„Ich? Polizeichef?“ Sam wartet auf die Pointe. Vor ihm sitzt der Innenminister von Sachsen, Heinz Eggert, und fragt ihn, gerade ihn, was er als Polizeichef am Apparat ändern würde. Wo anfangen?
Sam (Malick Bauer) lebt in Dresden, ist Anfang 20 und bezeichnet sich seit kurzem nicht mehr als farbig oder als Mischling, sondern als Afrodeutscher. Dazu hat ihn die Dichterin und Aktivistin May Ayim inspiriert, die in der siebenteiligen Miniserie „Sam – Ein Sachse“ von der Sängerin Larissa Sira Herden alias Lary gespielt wird und nach der in Berlin eine Uferstraße an der Oberbaumbrücke benannt ist. Sam ist ihr bei der Veranstaltung einer Arbeitsgruppe von Afrodeutschen aus dem frisch vereinten Deutschland begegnet – ein Treffen, das ihn positiv erschütterte, war er es doch gewohnt, stets der einzige Nicht-Weiße im Raum zu sein.
Sams Vater, der aus Kamerun zum Studieren in die DDR gekommen war, starb an dem Tag, als sein Sohn geboren wurde. Die genauen Umstände blieben ungeklärt, seine Mutter (Carina Wiese) vermutet einen Mord. Mit ihrem Sohn ist sie überfordert, greift regelmäßig zur Schnapsflasche. Als Kind muss der Kleine nach der Schule im Treppenhaus sitzen, bis Mama nach Hause kommt, „weil er drinnen ja nur Unordnung macht“, wie er brav der besorgten Nachbarin im Plattenbau erzählt. Was die Mutter ihrem Sohn sonst noch antat, spart die Serie aus, es ist nachzulesen in der Autobiografie von Samuel Meffire, die vor einigen Wochen erschienen ist.
Berühmt durch eine Imagekampagne für ein weltoffenes Sachsen
1992 wurde Meffire berühmt, weil sein Gesicht deutschlandweit groß auf Plakaten abgebildet war, die das Image von Sachsen verbessern sollten. „Ein Sachse“, stand über dem Porträt, das zur Hochzeit der Baseballschlägerjahre „verunsicherte Investoren“, wie es in der Serie ein PR-Agentur-Fatzke ausdrückt, davon überzeugen sollte, dass der Rassismus in Ostdeutschland von den Westmedien künstlich hochgeschrieben wurde.
Meffire hat anderes erlebt. Schon in der DDR gehörten verbale und physische Angriffe aufgrund seiner Hautfarbe zum Alltag, nach der Wende machten die Nazis aktiv Jagd auf ihn und alle anderen, die in ihren Augen nicht deutsch aussahen. Die Polizei setzte dem Terror bekanntlich für viele Jahre wenig entgegen.

In der Serie absolviert Sam seine Ausbildung noch in der DDR, nach der Wende, nach der der Ruf „Wir sind das Volk“ in Sams Ohren bald von „Deutschland den Deutschen“ übertönt wird, findet er Anschluss an eine Gruppe von anderen Afrodeutschen, die für die Sicherheit in einer Diskothek sorgen. Als ihnen Rockergruppen aus dem Westen den Kampf ansagen, geht Sam zurück in den Polizeidienst, wo man ihn mit den Worten „Wir müssen Sie erst mal richtig ausbilden, damit Sie überhaupt auf Westniveau kommen“, empfängt. Westniveau heißt auf diesem Dresdener Revier auch, dass rassistische Straftaten aktiv verschleiert werden. Für die Plakatkampagne haben seine Kollegen konsequenterweise nur Verachtung übrig, ganz anders als der eingangs erwähnte Innenminister (Martin Brambach), der fortan mit Sams Hilfe die versifften Strukturen aufbrechen will. Irgendwann wird Sam jedoch selbst kriminell, sein Absturz spielt den Rechten in die Karten.
Schon seit 2006 versuchte der Schauspieler und Produzent Tyron Ricketts zusammen mit den Produzenten Jörg Winger und Sebastian Werninger, dieses Leben zu verfilmen, anhand dessen so viel über die deutsche Geschichte erzählt werden kann. Doch Meffire selbst haderte immer wieder damit. Nun ist es vollbracht, das Ergebnis ist die erste deutsche Serie, die exklusiv für die Streamingplattform Disney+ entwickelt wurde. „Es tauchen zwar keine Drachen auf oder Zauberer, aber ansonsten passiert alles, wie man es von diesen Formaten kennt. Die Geschichte ist ein Stück weit überlebensgroß gezeichnet“, sagte Meffire im Interview mit dieser Zeitung über die Umsetzung, mit der er wohl auch deshalb nicht hadert, weil seine eigene Sicht auf die Vergangenheit nun ebenfalls nachzulesen ist.


