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In des Vaterlands Fresse: So gut ist die Serie „Haus Kummerveldt“ auf Arte

Furiose Inszenierung: In der Serie „Haus Kummerveldt“ rebelliert eine junge Adlige mit allen Mitteln gegen den patriarchalen Kleingeist des Wilhelminischen Zeitalters.

Lässt sich von den Männern nicht einschüchtern: Luise (Milena Straube) in „Haus Kummerveldt“
Lässt sich von den Männern nicht einschüchtern: Luise (Milena Straube) in „Haus Kummerveldt“ZDF/ABBYLL

Luise von Kummerveldt (Milena Straube) muss schreiben, schreiben, schreiben. Die Literatur ist der einzige Ausweg aus einem Leben, in dem sich „all die Fremden“ dazu ermächtigt fühlen, ihr „in die Seele hinein“ zu reden und sich um ihr „Weibsein“ zu kümmern. Am Ende des 19. Jahrhunderts rebelliert die junge Adlige gegen die engen Grenzen, die ihr das strenge Patriarchat im Deutschen Kaiserreich als Frau auferlegt. Sie strebt nach einem Dasein als Schriftstellerin.

Wohl auch wegen der existenziellen Tragweite, die das literarische Schreiben für ihre unbotmäßige Protagonistin besitzt, wird die ungeheure Kraft der poetisch-punkigen Sprache zum größten Ereignis dieser im allerbesten Sinne widerspenstigen Serie. Luises lyrisch-energische Gedanken sind inspiriert von den Werken bedeutender Autorinnen der vergangenen drei Jahrhunderte wie Hedwig Dohm, Mary Shelley oder Else Lasker-Schüler, und begleiten fortwährend das illustre Treiben im „Haus Kummerveldt“.

Dorthin, auf das Wasserschloss irgendwo im Münsterland, ist gerade ihr jüngerer Bruder Veit (Marcel Becker-Neu) zurückgekehrt. Nach dem Tod des wohlwollenden Vaters ist er der neue Baron und möchte umgehend neue Saiten aufziehen: Getreu der Auffassung, dass Frauen doch viel besser versuchen sollten, Gedichte zu sein, als welche zu schreiben, soll Luise endlich verheiratet werden und als treuliebende Ehefrau ihre „patriotischen Pflichten“ erfüllen.

Auf den Heiratsantrag eines wesentlich älteren Grafen (Manuel Talarico) reagiert sie zu Beginn der sechsteiligen Serie allerdings ungehalten: „Ich will schreien. In des Vaterlands Fresse schreien und spucken. Doch drückt die dumme Sau mir die Kehle zu und raus kommt nur ein Pieps“, dröhnt es in ihrem Kopf; Bilder von sich als Braut flackern vor ihrem geistigen Auge auf, und anstatt eine Antwort zu geben, springt sie wortlos aus dem Fenster.

„Haus Kummerveldt“ auf Arte: Herrlich kurios und wohltuend ernsthaft

Wovon „Haus Kummerveldt“ erzählt, ist gleichzeitig herrlich kurios und gleichsam wohltuend ernsthaft. Die fanatischen Machtspiele zwischen den beiden Geschwistern bestimmen das weitere Geschehen maßgeblich: In raffinierten Wortduellen führen sie sich gegenseitig vor – oder fordern sich zu abstrusen Mutproben heraus, wie ein Schießduell im Wald, bei dem kurzerhand die Geschlechterrollen getauscht werden.

„Haus Kummerveldt“, die von Cécil Joyce Röski und Charlotte Krafft geschriebene Serie, verhandelt den Widerstreit zwischen Obrigkeitsdenken (in dem vor allem Stand, Ehre und Familie zählen) und feministisch-fortschrittlichen Idealen (zu denen individuelle Freiheit, Gleichheit und weibliche Selbstbestimmung gehören), und schließt so trotz des historischen Settings klar an bis heute fortwährende gesellschaftliche Konfliktlinien an.

Mit dem wilhelminischen Zeitalter bricht auch die experimentierfreudige Inszenierung der jeweils (leider nur!) etwa 20-minütigen Episoden durch den Creator und Regisseur Mark Lorei. Immer wieder kommen Splitscreens zum Einsatz, wiederholt färbt sich das Bild in Neonfarben, und gekonnt platzierte Pop- und Punk-Songs unterstreichen, wie sehr „Haus Kummerveldt“ am Hier und Jetzt interessiert ist. Ein ebenso furioses wie scharfsinniges Kleinod von einer Serie, wie es sie viel zu selten gibt.

Haus Kummerveldt. Serie. Sechs Folgen, Arte-Mediathek