Debüt

„Ewig Sommer“: Franziska Gänslers Waldbrand-Roman ist das Buch für jetzt

Dieses Debüt ist ein feministischer Climate-Fiction-Roman, der einem drängend nahekommt. Franziska Gänsler zeigt Frauen in der Falle.

Flammen lodern im tschechischen Hrensko nahe der Grenze zu Sachsen.
Flammen lodern im tschechischen Hrensko nahe der Grenze zu Sachsen.dpa/Hájek Vojtìch

Waldbrände, Feuer über weite Landstriche gehören seit Jahren im Sommer zu den üblichen Nachrichten. Die Bilder dazu kamen bisher aus Kalifornien oder von den  griechischen Inseln. Wäre Franziska Gänslers Roman „Ewig Sommer“ im vergangenen Jahr erschienen, hätte man ihn vermutlich als Dystopie gelesen. Er spielt in einem Waldbrandgebiet in Deutschland.

Einiges greift die 1987 geborene Autorin mit ihrem Debüt auf, was uns aus der Gegenwart bekannt ist: Die Notwendigkeit, Masken zu tragen, gehört zu den Corona-Jahren, das Engagement junger Umweltschützer, die sich ein Camp im Wald einrichten, machte mit den Protesten gegen die Abholzungen im Hambacher Forst Schlagzeilen. Doch die gravierenden Waldbrände in Brandenburg und die grenzüberschreitenden Feuer in der Sächsischen Schweiz lassen dieses Sommer-Buch nun unheimlich aktuell erscheinen.

Die Frauen nähern sich an, das Feuer folgt

Vielmehr als das durch den Klimawandel nicht zufällige Zusammentreffen von Realität und literarischer Wirklichkeit macht die Art, wie die Autorin den Stoff beherrscht, dieses Buch besonders. Im steten Gleichklang mit der Handlung um das Zusammentreffen zweier Frauen in dem fiktiven Ort Bad Heim bewegt sich die Situation des Feuers vor Ort. Die eine, Iris, betreibt ein Familienhotel, die andere, Dori, strandet dort mit ihrer kleinen Tochter, ohne zunächst sagen zu können, ob sie mehr als eine Nacht bleiben will.

Iris ist in dem Hotel und dem Ort zu Hause, sie hat gelernt, mit den Feuern zu leben. Denn noch schützt ein Fluss sie vor dem Flammenfraß. Dori ist offenbar auf der Flucht vor ihrem Mann, dem Vater ihrer Tochter. Iris ist die Icherzählerin des Romans. Die Begegnung mit der anderen Frau löst in ihr Erinnerungen aus, die sich schubweise vordrängen. Durch die Rollenverteilung als Wirtin und Gast lässt die Autorin das Verhältnis der beiden lange formell. Als Iris Dori bei einem sorglosen Verhalten der Tochter gegenüber ertappt, schlägt diese mit einer Frage zurück und stößt auf einen wunden Punkt. Sie denkt „an meine Mutter, an den Großvater, an die Streitereien, die ich aus dem Nebenzimmer mit angehört hatte, als sie dachten, ich würde schlafen. Seine Worte, du bist doch keine Mutter für das Kind. Ihr Schweigen.“

Frauen in der Falle

Sie werden zur Schicksalsgemeinschaft auf Zeit in einer Gegend, die „eine landesweite Schlagzeile geworden“ war. Die Autorin konfrontiert ihre Figuren Iris und Dori jeweils mit kaum bezwingbaren Gegnern. Für die eine ist es der lange, feuerträchtige Sommer, der ihr Hotel wertlos macht. Für die andere ist es ein Mann, der sie innerhalb der Institution Familie abwertet. „Ich war ein anderer Mensch vor meiner Ehe“, sagt Dori einmal. Sie hatte zum Beispiel einen Beruf. Zwei andere Typen von Frauen gibt es noch im Roman. Da sind die Klimaaktivistinnen vom Camp, ungebunden und unerschrocken. Und da ist eine lebenspraktische Nachbarin mit schrägem Witz. Ihren Spitznamen Baby trägt sie seit Jahrzehnten. Sie ist leider zu alt, um zu sagen: Ihr gehört die Zukunft.

Franziska Gänsler lässt eine Gefahr der Gegenwart und Zukunft – die Klimakatastrophe – mit den überlieferten, noch immer nicht überwundenen Problemen von Frauen in der Gesellschaft konkurrieren. Ihr Debüt ist ein feministischer Climate-Fiction-Roman, der einem auf die eine und andere Weise drängend nahekommt. Das spricht unbedingt für das Buch. Jetzt ist die Zeit, „Ewig Sommer“ zu lesen.

Franziska Gänsler: Ewig Sommer. Roman. Kein und Aber, Zürich 2022. 208 Seiten, 23 Euro