Die Beerdigung ist vorbei. Der Leichenschmaus findet im Goldenen Adler statt, in Bernau. Die Verstorbene ist vor vier Jahren erst aus Prenzlauer Berg in diesen Vorort Berlins gezogen, zu einem Mann, der dort noch als „Wessi“ beäugt wurde. Der Roman „Ihr wart doch meine Feinde“ von Roswitha Quadflieg spielt an nur einem Tag. Das Jahr lässt sich leicht nachschauen: Jemand erinnert daran, dass Günter Grass gerade eingestanden hatte, bei der Waffen-SS gewesen zu sein. Das war 2006. Dieser Hinweis fügt sich in ein Netz von Verstrickungen und Beschuldigungen. Der Witwer mit dem sprechenden Namen Hans Gerechter muss lernen, seine Frau wenig gekannt zu haben.
„Am runden Tisch“ ist der erste der beiden Teile des schmalen Buchs überschrieben, und da auch von Bürgerbewegung und demokratischem Sozialismus die Rede ist, mag man an die Zeit der friedlichen Revolution denken. Die Gespräche damals sollten nach vorn gerichtet sein, bei Quadflieg geht es nach hinten los. Geladene und ungeladene Gäste tischen sich gegenseitig auf, in welcher Weise sie die Tote einst benutzten oder von ihr benutzt wurden. Nach bindungsschwachen Kinderjahren im Heim fand sie bei der Staatssicherheit fürsorgliche Vertraute. Sie bespitzelte jene, die wiederum sie für eine Freundin hielten, etwa beim Neuen Forum.
Sie schaut wie mit einem Objektiv
Man hat sich also zur Abrechnung versammelt. Schuld und Reue sind das große Thema. Doch die Lage, die Quadflieg kammerspielartig darstellen will, ist vertrackt, die Verletzungen sind unterschiedlicher Natur. Die Autorin jagt ein großes Figurenensemble durch die Seiten, nimmt sie wechselweise wie mit einem Objektiv in den Blick. Etwa wenn die Kindheitsfreundin der Toten deren Verlegerin fragt, zu welchem Friseur sie gehe. „Isabell v. Hohenstein lacht. ,Warum?‘, und flüsterte ihr einen Namen zu. ,Nur so‘, antwortet Cora und denkt, egal, so’n teuren Wessi-Laden kann ich mir eh nicht leisten.“ Doch warum fragt eine Frau aus Köpenick eine, die in Frankfurt am Main wohnt, nach dem Friseur? Weshalb lacht sie erst im Präsens und flüsterte dann im Präteritum? Solche Zeitsprünge unterlaufen der Autorin öfter: „,Na, geht doch‘, witzelt der Wirt und folgte seiner Frau zur Tür hinaus.“
Zwischen Sekt, belegten Brötchen und Schnaps kommt alles ungeordnet auf den Tisch. Dann schleppt der Wirt noch Kuchen an, dazu: „Ein Messer. Vom Ende der Geschichte her betrachtet, ein weiterer grober Fehler.“ Die Autorin bereitet also früh auf ein Verbrechen vor. „Im Verhörzimmer“ im Teil 2 des Buches schildern mehrere Figuren protokollartig ihre Sicht auf den Abend. Durch den Wechsel von Tonlagen und Perspektiven ermüdet das Bekannte nicht, sondern ordnet manches zuvor unklar Gebliebene.
Das eigentliche Rätsel steht im Klappentext: „Der Roman hat, so darf man der Autorin glauben, einen realen Hintergrund.“ Im Buch wird ein Fernsehinterview erwähnt, in dem die Tote ihre Stasi-Mitarbeit bereute. Die Erwähnung von Roland Jahn und Peter Wensierski in den Danksagungen führt auf die Spur: Sie interviewten 1990 für die Sendung „Kontraste“ ausführlich eine Frau, die Bürgerrechtler wie Bärbel Bohley und Gerd Poppe ausspionierte. Unter dem Titel „Die Wahrheit muss raus“ ist der Beitrag bei der Bundeszentrale für politische Bildung noch zugänglich. Als Dokument ist er erschütternder als der Roman.

