 1965 nachhörbar macht. Dieser wird wohl insbesondere im Minsk, das sich dem Offenlegen unabgeschlossener Kapitel der Geschichte verschrieben hat, in seiner Eigenschaft als Sound der Freiheit auch mit der einen oder anderen persönlichen Geschichte der Besucher resonieren.

I’ve Seen the Wall. Louis Armstrong auf Tour in der DDR 1965. Das Minsk Kunsthaus, Max-Planck-Straße 17, Potsdam, Mi–Mo 10–19 Uhr, 16.9.2023–4.2.2024