Es war Deutschlands großer Silicon-Valley-Moment: Ein Zahlungsdienstleistungsunternehmen, derart erfolgreich, dass es in die Elite des deutschen Aktienmarkts, den DAX, aufgenommen wurde, kam 2018 einer langersehnten Trendwende in der technologisch hinterherhinkenden Bundesrepublik gleich. Wahrscheinlich war es genau diese Hoffnung, die „Wirecard“ dabei half, die Fassade so lange aufrechtzuerhalten.
Genau genommen beginnt „King of Stonks“ mit einer Unwahrheit, wenn eingangs behauptet wird, dass die sechsteilige Netflix-Serie zwar vom größten Finanzskandal der deutschen Geschichte handele, bei dem Anleger und Staat um Milliarden betrogen wurden – Ähnlichkeiten mit realen Betrugsfällen aber rein zufällig seien. Die Lüge passt natürlich zu dem, wovon die Showrunner Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann hier erzählen. Die Macher von „How to Sell Drugs Online (Fast)“ imaginieren mit der „CableCash AG“ ein Unternehmen, das an den besagten realen Finanzdienstleister angelehnt ist. Die Geschichte dreht sich, mit einer spürbaren Lust an der Überspitzung, folglich vor allem um spektakuläre Täuschungsmanöver, Bluffs und Gaunereien.
Fiktive Umsätze, dubiose Kundschaft
Regisseur Jan Bonny inszeniert in rasender Geschwindigkeit, in grellbunten Farben und einem scharfen, mitunter harschen Ton. Das Ergebnis ist eine bissige Satire, die sowohl mit der Gier und Arroganz der Finanzbranche abrechnet, als auch Kritik an ihren verzückten Gefolgsleuten übt, die den skrupellos agierenden CEOs in den sozialen Medien noch Beifall klatschen.
Vom zweifelhaften Geniekult, der einen Elon Musk umgibt, träumt auch Magnus A. Cramer (Matthias Brandt). Er ist der schmierige Geschäftsführer der „CableCash AG“, der es in seiner zweiten Lebenshälfte endlich zu dem Erfolg bringen will, der ihm seiner Meinung nach seit Jahren zusteht. Anstatt sich aber mit den Belangen seines Unternehmens auseinanderzusetzen, jagt er lieber in bester „Wolf of Wall Street“-Manier von einer exzessiven Party zur nächsten.
Der eigentliche Kopf des Unternehmens ist sein junger Mitgründer Felix Armand (Thomas Schubert), der ihm bei öffentlichen Auftritten den Text vorsagt und nahezu rund um die Uhr Lösungen für ständig neu hinzukommende Probleme finden muss. Umsätze vorgaukeln, die es gar nicht gibt etwa, oder die dubiose Kundschaft, zu der unter anderem die italienische Mafia gehört, im Zaum halten.
Der Humor der Serie speist sich vor allem aus der Lächerlichkeit, der sich beide immer wieder preisgeben: Cramer durch seinen unsäglichen Narzissmus, den er bei aller Unfähigkeit selbstbewusst an den Tag legt, und Armand durch seinen unbeirrbaren Aufstiegswillen, der ihn immer wieder in aberwitzige Situationen manövriert.
Zur zentralen Kontrahentin soll ihm mit Sheila Williams (Larissa Sirah Herden) ausgerechnet eine Frau werden, in die sich Felix Armand verliebt hat. Dass sie in Wahrheit Shortsellerin ist und auf den Niedergang seiner Firma wettet, ahnt er nicht. Dass wir am Ende genau verstehen, was „Short Selling“ beziehungsweise Leerverkäufe am Aktienmarkt überhaupt sind, ist übrigens auch ein Verdienst der Serie.
Dass „King of Stonks“ in erster Linie aber sehr, sehr lustig ist, liegt auch an dem überaus begabten Ensemble, in dem neben Brandt, Herden und Schubert noch die bisher weitgehend unbekannte Altine Emini brilliert, die Armands über alle Grenzen hinausgehend loyale Assistentin spielt.
Keine Genies, nur Loser
Hochglanz-Serien, die sich mit gefallenen Start-up-Helden befassen, haben sich in den vergangenen Monaten zu einem kleinen Trend entwickelt. Apple legte mit „WeCrashed“ etwa eine hervorragend besetzte Miniserie um den exzentrischen Adam Neumann (Jared Leto), den Gründer des Co-Working-Spaces vermietenden Unternehmens „WeWork“, vor.
Disney+ rekapitulierte mit „The Dropout“ den Aufstieg und Fall von Elizabeth Holmes (Amanda Seyfried) und ihrem Unternehmen „Theranos“, dessen zentralem Produkt bescheinigt wurde, das Bluttestverfahren zu revolutionieren, ehe sich herausstellte, dass es zu keinem Zeitpunkt funktionierte.
Netflix selbst erzählte in neun Episoden von der berühmten Hochstaplerin Anna Delvey bzw. Sorokin (Julia Garner), der es als vermeintlich steinreicher Erbin beinahe gelang, mit einem 28-Millionen-Dollar-Kredit einen High-Society-Club inklusive Kunststiftung in New York City zu gründen.
Obwohl besagte Miniserien überaus unterhaltsam sind, scheitern sie an einem zentralen Punkt: Anstatt ihre Protagonisten zu demontieren, huldigen sie letztlich dem Genie-Kult, der ihren zweifelhaften Aufstieg erst möglich machte. „King of Stonks“ ist anders. Hier gibt es weit und breit keine Helden zu sehen, sondern nur Loser.
War „Wirecard“ Deutschlands großer Silicon-Valley-Moment, der sich letztlich als große Enttäuschung entpuppte, ist „King of Stonks“ Deutschlands großer Silicon-Valley-Serien-Moment, der sich im Gegensatz dazu als großer Erfolg erweisen könnte.
Wertung: 4 von 5 Punkten




