So hat man die 90er-Jahre lange nicht gesehen: „High School“ eröffnet mit einer Sequenz, die in ihrer opak-schmutzigen Farbgebung sofort an das ikonische Musikvideo zu „Smells Like Teen Spirit“ erinnert. Zwei nahezu identisch aussehende weibliche Teenager springen zu rauer Gitarrenmusik im halbdunklen elterlichen Wohnzimmer umher.
Courtney Loves kratzige Stimme ertönt, es läuft „She Walks on Me“ der Band Hole. Die Kamera fokussiert Details, die die beiden auch äußerlich als Teil der Grunge-Subkultur ausweisen: Lange Hosenketten baumeln an ausgewaschenen Jeans, darüber tragen sie, in bester Kurt-Cobain-Manier, weite Flanellhemden.
Neil Young nahm Tegan and Sara als Erster unter Vertrag
Die beiden Teenager werden später Tegan and Sara gründen, eine Band, deren Namen die meisten Menschen in Deutschland wahrscheinlich noch nie gehört haben. Doch auch wenn der ganz große Ruhm im Laufe ihrer bereits 25 Jahre währenden Karriere bisher ausgeblieben ist, können die lesbischen Musikerinnen auf eine überaus treue Fanbasis, insbesondere aus der queeren Community zählen. Darüber hinaus gehören namhafte Künstler zu ihren Bewunderern und Unterstützern: The White Stripes und Cyndi Lauper coverten ihre Songs, Neil Young nahm sie erstmals unter Vertrag, Katy Perry und Lady Gaga gingen mit ihnen auf Tour.

Die gute Nachricht ist: Um Gefallen an der Serie „High School“ zu finden, muss man Tegan and Sara nicht kennen. Auch ohne Vorwissen funktioniert die Serie als feinsinnige Coming-of-Age-Erzählung über das Aufwachsen in einer trostlosen Kleinstadt, zu einer Zeit, als Smartphones noch nicht existierten und damit gähnende Langeweile noch zu einer typischen Jugenderfahrung abseits der Metropolen gehörte.
Das Vergnügen ist aber durchaus noch größer, wenn man mit der Musik vertraut ist. Denn dann fällt auf, wie gut es Showrunnerin Clea DuVall („Happiest Season“) gelingt, deren eigentümliche Stimmung und wiederkehrende Motive auf den Bildschirm zu übertragen. Hier wie dort ist die Atmosphäre meist von einer melancholischen Schwere geprägt. Es geht um Sehnsucht nach Ausbruch und Veränderung, um Liebe und ihre Enttäuschungen, um überschäumende Euphorie und tiefe Krisen.
Was „High School“ so sehenswert macht, ist die frappierende Genauigkeit, mit der die Entwicklung der beiden Teenager, ihre freundschaftlichen wie familiären Beziehungen und ihre wechselhaften Gefühlswelten beobachtet werden. Die Schwestern sind gerade mit ihrer Mutter Simone (Cobie Smulders) in einen Vorort von Calgari gezogen. Wirklich wohl scheint sich dabei niemand aus der Familie zu fühlen.
Simone, die an ihrer Promotion arbeitet, möchte sich außerhalb ihrer Mutterrolle beweisen und kann sich nicht an die kleinstädtische Enge gewöhnen. Tegan (Railey Gilliland) und Sara (Seazynn Gilliland) müssen sich wiederum der heiklen Herausforderung stellen, an einer neuen Schule Anschluss zu finden. Auch das Verhältnis der beiden Schwestern ist nicht mehr so vertraut, wie es die Eröffnung vermuten lässt: Sara verbringt plötzlich viel Zeit mit der gemeinsamen Freundin Phoebe (Olivia Rouyre), Tegan fühlt sich ausgeschlossen.
Die Erzählperspektive wechselt zwischen den Zwillingen hin und her
Wie in den gleichnamigen Memoiren, auf denen „High School“ basiert, werden dieselben Geschehnisse aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Der konstante Perspektivwechsel erweist sich als kluger narrativer Kniff: So wird für den Zuschauer etwa erst dann klar, warum sich Sara mit Phoebe abkapselt, als die erste Folge nach der Hälfte in Saras Sichtweise wechselt. Die beiden verbindet mehr als platonische Gefühle, ihre Beziehung halten sie aus Angst vor Ablehnung jedoch geheim. Tegan sucht indes nach neuen Bekanntschaften, lernt die draufgängerische Maya (Amanda Fix) kennen – nimmt aber lange nicht wahr, dass auch zwischen ihnen mehr als Freundschaft ist.
Neben der besonderen Erzählweise und dem atmosphärischen 90er-Jahre-Setting ist auch das eine Besonderheit von „High School“: Nie zuvor dürfte eine Serie über das Erwachsenwerden und die Suche nach der eigenen Identität derart konsequent aus lesbischer Perspektive erzählt worden sein. Universal zugänglich bleibt die Handlung trotzdem: In einem Freundeskreis, zu dem mit der extrovertierten Natalie (Esther McGregor) und der mysteriösen Ali (Brianne Tju) bald zwei weitere Außenseiterinnen gehören, geht es um anschlussfähige Erlebnisse.
Die berauschende Erfahrung des ersten Punkkonzerts, heimliche Raves und das Experimentieren mit Alkohol und Drogen gehören dazu. Der Ärger, den sich Tegan und Sara so einhandeln, wird letztlich zum Auftakt ihres musikalischen Schaffens: Während eines Hausarrests entdecken sie die alte Gitarre ihres Stiefvaters (Kyle Bornheimer), sie beginnen, Texte zu schreiben und Melodien zu komponieren. Der Rest ist (Indie-)Geschichte.


