Jubiläum

„Violeta“: Isabel Allende feiert ihren 80. Geburtstag mit einem prallen Roman

Isabel Allende ist eine Autorin, wie es nur wenige gibt. Mit großer Klugheit und großer Erzähllust versteht sie ein breites Publikum zu unterhalten.

Isabel Allende, als Tochter chilenischer Eltern am 2. August 1942 in Peru geboren, lebt heute meistens in den USA.
Isabel Allende, als Tochter chilenischer Eltern am 2. August 1942 in Peru geboren, lebt heute meistens in den USA.www.imago-images.de

Violeta kommt während der Spanischen Grippe zur Welt, die 1920 in Chile wütet. Ihre Mutter bringt die Sache an zwei Lederriemen gekrallt, undamenhaft stehend, hinter sich: Das Baby knallt auf den Boden, trägt eine Beule davon und startet in eine Geschichte, die alles hat, was Isabel Allende zu einer der erfolgreichsten Schriftstellerinnen der Welt gemacht hat: starke Figuren, mit Witz und Emphase präsentierte Zumutungen des Lebens – etwa eine strapaziöse Geburt, während der Gatte beziehungsweise Vater im Herrenclub Zigarren raucht.

Das zerbeulte Baby wächst zu einer schönen Frau heran, die nach einer kurzen, öden Ehe einem Piloten und „fabelhaften Liebhaber“ verfällt, der sie schlägt und einen Hang zur Kriminalität entwickelt. Violeta braucht lange, um ihre Gefühle aus dieser Beziehung zu lösen. Finanziell ist sie unabhängig, sie verdient bestens an einer Firma für Fertighäuser, die nach einem Erdbeben boomt.

Der Putsch interessiert sie erst nicht

Eine makellose Heldin ist die Namensgeberin des Romans nicht: Der Militärputsch in ihrem Land kümmert sie erst, als das neue Regime für ihren Sohn, einen linken Journalisten, gefährlich wird und ein enger Freund verschwindet. Ausgelastet mit Mann und Geschäften bemerkt sie zu spät, dass ihre Tochter heroinsüchtig ist. Sie trennt sich vom Mann, der sich in die Verbrechen der Diktatur verstrickt, zieht, inzwischen um die 50, ihren Enkel groß, wie in ihrem ganzen Leben unterstützt von Tanten mit Werkzeugkasten und Rosenkranz, einem irischen Kindermädchen und deren kommunistischer Geliebten, einer indigenen Köchin, einer Heilerin und einigen interessanten Menschen mehr. Außerdem verliebt Violeta sich noch mehrmals, unternimmt auch im neunten Lebensjahrzehnt Expeditionen in die Antarktis und wird zur tatkräftigen Demokratin und Feministin.

Isabel Allende, die am 2. August ihren 80. Geburtstag feiert, versammelt in diesem Buch Motive, die ihre Fans aus ihren anderen Bestsellern kennen: die Geschichte ihres Heimatlandes Chile, Gewalt, Liebe, Leidenschaft, Spiritualität, Feminismus, Drogensucht, starke, eigensinnige Frauen. Das funkelt schon länger nicht mehr ganz so wie in ihrem allerersten Roman, mit dem sie nach ihrer Flucht aus dem Chile Pinochets ein Millionenpublikum eroberte.

Herzzerreißend: Isabel Allendes Buch „Paula“

Das „Geisterhaus“ ist in seiner grandiosen Beherztheit, dem Grauen eines Folterregimes eine fesselnde, vielschichtige, kein bisschen bittere Geschichte abzuringen, unerreicht. Aber auch alle anderen Bücher Allendes einschließlich des neuesten sind sehr lesenswert. Wer sie zu unterhaltsam, ja kitschig findet, sollte einmal „Paula“ lesen, einen autobiographischen Text, in dem sie vom Tod ihrer Tochter erzählt: Selbst in diesen herzzerreißenden Erinnerungen vom Schrecklichsten, das Eltern passieren kann, gibt es Lachen und Zuversicht.

Isabel Allende verbindet große Klugheit und große Erzähllust zu einer Literatur, die Tonnenschweres oder auch sehr Kompliziertes (wie eine Beziehung voller Gewalt) einem breiten Publikum nahebringt. Solche Autorinnen gibt es nicht oft, leider, daher ist zu hoffen, dass sie mindestens so vital und langlebig ist wie ihre Violeta, die am Ende des Romans mit 100 Jahren gutgelaunt für immer die Augen schließt – während eine neue Pandemie ihr Land zum Stillstand zwingt.

Isabel Allende: Violeta. Roman. Aus dem Spanischen von Svenja Becker. Suhrkamp, Berlin 2022. 400 Seiten, 26 Euro