„You can’t fuck with Superman“ schreit Sergeant Wayne Jenkins (Jon Bernthal), als er in Gewahrsam genommen wird. Mit Verhaftungen kennt er sich aus, der Polizist ist berüchtigt für seine zahlreichen und brutalen Festnahmen. Dass er nun selbst dran ist, tut seinem Selbstbewusstsein spontan keinen Abbruch – verständlich, hat er doch seit Beginn seiner Polizeilaufbahn fast täglich die Erfahrung gemacht, dass es für sein Verhalten keine Konsequenzen gibt.
In einer Szene, da ist er noch nicht lange im Dienst, wird er ins Büro seines Vorgesetzten gerufen. Er hat mal wieder einen Unschuldigen verprügelt, nun kam dessen offizielle Beschwerde. Die Kollegen empfangen Jenkins mit ernsten Mienen. Was er sich bloß gedacht habe und ob er wisse, was ihm nun blühe? Jenkins windet sich, wird unsicher – dann prusten die Kollegen los. Natürlich alles nur ein Scherz. Man bestrafe doch niemanden für die Art von Polizeiarbeit, die Beschwerden verursacht. Man wird allerdings unter Umständen versetzt, zum Beispiel in die „Gun Trace Task Force“, eine Spezialeinheit für die Sicherstellung von Waffen und Drogen, wo harte Hunde mit fragwürdigem Moralkodex herzlich willkommen sind.
Wer verhaftet, wird belohnt
David Simon, der vor zwanzig Jahren mit „The Wire“ seinen Beitrag zum Beginn eines neuen goldenen Fernsehzeitalters leistete, erzählt nun, gemeinsam mit George Pelecanos, abermals eine düstere Geschichte von der Polizei in Baltimore. Basierend auf dem gleichnamigen Buch des Reporters Justin Denton, zeichnen die Serienmacher die wahre Geschichte des Aufstiegs und Untergangs der Gun Trace Task Force nach, doch es wird schnell deutlich, dass diese Spezialeinheit nur den extremsten Auswuchs einer Wucherung darstellt, die längst im gesamten System gestreut ist.
Verhaftungen sind die Währung, in der in Baltimore Erfolg gemessen wird, besonders im Jahr 2017, in dem ein Großteil der Handlung spielt. Zwei Jahre zuvor war der 25-jährige Freddie Gray brutal in Gewahrsam genommen worden, weil er ein Messer in der Tasche hatte, völlig legal, wie sich später herausstellte. Kurz darauf starb er an Verletzungen am Rückenmark. Die genauen Umstände sind bis heute nicht geklärt; 2017 wird bekanntgegeben, dass keiner der sechs Beamten bestraft wird. In der Folge ist das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Polizei so katastrophal wie noch nie, der Personalmangel verschärft sich. Manche Polizisten verlassen kaum noch ihre Autos und wenn, können sie kaum noch Fälle aufklären, weil niemand mit ihnen spricht.
In diesem Klima will der umstrittenen Gun Trace Task Force niemand etwas entgegensetzen und die Beamten merken schnell, dass sie quasi machen können, was sie wollen. Es beginnt mit kleinen Betrügereien bei den Überstunden, dann werden sich hin und wieder ein paar Scheine von konfisziertem Geld eingesteckt. Erst als die Aktionen der Abteilung in puncto Dreistigkeit, Brutalität und krimineller Energie beispiellose Ausmaße annehmen, werden das FBI und die Bürgerrechtsabteilung des Justizministeriums auf den Plan gerufen.
Was muss ein Cop in Baltimore tun, um seinen Job zu verlieren?
Für letzteres ist Nicole Steele (Wunmi Mosaku) im Einsatz, deren unerschütterliche Ruhe in Anbetracht ihres Ermittlungsgegenstands irritiert. Fast stoisch klappert sie einen Mächtigen nach dem anderen ab, jeder schiebt die Verantwortung von sich weg. Steeles Figur bricht die komplizierten Verstrickungen für die Zuschauer herunter. Sie fragt, hört zu, bietet Schlüsse an. „Könnte es eine Situation geben, in der ein Cop in Baltimore wegen Brutalität oder Amtsmissbrauchs seinen Job verliert?“, will sie von einem Gewerkschafter wissen, nachdem sie einen Berg von Beschwerden gesichtet hat. „Sicher“, antwortet er. „Ist es je passiert?“ „Wir sind als Gewerkschaft dafür da, unsere Mitglieder zu unterstützen.“
Wenn man als Zuschauer nur noch schreien will, schrauben Simon und Co. die Emotionen zurück. Sie zeigen uns nicht die Tränen der Opfer, halten sich nicht mit Einzelfällen auf, sondern reihen aneinander, was, wir ahnen es, doch nur ein Bruchteil sein kann. Wir erleben den Siegeszug von Beamten, die Unschuldige vor ihren Kindern demütigen, wahllos stehlen, prügeln und schikanieren, die sich gegenseitig schützen und nie ein schlechtes Gewissen haben, weil sie letztlich dafür belohnt werden.
Weil es eben nicht auf klassische Figurenentwicklung oder emotionales Drama setzt, ist „We Own This City“ nicht unbedingt zugänglich – es dauert eine Weile, bis man sich im Wust von Charakteren und Zeitebenen zurechtfindet. Doch ganz subtil schleicht sich im Laufe der sechs Folgen schließlich ein Gefühl für die Ursprünge und universellen Mechanismen eines Systems ein, in dem sich ein Superschurke ganz ironielos als Superman fühlt.
Wertung: 4 von 5 Punkten


