Kommentar

Wider den deutschen Russozentrismus: Zeigt endlich ukrainische Kunst!

Der Krieg Putins macht deutlich: Es ist endlich eine grundsätzlich neue kulturpolitische Perspektive auf ganz Mittel- und Osteuropa nötig.

Die Nationalgalerie in Kiew
Die Nationalgalerie in Kiewimago/Yevhen Liubimov

Nie gab es in Deutschland eine große Ausstellung von Kunst aus der Ukraine. Dabei wäre das, wie der Blick durch die Onlinekataloge von Museen in Kiew, Odessa, Lwiw oder Charkiw blitzschnell zeigt, ohne Weiteres und auf allerhöchstem Niveau möglich gewesen. Es gab offenbar auch immer wieder Angebote ukrainischer Museen. Doch wurden diese in Deutschland, wie eine Umfrage der Berliner Zeitung ergab, mit freundlichen Worten entweder auf die lange Bank geschoben oder, selbstverständlich mit Bedauern, abgesagt. Man bleibe aber gerne in Kontakt.

Blieb man nicht. Die meisten staatlichen Kulturinstitutionen in Berlin, Dresden, Leipzig, München, Frankfurt, Hamburg, Weimar, Potsdam, Köln, München etc. haben nach ihren eigenen Angaben keinerlei oder allenfalls lose Kontakte in die Ukraine.

Die großen Ausnahmen sind das Goethe-Institut, einige Orchester und viele deutsche Theater, die auf ihren lange gepflegten Beziehungen nun gezielte Hilfsaktionen aufbauen können. Wie krass sie sich vom deutschen Mainstream unterscheiden, zeigt sich beim Blick auf die Beziehungen zwischen deutschen und russischen Kulturinstitutionen: Projekte von deutschen und russischen Museen, Bibliotheken sowie Universitäten – deren Chefetagen oft direkt und durchaus politisch intendiert von Wladimir Putin besetzt werden, was aber bisher niemanden zu kümmern schien! – gab es auch seit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine 2014 unzählige. Das reichte von kleineren Treffen bis zu großen Kongressen oder den Riesenforschungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über die Eisen- und Bronzezeit mit der St. Petersburger Eremitage – die selbst Erbin einer gewaltigen kolonialen Expansion ist. Erst kürzlich endete in Dresden eine glanzvolle Ausstellung über deutsche und russische Romantiker. Ihr Titel: „Träume von Freiheit.“ Hätte auch für jene deutsch-ukrainische Ausstellung gut gepasst, die es bisher nicht gab.

Zwar gab es, auf dem Deutschen Kunsthistorikertag in Stuttgart wurde gerade darauf verwiesen, zu DDR-Zeiten intensive Forschungen zur mittelalterlichen Baukunst in der heutigen Ukraine. Doch sie betrachteten die Bauten auch Kiews vor allem als Teil einer russischen Architekturgeschichte. Die barocken Bildhauer der Westukraine gelten meist als Teil der polnischen Kunstgeschichte. Ohne die Bücher des Verlags DOM Publishers wüsste man in Deutschland kaum etwas davon, dass in Charkiw, Kiew, Mykolajiw, auf der Krim oder in Odessa eine großartige moderne Architektur existiert.

Es gibt in deutschen Kunstmuseen wohl keine historischen und nur wenige moderne Kunstwerke, die von Menschen geschaffen wurden, die sich selbst als Ukrainer empfanden. Die bedeutende Sammlung der Berliner Staatlichen Museen zur Kultur der Krimtataren wurde aber niemals angemessen gezeigt. Ansonsten finden sich in deutschen Museen vor allem bemalte Ostereier, Trachtenkostüme und beschnitzter Hausrat aus der Ukraine. Das Bild, das sich damit zeigen ließe, entspräche exakt der russisch-imperialistischen Propaganda der Zaren, Kaiser, Stalins und nun Wladimir Putins: Die Ukraine sei ein Land der Bauern, bunt dekoriert, lustig singend und tanzend, aber ohne höhere Kultur, unmodern, unfähig zu Staatsbildung und Staatsregierung. Es ist das Bild, mit dem alle Kolonialisten ihren Machtanspruch ideologisch legitimierten.

Die großen deutschen Museen, Bibliotheken, Archive und ihre Verbände, aber auch das Kulturstaatsministerium der Bundesregierung etc. pp. zeigen sich zwar jetzt immens solidarisch mit der Ukraine, bemühen sich, möglichst schnell Nothilfe für die ukrainischen Kulturinstitutionen auf den Weg zu bringen, gut so. Doch verdeckt wird damit eine schlichtweg katastrophale kulturpolitische Bilanz, die die reale Ukraine zugunsten romantischer Bilder und des russischen Machtanspruchs und Reichtums ignorierte.

Dass die Ukraine in vielem moderner ist als Russland, mindestens so vielfältig, widersprüchlich, spannend, traurig und glanzvoll, das wurde gezielt übersehen, auch die für die heutige Ukraine zentrale Idee, dass ein Nationalstaat durchaus mehr als eine Staatssprache haben kann. Statt das heutige Lwiw zu erleben, ergötzte man sich gerade in Deutschland viel lieber am melancholischen Bild des habsburgischen Lemberg. Damit muss endlich Schluss sein.

Bevor sie ihre Beziehungen zu Russland wieder auftauen, sollten deutsche und europäische Museen, Bibliotheken, Archive, Forschungs- und Kulturinstitute also erst einmal instiututionelle Brücken zu ihren Schwestern in der Ukraine bauen. Nicht erst nach Kriegsende, wie immer das aussieht, sondern jetzt, und sei es nur, um den Menschen dort zu zeigen: Wir lassen euch nicht fallen.