Bücherfrage der Woche

Julia Friese, Ihr Roman heißt „MTTR“: Was hat das zu bedeuten?

Im vergangenen Jahr erhielt Julia Friese den International Music Journalism Award für ihre Kolumnen, jetzt legt sie ihren ersten Roman vor.

Die Journalistin Julia Friese hat ihren ersten Roman geschrieben.
Die Journalistin Julia Friese hat ihren ersten Roman geschrieben.privat

Mit einer Schwangerschaft ändert sich das Leben einer Frau grundsätzlich, sowohl ganz privat als auch im gesellschaftlichen Zusammenhang. Der Roman „MTTR“ von Julia Friese erzählt von einer Frau in diesen neun Monaten. Am Donnerstag liest sie zum ersten Mal daraus im Pfefferberg-Theater. Die Bücherfrage der Woche geht an die Autorin: Können Sie uns den vokallosen, wie gestottert klingenden Titel „MTTR“ erklären?

Julia Friese: Vordergründig erzählt „MTTR“ die Geschichte einer Mutterwerdung, eigentlich aber setzt sich der Roman mit Fragen deutscher Herkunft, Erziehung und Sprache auseinander. Deutschland ist ein sehr eckiges, um nicht zu sagen ein zackiges Land, im Gegensatz zu Frankreich, wo ich gerade meinen Urlaub verbringe, hier gibt es zum Beispiel kaum Kreuzungen, alles fließt durch Kreisverkehre. Der Philologe Victor Klemperer schrieb in seiner Abhandlung „LTI“, dass die nazistische Sprache besonders viele abkürzende Bezeichnungen enthalte: HJ, KdF, BdM. Eine Eigenart, die das Deutsche beibehalten hat: 2ZKB, MfG, LG, BRD. Ich finde es interessant, wie etwas, das eigentlich verkürzend ist, gleichzeitig so sperrig, so hässlich sein kann. Unnatürlich. Technisiert.

„MTTR“ wird von den meisten automatisch als „Mutter“ gelesen werden, meint aber „Mean Time To Repair“. Es ist eine Bezeichnung aus dem Ingenieurwesen, die für die Zeit steht, die es im Mittel braucht, um ein System wieder zu reparieren. Den für den Roman gewählten Duktus der kurzen Sätze verstehe ich in der Tradition von Marlene Streeruwitz: Es sind Punkte, die abwürgen, was nicht gesagt werden kann, das dann aber zwischen zwei Sätzen im Nichtgesagten steht. „MTTR“ entstand aus der Auseinandersetzung mit zwischenmenschlicher, familiärer Kälte, mit Elternsätzen aus der schwarzen Pädagogik: Wer nicht hören will, muss fühlen. Nimm dir ein Beispiel. Sonst sperr ich dich in dein Zimmer. Da kannst du schreien, bis du schwarz wirst. Mir rutscht gleich die Hand aus. Dann prügle ich dich windelweich. Völlig verzogen. Das bildest du dir alles ein. Du hast doch alles gehabt. Keine Widerworte.

Ich habe geschaut: Wo findet sich diese anerzogene Brutalität? Wo findet sie sich auf der Freundschaftsebene? Im Gesundheitswesen? In den Büros? Was wird dort weggekürzt? Jeden Tag.

Julia Friese: MTTR. Wallstein-Verlag, 421 Seiten, 25 Euro. Buchpremiere 11.8., 20 Uhr, Pfefferberg-Theater