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„Shining Girls“: Apple sucht den Frauenmörder

Elizabeth Moss dreht den Spieß um: Gemeinsam mit einem Journalisten jagt sie ihren Stalker, entdeckt so eine Serie ungelöster Mordfälle. Wer steckt dahinter?

Auf der Suche nach dem Täter: Kirby (Elizabeth Moss) und Dan (Wagner Moura).
Auf der Suche nach dem Täter: Kirby (Elizabeth Moss) und Dan (Wagner Moura).Apple TV+

Berlin-Dass Kirby Mazrachi (Elizabeth Moss) vielleicht etwas instabil ist, merkt das Publikum von Apples neuer Miniserie „Shining Girls“ schnell. Die Enddreißigerin schreibt exzessiv Tagebuch, notiert sich darin ihre Adresse, ihre Haustiere, mit wem sie zusammenlebt und in welchem Stockwerk. Sie versteckt das Buch mit ihren Eintragungen – oder besser: Erinnerungen – tief unter ihrer Matratze. Als Archivarin der Zeitung Chicago Sun-Times wirkt sie merkwürdig entrückt, mitunter realitätsfern. Kolleginnen und Kollegen können sich kaum an Kirby erinnern, viele kennen nicht einmal ihren Namen. Sie verschwindet in der Masse, scheint sich im Unbeobachteten wohlzufühlen.

Und auch Kirby selbst ist in Hinblick auf ihre Identität regelmäßig verunsichert; auf ihre Erinnerungen – oder: Eintragungen im Tagebuch – kann die Archivarin sich nicht verlassen. Glaubte sie morgens noch, mit ihrer Mutter und Katze zusammenzuleben, versucht sie nach Feierabend, die falsche Wohnung aufzuschließen, ist plötzlich mit ihrem Arbeitskollegen verheiratet, oder hat einen Hund. Doch niemand sonst nimmt die Veränderungen war. Ist sie paranoid?

Vor vielen Jahren wurde sie Opfer eines extremen Gewaltverbrechens, überlebte nur knapp. Sind die Realitätssprünge also Folgen von posttraumatischem Stress? Als die Leiche einer seit zwei Jahren vermissten Frau plötzlich gefunden wird, erkennt Kirby Parallelen zu ihrem eigenen Überfall und begibt sich mit dem Journalisten Dan Velazquez (Wagner Moura) auf Spurensuche. Der scheint mit ganz eigenen Dämonen zu kämpfen, ist als alleinerziehender Vater und Vollblutreporter oft heillos überfordert. Das ungleiche Paar vermutet schnell eine Serie unentdeckter Feminizide.

Leonardo DiCaprio als Produzent

Seit über 20 Jahren werden Frauen in der Stadt ermordet, alle haben dieselben Verletzungen – großflächige Schnittwunden am Oberkörper –, wie auch Kirby sie erlitt. Der Täter hinterließ an jedem Tatort einen persönlichen Gegenstand. Die Polizei erkannte die Zusammenhänge bisher nicht, die Mordfälle blieben ungelöst, verschwanden als „Cold Cases“ im Polizeiarchiv. Gemeinsam übernehmen Kirby und Dan die Arbeit der Polizei, wühlen sich durch alte Akten. Doch die zeitliche Abfolge der Morde scheint nicht zu stimmen, vieles lässt sich nicht erklären, der Täter scheint kaum zu altern. Ist das Kirbys zunehmender Realitätsverlust oder steckt doch mehr dahinter?

Die von Oscar-Preisträger Leonardo DiCaprio produzierte Serie, basierend auf dem gleichnamigen Bestseller von Lauren Beuke, bleibt von Anfang bis Ende ein packender Krimi. Zuschauerinnen und Zuschauer wissen nie genau, welcher Realität – Kirbys oder einer anderen – sie gerade folgen. Dass einige zentrale Ereignisse oft doppelt gezeigt werden, aus unterschiedlichen Perspektiven und zeitlich verschoben, irritiert zusätzlich. Obwohl zumindest dem Publikum der Täter (Jamie Bell) ab der ersten Folge bekannt ist, bleibt lange unklar, wie er über Jahrzehnte unbemerkt morden konnte.

Frauen bleiben keine stummen Opfer

„Shining Girls“ zeigt ungeschönt männliche Gewalt an Frauen, einen besonders kaltblütigen Mörder, der seine Opfer schon lange vor dem Morden malträtierte: durch Anrufe, massives Stalking, Ausspionieren. Nur erkennen viele der Frauen die darin liegende Gefahr lange nicht, oder sind bereits zu sehr an übergriffige Männer gewöhnt. Die sadistische Gewaltserie durch die Jahrzehnte lässt sich somit auch so lesen: Gewalt gegen Frauen gehört für viele schon so sehr zum Alltag, dass Frauen sie kaum mehr wahrnehmen. Der Feminizid ist lediglich das besonders brutale Ende einer andauernden Gewaltspirale.

Doch Apple lässt die Frauen hier keine stummen Opfer spielen. Kirby kämpft sich auf der Suche nach dem Täter kraftvoll zurück ins Leben, empowert sich selbst. Auch dank Elizabeth Moss‘ großartiger Schauspielleistung ist das sehenswert: Eine Frau verfolgt bissig – aber nie verbissen – ihren Stalker. Das einzig Bittere an „Shining Girls“: ermordete und verfolgte Frauen, ein bestialischer Täter, desaströse Polizeiarbeit. Das alles hat man auf der großen und kleinen Leinwand schon oft genug gesehen. Eine Umkehr altbekannter Rollen – auch abseits der Leinwand – wäre interessanter.

Wertung 5 von 5 Punkten

Shining Girls, Serie, 8 Folgen, Apple TV+, ab 29.04.