Marko Martin, der als Schriftsteller von Hongkong bis Havanna häufig ferne Gegenden bereist, aber mit seiner Arbeit auch gern vergessene Zeitzeugen des europäischen 20. Jahrhunderts in Erinnerung ruft, hat für sein jüngstes Buch mit Porträts von Schriftstellern und Philosophen eine Frage als Titel gewählt: Es heißt „Brauchen wir Ketzer?“ (Arco Verlag). Vor seiner Lesung auf Einladung der Robert-Havemann-Gesellschaft wollen wir wissen:
Herr Martin, warum holen Sie diesen alten Begriff des Ketzers in unsere Gegenwart – und taugt er dazu?
Der 1938 ins amerikanische Exil geflohene Romancier Hermann Broch hat einmal geschrieben: „Der Intellektuelle ist innerhalb eines jeden Wahrheitskreises skeptisch, er ist sozusagen der ,Ketzer an sich‘.“ In Zeiten selbstgerecht herumposausender „Querdenker“ scheint mir diese Herausforderung äußerst aktuell: Immer wieder auch das eigene Referenzsystem hinterfragen! Auch der Schriftsteller Fritz Beer, von dem die meinem Buch den Titel gebende Frage „Brauchen wir Ketzer?“ stammt, war solch ein skrupulöser Intellektueller – ein mährischer Jude und eher schüchterner Erzzivilist, säkular und links, ab 1940 dann in der tschechoslowakischen Auslandsarmee in Frankreich im bewaffneten Kampf gegen Hitler – und zur gleichen Zeit aus der Kommunistischen Partei ausgetreten.
Der Begriff des Ketzers ist ja nur in der einen Lesart an ein religiöses System gebunden. Mir geht es um verantwortungsbewusste „Stimmen gegen die Macht“, was ich auch als Untertitel gewählt habe. Das feine Sensorium solcher heute fast vergessenen antitotalitären Zeitzeugen wie Broch und Beer hat mir imponiert – wie auch die Bücher und das Leben etwa von Hilde Spiel, Alice Rühle-Gerstel, Friedrich Torberg, Ludwig Marcuse und Hans Habe. Sie alle hatten im Zäsurjahr 1938 sofort erspürt, dass jedes Zurückweichen vor Hitler diesen nur ermutigen wird – und „Frieden“ ins blutige Gegenteil kippt, sofern er nicht an die Werte der Gerechtigkeit und der Demokratie gebunden bleibt. Ich habe viele Texte wiedergelesen, andere neu entdeckt, bin dabei von dem einen oder der einen zum Nächsten gelangt. Und natürlich ziehe ich in diesen Porträts dann auch Parallelen zu den gegenwärtigen Debatten um Putins mörderischen Expansionismus – wie auch nicht?



