Kunst in Brandenburg

„Rohkunstbau“ in Brandenburg: Die Welt braucht Frieden!, sagt junge Kunst im alten Schloss

Ausgerechnet in der Barockidylle von Altdöbern lässt die 28. Sommerschau „Rohkunstbau“ diesen Ruf durch die historischen Gemäuer hallen. Auch Banksy ruft mit.

„Womb Tomb: worry scrolls“, 2018/2019, Keramik der in Berlin lebenden Irin Mariechen Danz
„Womb Tomb: worry scrolls“, 2018/2019, Keramik der in Berlin lebenden Irin Mariechen DanzPatrick Pleul/dpa

Aber nein, es ist keine Schlossmumie, die Mariechen Danz aus Dublin im Vestibül des denkmalgeschützten Barockschlosses Altdöbern „aufgebahrt“ hat. Auf dem rosafarbenen Katafalk liegt eine lebensgroße nackte Gestalt. Der Leichnam ist aus Keramik geformt, durchschossen von Gewehrsalven, der Leib geöffnet, wie ausgeweidet. Aus dem Sarg dieses weiblichen Ecce-Homo stecken an Drähten Mohnblüten, traditionell Lebensblumen im Osten Europas, die in den Weizenfeldern der Ukraine blühen, nur 1500 Kilometer entfernt von uns.

Ein Gewaltopfer, ein Kriegsopfer hat die junge irische Bildhauerin und Wahlberlinerin gleichsam zum Leitsymbol dieser 28. brandenburgischen Sommerausstellung „Rohkunstbau“ gemacht. Putins Aggressionskrieg in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022, in den täglichen Nachrichten inzwischen stoisch registriert, steht uns plötzlich wie ein Fanal vor Augen.

„Ratte mit Peace-Zeichen“ des englischen Künstler-Phantoms Banksy  auf einem Berliner Stromkasten
„Ratte mit Peace-Zeichen“ des englischen Künstler-Phantoms Banksy auf einem Berliner StromkastenPatrick Pleul/dpa

Das erschütterte Publikum ist aufgefordert, eigene Ängste und Sorgen auf Papier zu schreiben, einzurollen, in die brandigen Einschusslöcher zu schieben. Am Ende der Schau im Oktober will Danz – ein wenig keltische Mystik kommt ins Spiel – die Röllchen verbrennen, als „reinigenden Akt“, der die Angst vertreibt.

Große Künstler der Moderne haben sich geäußert, was Kunst eigentlich bewirken will. Picasso etwa meinte nach dem Zweiten Weltkrieg, Kunst sei dazu da, „den Staub des Alltags von der Seele zu waschen“. Deutschlands berühmtester Maler der Gegenwart, Gerhard Richter, klingt, nach Ende des Kalten Krieges, doch inmitten neuer Krisen, Kriege und drohender Klimakatastrophen weit desillusionierter: Kunst lasse immer das Beste hoffen. Im sozialistischen Realismus galt Kunst als Waffe. Nur zu gut wissen wir, dass Ideologie die Kunst nur missbraucht.

Die auf Schloss Altdöbern ausstellenden 14 Künstlerinnen und Künstler aus zwölf Ländern, ihre Kuratorin Heike Fuhlbrügge und der alljährliche Ermöglicher der Schau – der vom Arzt Arvid Boellert gegründete Verein Rohkunstbau e.V. – sehen ihre Sommerschau im Barockschloss weder als (politische) Waffe noch als sentimentales Klagen über das Böse in der Welt. Und schon gar nicht als Rückzug der Kunst in die Spreewald/Lausitz-Idylle. Im Gegenteil: als Anstoß zum Nachdenken und Fühlen. „Die Sorge um sich und die anderen“ ist ihr Thema. Und der Ruf nach Frieden in der Welt.

Die Ukrainerin Olena Pronkina formte eine Keramikserie wie Totenmasken; diese Plastik heißt „Dew in the Sun“, 2022.
Die Ukrainerin Olena Pronkina formte eine Keramikserie wie Totenmasken; diese Plastik heißt „Dew in the Sun“, 2022.Rohkunstbau/Wagner

Den fordert an diesem Ort, eine Perle unter den brandenburgischen Schlössern, auch der geheimnisvolle britische Street-Art-Künstler Banksy. Mitten im aufwendig restaurierten Holländischen Zimmer mit trauten burischen Malereiszenen auf dem Lande im 18. Jahrhundert steht ein grober Kabelkasten aus der Köpenicker Straße in Berlin. Besprüht hat ihn das Phantom Banksy auf seiner Deutschlandtour. Belege sind die berühmte Ratte mit Regenschirm und das Peace-Symbol. Der Sammler, dem der Elektrokasten gehört, gab die Trophäe als Leihgabe ins Schloss.

Die Ukrainerin Olena Pronkina, letztes Jahr im Sommer nach Berlin geflohen, verleiht ihrer Trauer Ausdruck, der Gewalt gegen Mensch und Natur: Sie malte Bilder mit viel Schwarz, auf der Fläche Körperfragmente und Pflanzenfetzen. Und sie formte große Tonköpfe, die an Totenmasken erinnern. Kaum auszuhalten ist die ohnmächtige Stille über diesen Sinnbildern für all die namenlosen Opfer.

Andrea Bowers aus Ohio, USA, warnt im noch unrenovierten Teil des Schlosses: „Kids Not Guns, Ode to Codepink“, 2018.
Andrea Bowers aus Ohio, USA, warnt im noch unrenovierten Teil des Schlosses: „Kids Not Guns, Ode to Codepink“, 2018.Rohkunstbau/Paul Lovis Wagner

Allan McCollum und Matt Mullican, Berühmtheiten der amerikanischen Concept-Art, sind alte Freunde. Auf Schloss Altdöbern zeigen sie ihr gemeinsames Kunst-Spiel mit dem bedeutungsvollen Namen „Your Fate“ (Dein Schicksal). Ein Würfelspiel, mit dem sich, wie die beiden behaupten, die Zukunft voraussagen lässt. Und sie lassen das Publikum würfeln. Die Spielwürfel tragen nicht etwa Punkte von eins bis sechs, sondern immer nur eines der auf den Bildern befindlichen universellen Alltagssymbole: Herzen, Schlösser, Sterne, Strichmännchen-Signets. Auch ein Telefon ist dabei, die Waage der Justitia, Pfeile, Kreuze, das Uno-Symbol der Weltkugel und Smartphone-Buttons. Fast möchte man die beiden Kalifornier als Psychologen begreifen, die auf solch spielerische Weise testen, wie viel Fantasie und Emotion wir, das Publikum, noch entfalten können bei all der Normierung der modernen Zeichenwelt.

„Endlich Frieden!“, ist das Thema der Ausstellung, die, wie einst schon Goya, „Desastres de la Guerra“ direkt anspricht. Und bohrend fragt: Auf welcher Seite stehen wir – die Betrachter? Wie ist der Zustand der Welt noch zu reparieren? Schaffen wir eine neue Kultur der Sorge, die der Herrschaft und der Gewalt abschwört. Können wir uns aus dem Egoismus und dem Konkurrenzdenken lösen? Die Sehnsucht nach dem Paradies hat in den letzten Jahrhunderten nirgends zum Einlenken geführt. Die Kunst sucht nach Antworten.

Irgendwie war das schon immer so seit der Gründung des alljährlichen Sommerprojekts mit dem komischen Namen: „Rohkunstbau“, ausgedacht und ins brandenburgische Kunstgeschehen gebracht von einer Handvoll Berliner Medizinstudenten um den heutigen Augenarzt und bis heute unermüdlichen „Motor“ Arvid Boellert. In einer LPG-Rohbauhalle in Groß Leuthen bei Lübben hat 1994 alles begonnen. Fortan bespielte „Rohkunstbau“ fast jeden Sommer leer stehende, charmant marode Brandenburger Schlösser, verschaffte ihnen Attraktivität. 2017 bis 2021 war das noch Schloss Lieberose – bis ein Privatmann es kaufte.

Zwei Amerikaner im Spreewald: Allan McCollums und Matt Mullicans „Your Fate Table“, 2022
Zwei Amerikaner im Spreewald: Allan McCollums und Matt Mullicans „Your Fate Table“, 2022Rohkunstbau/Galerie Thomas Schulte/Stefan Haehnel

Im letzten Jahr residierte die junge Kunst erstmals auf Schloss Altdöbern. Längst wächst der internationale Ruf der Schau, bekunden prominente Kunstleute ihr Interesse. Jahr um Jahr ist die Finanzierung wacklig – und am Ende steht die Schau. Diesmal zeigten sich Land und Bund als Sponsoren und die Schlösser GmbH bot das Domizil, sogar bis zum späten Herbst. Der Verein Rohkunstbau e.V. hofft – und setzt auf solche Kontinuität.

28. Rohkunstbau. Schloss Altdöbern (PLZ 03229), Spreewald/Lausitz, Am Park, bis 29. Oktober, Sa.+So. 12–18 Uhr. Anreise mit Pkw oder Bahn: ab Berlin Hauptbahnhof mit dem RE7, 2,1 km Rad/Fußweg bis zum Schloss