Was war das für ein Land, aus dem dieses weibliche Schreiben kam? Das Land gibt es nicht mehr. Christa Wolf, Brigitte Reimann und Maxie Wander sind tot. Was bleibt? Viel, sagt Carolin Würfel. Sie hat recht. In „Drei Frauen träumten vom Sozialismus“ hat sie Wolf, Reimann und Wander und deren gemeinsame Fünfziger- und Sechzigerjahre in der DDR atmosphärisch porträtiert und ihnen tief, tief in ihre persönlichen Geschichten geschaut, die auch immer politische sind.
Die drei Schriftstellerinnen sind sehr unterschiedlich. Schnittstellen und auch Freundschaften ergeben sich aus der Begeisterung für das Versprechen auf Selbstverwirklichung im Sozialismus. Ein neuer Mensch soll allein durch menschliche Anstrengung entstehen, versprachen nicht nur Ulbricht und Honecker. Carolin Würfel jedoch ersetzt den einfachen Glauben an dieses Versprechen durch etwas Flirrendes, Ungreifbares, Leidenschaftlicheres, dem die drei Frauen sich ausliefern. Sie spricht vom Traum, den die drei träumten, egal, ob sie die Kindheit in einem nationalsozialistischen Elternhaus oder einer kommunistischen Arbeiterfamilie verbracht hatten. Selbstbewusst, aber auch mit Selbstzweifeln verfolgten sie diesen Traum vom neuen Menschen. Verfolgten sie also auch einen Traum von sich selbst?
Die Tagebücher als Ausgangsmaterial
Sehr gelungen und spannend ist das Kapitel, das die Begegnung Christa Wolfs mit der Stasi dokumentiert oder von Maxie Wander erzählt, die als Kind einer Wiener Arbeiterfamilie mit ihrem Mann aus Überzeugung in die DDR ging, um ab August 1961, nur drei Meter von ihrem Liegestuhl entfernt, mit der Mauer in ihrem Garten in Kleinmachnow leben zu müssen. Schön ist auch der Brief, den Carolin Würfel an die tote Brigitte Reimann schreibt, während sie selbst aus einem Fenster in Istanbul auf den Bosporus schaut.
Ausgangsmaterial war für Würfel weniger die Literatur der drei Schriftstellerinnen als deren Tagebücher und Briefe – ein gutes, aber auch ein sensibles Material, wenn man von „träumenden Frauen“ erzählen will. Ein Material, das zu eigenen Tagträumen führen, verführen mag. Nah geht die Buch-Autorin bisweilen bei ihrer Herzensrecherche an die drei Schriftstellerinnen heran, sehr nah. Fast hat man das Gefühl, sie hat – über die Zeit hinweg – mit ihnen am Tisch gesessen, auf ihren ungemachten Betten gehockt, geraucht, getrunken, Frauengespräche geführt und Musik gehört. Carolin Würfel – mehr als fünfzig Jahre nach Reimann, Wolf und Wander geboren – ist als eine vierte Frau auf Tuchfühlung mit dabei und vergreift sich bisweilen wegen zu viel Nähe und Liebe im Ton. Und der Ton macht bekanntlich die Musik.
Zärtlich übergriffig oder gut gelöst?
Wir sind dabei, wenn Fred Wander den Lockenkopf seiner Frau Maxie auf dem Kissen neben sich streichelt. Ist das aus dem Tagebuch oder ein Hinübergleiten in die Fiktion? Wir sind dabei, wenn Brigitte Reimann trinkt und Maxie Wander ihren Adoptivsohn schlägt. Ist es nur eine Frage der Brennweite, ob solche erschriebenen Situationen gelingen, ob sie plastisch werden oder peinlich? Kann die Begeisterung für das eigene Schreiben, die auch hilft, eine unüberschaubare Fülle an fremdem Lebensmaterial für sich zu bändigen, zu genau dieser zärtlichen Übergriffigkeit führen? Und ist das der einzige Weg, mit einem Stoff, der für viele Fußnoten gemacht wäre, einen freien Tanz zu wagen?
Leserinnenfreundlich ist das Buch auf jeden Fall, und schön endet es mit einer Christa Wolf im Türrahmen – als einer Frau, die ihre Fehler kennt und sich sagt, dass Träumen nur noch im Traum gehen mag. Und vielleicht im Schreiben.



