Kunstmarkt

DDR-Kunst: Von wegen „minderwertig“! Ost-Werke erzielen heute Höchstpreise

Nach 33 Jahren deutscher Einheit gehen die Preise für Kunst aus dem Osten durch die Decke, die im Bilderstreit als „ideologisch kontaminiert“ herabgesetzt wurde.

Werner Tübke: „Am Strand II (mit spielenden Kindern)“, 1971
Werner Tübke: „Am Strand II (mit spielenden Kindern)“, 1971VG Bild-Kunst 2023,/ Galerie Schwind/Sammlung Fritz P. Mayer/ Kunsthalle Jesuitenkirche Aschaffenburg

Die Göttin der Gerechtigkeit ist eine alte, abgekämpfte Lady, mit Falten der Desillusion und Enttäuschung in den Mundwinkeln. Und manchmal hat sie Sehstörungen und trägt Scheuklappen. Aber sie ist auch langmütig. Und zäh. Darum verschafft sie jetzt endlich der Kunst aus DDR-Zeit und vielen seit 33 Jahren entstandenen Werken der jüngeren Ost-Generation gebührenden Respekt und fälligen Erfolg.

Im Kunstauktionshaus Leipzig beginnt am 7. Oktober die wohl bislang größte Versteigerung von Ost-Kunst. Liest man die aufgerufene Taxierung, sagen selbst Kenner des Metiers „Wow“.  Nicht bloß moderate, sondern auch fünf- und sechsstellige Preise für die lange herabgesetzte Kunst sind angezeigt – etwa für ein spätes Triptychon, ein tanzendes Paar und Frühwerke von Willi Sitte, für Renaissancemotive von Werner Tübke und dessen stilistischem Schüler Michael Triegel, für die wilden Expressionen Bernhard Heisigs und die metaphorischen Bilder und Plastiken Wolfgang Mattheuers.

Wolfgang Mattheuer: „Seltsamer Zwischenfall“, 1984/91
Wolfgang Mattheuer: „Seltsamer Zwischenfall“, 1984/91 VG Bild-Kunst 2023,/ Galerie Schwind/Sammlung Fritz P. Mayer/ Kunsthalle Jesuitenkirche Aschaffenburg

Die im fatalen deutsch-deutschen Bilderstreit seit den Neunzigern als „minderwertig“, weil „ideologisch kontaminiert“, geschmähte Kunst des deutschen Ostens feiert Urständ. Längst präsentieren die Museen der neuen Bundesländer wieder selbstbewusst ihre Sammlungen von Kunst aus dem untergegangenen Land, nachdem Selbige nach 1990 zunächst in die Museumsdepots von Leipzig, Dresden, Berlin, Halle, Cottbus verfrachtet worden war. Um willfährig Platz zu schaffen für die als modern und frei gepriesene „ikonische“ Kunst aus dem Westen.

Der Autorin dieses Artikels steckt noch immer der Groll in der Seele, dass sie 1993 erleben musste, wie der in Rom promovierte Direktor der Neuen Nationalgalerie, Dieter Honisch, von Berlins CDU-Fraktionären abgekanzelt wurde, weil er es mit fairer Absicht gewagt hatte, nach der Vereinigung der Nationalgalerien Bilder der Stars der alten Bundesrepublik neben DDR-Leinwände zu hängen. 

Der ideologische Bilderstreit entbrannte, loderte und schwelte bis 2012, wurde zusehend akademisch. Erst Paul Kaisers Weimarer Ausstellung „Abschied von Ikarus“ setzte einen Schlusspunkt hinter die Diffamierung und Beckmesserei, derweil sich bei Ewiggestrigen das Vorurteil zählebig hielt. Offensichtlich auch in einer Stadt wie Nürnberg, seit dort 2001 eine geplante Sitte-Retrospektive peinlich plump und für den umstrittenen Hallenser Maler demütigend „zensiert“ – und dann von ihm selber abgesagt wurde. Eine wirklich differenzierende, die zwiespältige Rolle des 2013 verstorbenen Sitte in der SED-Kunstpolitik aufarbeitende Retrospektive gab es erst 2021 in Halle.

Dafür hatten Kunstleute im Westen schon viel länger Weitsicht: Der Aachener Sammler und Kölner Museumsgründer Peter Ludwig erwarb, der Zeit weit voraus, um 1980, was in der DDR und im Ostblock Rang und Namen hatte. Auch der Galerist Karl Schwind in Frankfurt am Main verschaffte insbesondere der mythenschweren Leipziger Malerei großen Zuspruch im Westen. Und der unvergessliche Charlottenburger Galerist Dieter Brusberg vereinte in seiner privaten Sammlung „Best off“ aus dem Osten – von Gerhard Altenbourg bis Bernhard Heisig und dazwischen Kunst der jüngeren Generation. Ebenso sammelte das Kunstforum der Berliner Volksbank vor allem Kunst jüngerer Oppositioneller aus Ost-Berlin. Gleiches taten Stadtmuseum und Berlinische Galerie. Bloß die Nationalgalerie, die zwar gute Ausstellungen mit Kunst aus DDR-Zeit („Der geteilte Himmel“), später auch mit angesagten jüngeren Künstlern des Ostens machte, gab sich in ihrer Sammlung eher zufrieden mit dem, was sie 1990 aus dem DDR-Depot erbte. 

Willi Sitte: „Pferd mit Schlange“ (Studie zu Lidice), 1957
Willi Sitte: „Pferd mit Schlange“ (Studie zu Lidice), 1957VG Bild-Kunst 2023/Galerie Schwind/Ostdeutsche Galerie Regensburg

In die Ausstellung der Sammlung des Berliner Willy-Brandt-Hauses kommen derzeit Malereifreunde aus dem Westen, um Bilder aus dem Osten in Zwiesprache mit denen aus der alten Bundesrepublik zu sehen. Sie staunen nicht schlecht, wie viele Sujets doch verwandt sind: die Conditio Humana, das Menschenbild, der Blick auf deutsche Geschichte.

Die Ostdeutsche Galerie Regensburg stellt ab 7. Oktober ein Hauptwerk des als „Staatsmaler“ umstrittenen Sitte, einst Präsident des DDR-Künstlerverbandes, in den Fokus: sein an Picassos „Guernica“ geschultes „Stürzendes Pferd mit Schlange“ von 1957, eine Studie für das Gemälde „Lidice“ in Erinnerung an das SS-Massaker 1942 in der tschechischen Gemeinde. Wegen dessen kubistischer Stilistik jedoch wurde der Antifaschist und Kommunist Sitte von stalinistischen Kulturwächtern scharf als „Formalist“ gemaßregelt, der im „westlichen“ Stil dem „Sozialistischen Realismus“ sträflich zuwider malen würde. Ein Fakt, der beim Sitte-Bashing  geflissentlich übersehen wurde. Ebenso, dass seine späteren fleischigen Proletarier, Erdgeister und exzessiven Liebesakte kaum etwas mit dem verordneten „Sozialistischen Realismus“ zu tun hatten. Sitte glaubte an den Sozialismus und hat sich tragisch geirrt, aber er nahm sich kein Sowjet-Pathos zum Vorbild, sondern Sinnlichkeitsmaler wie Lovis Corinth und Lucian Freud.

Keine Berührungsängste mit der Ostkunst hat die Kunsthalle Jesuitenkirche Aschaffenburg: Sie zeigt auch Bilder der „Viererbande“: Mattheuer, Sitte, Tübke, Heisig. Das Interesse ist groß: „Mit der vorhandenen historischen Distanz wird die Kunst aus der DDR immer interessanter. Nicht nur als Zeitzeugnis, sondern auch künstlerisch“, sagt Paul Gathof, der Chef der Berliner Dependance der Galerie Schwind Frankfurt am Main. „War die Betrachtung der Kunst aus der DDR in der Nachwendezeit noch stark von populistischen Äußerungen wie von Georg Baselitz (er nannte DDR-Maler angepasste „Arschlöcher“, d. Red.) geprägt, hat man sich in der Zwischenzeit in umfangreichen Ausstellungen den Künstlern und deren Facettenreichtum gewidmet und festgestellt, dass Mattheuer, Tübke, Sitte, Heisig (und ihre Schüler) nicht einfach in eine Schublade gesteckt werden können, sondern sich eine dezidierte Betrachtung lohnt.“ Die Leute würden nun endlich entdecken, so Gathof, dass Sitte ein „unglaublich guter Maler war, der stets ohne Modell anatomisch anspruchsvolle Figuren gemalt hat, ein Meister der perspektivischen Verkürzung.“ Auch deshalb steige Bedeutung und Nachfrage nach Kunst aus der DDR stetig.

Willi Sitte:„ Schlafendes Paar“, 1963
Willi Sitte:„ Schlafendes Paar“, 1963VG Bild-Kunst 2023,/ Galerie Schwind/Sammlung Fritz P. Mayer/ Kunsthalle Jesuitenkirche Aschaffenburg

Der Direktor des Städel in Frankfurt, Philipp Demandt, zeigt seit 2020 Kunst aus Ost und West nicht mehr separiert. Da sind etwa Bilder des Leipziger Manieristen Arno Rink, des Vaters der global erfolgreichen „New Leipzig School“, neben dem Briten Francis Bacon zu sehen. Für Gathof ist das „ein ästhetisches Zusammenspiel – frei von jeglicher Klassifizierung“. Hinzuzufügen wäre: Das Beispiel Städel sollte nach 33 Jahren Einheit eigentlich der Normalzustand sein.

Versteigerung Ostkunst im Kunst-Auktionshaus Leipzig, Gohliser Str. 19 am 7. Oktober. Onlineansichten /Kontakt: info@kunstauktionshaus-leipzig.com