Bücherfrage der Woche

Jan Böttcher, was hat „Das Rosen-Experiment“ mit dem Berliner Schloss zu tun?

Der Schriftsteller und Musiker Jan Böttcher (Herr Nilsson) veröffentlicht jetzt erstmals einen historischen Roman. Er spielt unter Psychologen in Berlin.

Jan Böttcher veröffentlichte zuletzt den Roman „Das Kaff“, mit dem „Rosen-Experiment“ geht er in Berliner und Wissenschaftsgeschichte.
Jan Böttcher veröffentlichte zuletzt den Roman „Das Kaff“, mit dem „Rosen-Experiment“ geht er in Berliner und Wissenschaftsgeschichte.Aufbau-Verlag/Urban Zintel

Im Berlin des Jahres 1928 spielt der neue Roman von Jan Böttcher. Aber anders als in den Filmen, den Shows und weiteren Büchern zu dieser Zeit geht es bei ihm nicht um das schillernde Äußere, sondern um das Innenleben seiner Helden, der Menschen überhaupt. „Das Rosen-Experiment“, das in dieser Woche erscheint, hat eine Psychologiestudentin zur Heldin. Die Bücherfrage der Woche geht an den Autor: Warum wählten Sie Berlin als Schauplatz für einen Psychologie-Roman?

Jan Böttcher: Wir sind gesättigt von manchen Berlin-Bildern der 1920er-Jahre, nicht wahr? Hier Glanz und Glamour, dort der rote Wedding und die Straßenschlachten. Aber die Stadt war natürlich auch eine Metropole der wissenschaftlichen Moderne, und ich bin darauf gestoßen, dass die Fakultät für Psychologie sich im Stadtschloss eingenistet hatte. Es war ja frei geworden mit Ausrufung der Republik und die Arbeitsbedingungen waren besser als an der Dorotheenstraße.

Dort hat man seit 1920 viele Experimente zu den Sinneswahrnehmungen aufgebaut; die Gestalttheoretiker erforschten, wie wir bewegte Bilder sehen und Melodien hören. Am Rande des Lehrstuhls, auch im Schwedischen Café, von dem ich schreibe, forschte Kurt Lewin mit seinen Doktorandinnen und Doktoranden zu seelischen Spannungen, zu inneren Bedürfnissen und Affekthandlungen. Das hat mich mitgerissen, denn hier emanzipiert sich nicht nur ein Fach mitsamt den studierenden Frauen, sondern eine wissenschaftliche Gruppe hält auch der Zeit den Spiegel vor.

Sie forschen zu Übersättigung, entdecken dabei im Vorbeigehen das, was wir heute Burn-out nennen. Oder dass wir uns an unerledigte Handlungen besser erinnern als an erledigte. Und Tamara Dembo schuf das Rosen-Experiment, das meinem Roman den Titel gab. Darin provozierte sie ihre Versuchspersonen, hielt sie stundenlang fest und untersuchte so die Dynamik des Ärgers. Sie ist das Vorbild für meine Zenja Naujas.

Man sieht an diesen Experimenten: Sie fügen sich ein in das temporeiche Berlin von 1928. Diese Überforderung, die das Individuum trifft, weil die Stadt wächst und dichter wird, ist eben sowohl auf den Straßen als auch im Stadtschloss zu fassen. Und natürlich steht es jedem frei, aus dem Roman einen Bogen in die Psyche der Gegenwart zu schlagen, in unser Zeitalter der digitalen Wutbürgerei.

Jan Böttcher: Das Rosen-Experiment. Roman. Aufbau-Verlag, Berlin 2022. 367 Seiten, 23 Euro