Werk der Woche

Irrtum der Denkmalschützer: Der Triegel-Cranach-Altar darf nach Naumburg zurück

Die absurde Verbannung des neu-alten Marienaltars im Westchor des Naumburger Doms durch „Hüter der reinen Lehre“ ist – hoffentlich – Geschichte.

Der Triegel-Cranach-Marienaltar sorgte letztes Jahr fünf Monate lang  für Besucherrekorde im Naumburger Dom.
Der Triegel-Cranach-Marienaltar sorgte letztes Jahr fünf Monate lang für Besucherrekorde im Naumburger Dom.dpa/Vereinigte Domstifter/VG Bildkunst Bonn 2023

„Irrtum vom Amt“ – lästert der Volksmund süffisant, wenn die Bürokratie in Verwaltungen und Instanzen wieder mal absurde Ausmaße erreicht und widersinnige Aktionen anordnet. So fatalerweise geschehen letzten Herbst in Naumburg an der Saale.

Worum es geht, zeigt das Foto von einem bezwingenden Altarbild, auf dem der Stil der Leipziger Schule sich mit der Renaissance verbindet. Der Maler Michael Triegel wagte die Annäherung an den Altmeister Lucas Cranach und die Integration der Bildfragmente des einst wichtigsten liturgischen Kunstwerks  im Westchor des Doms. Die 1541 im Bildersturm zerstörte Mitteltafel Cranach d. Ä. und die Predella malte Triegel auf seine minutiöse Weise neu. Die originalen Cranach-Flügel waren lange Zeit nur in einem seitlichen Raum des Domschatzgewölbes zu sehen.

Heilige von heute

Seit vielen Jahren wünschten sich die Vereinigten Domstifter den Altar zurück in einer Konstellation aus alt und neu. Vor fünf Jahren beauftragten sie den für seine altmeisterliche Virtuosität berühmten Erfurter Maler Michael Triegel. Er wusste von den Vorbehalten etlicher Denkmalschützer. Darum wollte er eine Marienszene malen, „die auch Lucas Cranach d. Ä. akzeptiert hätte: Die Madonna mit dem Kinde vorn und der auferstandene Jesus – als Salvator Mundi und Verkörperung der Heilsgeschichte im Neuen Testament – auf der Rückwand“. Dem an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst ausgebildeten, dort von Tübke geprägten Maler gelang es, seine Motive den Heiligenfiguren Cranachs anzuverwandeln – und doch unverkennbar Triegel zu sein, ein Künstler des frühen 21. Jahrhunderts.

Die Rückseite des Altarretabels im Westchor des Naumburger Doms.
Die Rückseite des Altarretabels im Westchor des Naumburger Doms.dpa/Vereinigte Domstifter/VG Bildkunst Bonn 2023

Für die Madonna saß des Malers Tochter Modell. Die Gruppe dahinter steht für die Gemeinde. Das Damasttuch trägt die Taube als Symbol für den Heiligen Geist. Wir sehen ein Mädchen mit dem Lamm Gottes und den Heiligen Petrus mit Basecap, einen Rabbiner und den Pfarrer und Antifaschisten Dietrich Bonhoeffer. Die Predella auf der Vorder- und Rückseite verweist auf die Symbolik des Abendmahls und mit dem Grabtuch Jesus auf die Passion. „Um andere Menschen zu berühren, muss ich zuerst selbst berührt, emotional involviert sein“, so der 54-jährige Maler. „Deshalb sind die heiligen Personen meiner Bilder keine Phantasiegestalten oder Abziehbilder traditioneller Stereotypen. Sie haben reale Vorbilder, Menschen, denen ich begegnet bin, die mich interessieren, die ich liebe.“

Der Erfurter Maler Michael Triegel, ein Vertreter der „Leipziger Schule“ vor einem seiner altmeisterlichen Gemälde
Der Erfurter Maler Michael Triegel, ein Vertreter der „Leipziger Schule“ vor einem seiner altmeisterlichen GemäldeMartin Url

Triegels ausgefeilte, renaissancenahe Stilistik und seine Erzählweise sind klar, farbenprächtig, zugleich aber auch metaphorisch verrätselt. Die Körper, die Heiligengestalten, die Gegenstände hat er, typisch für seine Stilistik, aufgeladen mit biblischen wie weltlichen Bedeutungen, changierend zwischen Mittelalter und heutiger Zeit. „Meine Bilder entstehen nicht erst im Atelier“, sagt Triegel. „Sie entstehen beim Träumen, bei Gesprächen, auf Spaziergängen, beim Lesen. Oder auf Reisen.“ Er nennt Italien, Neapel, die ihn faszinierende Religiosität in den Kirchen, bei Prozessionen. Seine in der Perspektive des Goldenen Schnitts komponierten Mitteltafeln des Altars erinnern an die sakrale Malerei des 16. Jahrhunderts. Als das 3,30 Meter hohe Bildwerk im Juli 2022 auf dem alten, leeren Steinsockel aufgestellt war, reagierte die Öffentlichkeit positiv: die Domgemeinde, die erstaunlich einhellige Kunstkritik, die von nah und fern angereisten Dombesucher. Und die Medien, bis ins ferne Amerika, würdigten diese „Sacra Conversazione“.

Fünf Monate lang zog der neu-alte Marienaltar Kunstinteressierte an. Naumburgs Dom mit den berühmten zwölf Stifterfiguren aus dem 13. Jahrhundert im Westchor – als Star Uta von Naumburg, die „schönste Frau des Mittelalters“ – hatte nie dagewesene Besucherzahlen, glich einem Pilgerort. In nur vier Monaten kamen 70.000.

Anders reagierte das deutsche Icomos-Nationalkomitee des Internationalen Rates für Denkmalpflege. Das Triegel‘sche Malspektakel war ihm zu modern und die Symbiose mit Cranach wohl eher ein Sakrileg. Die Instanz wandte sich an die Unesco  in Paris und forderte die Entfernung des Altarretabels. Angeblich gefährde das Altarbild den erst 2018 zugeeigneten Weltkulturerbe-Status des Doms (und damit die begehrten Geldzuwendungen). Das Argument: Der Triegel-Cranach-Altar beeinträchtige die sensiblen Blickbeziehungen im Westchor, insbesondere auf die Stifterfiguren, den eigentlichen Kunstschatz des Chores. Als wenn das um 1519 und 20 Jahre lang bis zur Zerstörung des Retabels anders gewesen wäre. Cranachs Altarbild ragte sogar noch fast 30 Zentimeter höher. Und den Blick zu den berühmten Stifterfiguren versperrten seinerzeit schwere grüne Vorhänge. Die sandsteinernen Altvorderen waren damals eh nur an hohen kirchlichen Festtagen sichtbar.

Es war wie ein Hammerschlag für die Vereinigten Domstifter zu Naumburg, für Triegel und die Gemeinde: Icomos fand Gehör bei der Unesco. Das Altarbild musste im Dezember 2022 raus. Auch nach einem vielbeachteten wissenschaftlichen Kolloquium im November, bei dem die ganze Absurdität der beinharten Entscheidung zutage trat, gab es kein Pardon. Die Kunstwelt schüttelte den Kopf. Noch vor Weihnachten musste das Werk auf Tour gehen, zuerst ins Diözesanmuseum Paderborn, wo man über den temporären Exilanten – und den Publikumsandrang – glücklich war. Inzwischen genießt das Retabel ein liebevolles Asyl im Stift Klosterneuenburg bei Wien.

Kommando zurück!

Und nun staunt nicht nur die Kunstwelt über das „Kommando zurück“. Ein Jahr nach der Aufstellung des Altars im Naumburger Dom teilt das Welterbe-Zentrum aus Paris in einem Schreiben an die Bundesregierung mit, das Triegel-Cranach-Retabel könne an seine angestammte Stelle im Westchor zurückkehren. Vorerst bis Juli 2025. Die Unesco-Zusage enthält keine fachliche Anmerkung. Offenkundig gibt es keine wissenschaftliche Begründung für die von der Icomos erzwungene Verbannung des Bildwerkes. Und auch keinen Satz der Entschuldigung der Denkmalschutz-Instanz für diese Behördenposse. Michael Triegel und seine Auftraggeber hoffen, der groteske Streit sei nun beendet. Wissenschaft und Besucher hätten „endlich Zeit, sich ein eigenes Bild zu machen“.

Das österreichische Stift Klosterneuenburg indes hätte das Exil des Naumburger Altarbildes gern in einer „Einbürgerung“ verewigt. Nun heißt es Abschied nehmen. Die Transportkisten stehen bereit.