Was es bedeutet, ein Fan zu sein, habe ich erst durch die Lektüre von Nick Hornbys Buch „Fever Pitch“ begriffen. Er beschreibt darin sein lebenslanges Leiden an der emotionalen Bindung zu seinem Klub FC Arsenal. Es war nicht ganz leicht zu verstehen, wovon Hornby da sprach, weil der Londoner Verein für ein paar Jahre ungemein erfolgreich war. Woher das Leiden? Der frühere Schalker Mesut Özil spielte dort acht Jahre lang, absolvierte 184 Spiele und schoss in dieser Zeit 33 Tore in der englischen Premier League.
Man bringt die Statistiken nur schwer zusammen mit jener Erfahrung, die Nick Hornby 1968 bei seinem ersten Besuch im Londoner Highbury-Park machte. Das Unvergessliche dieses Nachmittags beschrieb er in „Fever Pitch“ so: „Den tiefsten Eindruck auf mich machte, wie sehr die meisten Männer um mich es hassten, wirklich hassten, dort zu sein.“
Der Fan, sollte das wohl heißen, kommt nicht bloß zu einem Schönwettererlebnis. Der Sportschriftsteller Christoph Biermann hat es auf den Punkt gebracht. „Für Hornby ist Liebe der Fans eine tragische, weil sie letztlich immer enttäuscht wird. Der Fan hasst sich dafür, dass er seine Zeit in heruntergekommenen Stadien an lausige Kicker verschwendet.“ Er gehe wieder hin, weil er dort die Gemeinschaft der Gleichgesinnten und in seltenen Momenten die Delirien des Glücks erlebe, wie sie nirgends anders zu haben seien. Im Fußball der frühen Jahre war der Fan weitgehend männlich.
Das Gefälle zwischen Popstar und Fan
Aber es gibt verschiedene Formen der Fanschaft, und das Verhältnis eines Fußballanhängers zu seinen Idolen sieht anders aus als das des Musikliebhabers zu Popstars. Letztere haben seit jeher für sich in Anspruch genommen, dass es immer auch um Sex geht, und am Beispiel der Affäre um den Rammstein-Sänger Till Lindemann haben sich viele aufgefordert gefühlt, an das Phänomen des sexuellen Missbrauchs auf den Hinterbühnen des Pop zu erinnern: Led Zeppelin, Frank Zappa, David Bowie – die Liste vermeintlich straffällig gewordener Stars ist lang.
Von Lindemann unterscheiden sich die meisten der Genannten und unausgesprochen Mitgedachten dadurch, dass sie in ihren wilden Jahren kaum älter waren als die minderjährigen Mädchen, die sie durch ihr bloßes Dasein als Star zur körperlichen Hingabe verführten. Die Vorstellung vom Sex eines alten Mannes, die Lindemann evoziert, kann scheinbar nicht wettgemacht werden durch den Symbolzauber, den Rammstein auf der Bühne veranstaltet.
Im Kontrast zum unerträglichen Gefälle, das zwischen Popstar und Fan seit jeher geherrscht zu haben scheint, impliziert die Fanschaft, die Nick Hornby beschreibt, die Möglichkeit der Reife und des Alterns. Zu den Segnungen, mit seinem Idol zu altern, gehört die Duldsamkeit, weiter hinzuhören, obwohl es wehtut. Mir ergeht es so mit einigen Liedern von Bob Dylan. Es gibt Stücke, bei denen ihm die dichterische Eingebung versagt geblieben ist. In „Sweetheart Like You“ etwa besingt er einen paternalistischen alten Mann, der sich über die Anwesenheit einer jungen Frau wundert, die er in einem heruntergekommenen Loch antrifft. Keine Spur von Rollenprosa, der Schutzinstinkt ist eher peinlich, die Anmache plump. By the way: „Der Hut, den Du da trägst“, singt Dylan, „sieht süß an Dir aus“.


