Das Konzept Superheld lebt von Kontrasten, das wird in der neusten Marvel-Serie gleich im Titel deutlich. Der Reflex, Anwälte mit Monstern gleichzusetzen, mag zwar gar nicht so fern liegen, dann allerdings eher in verschlagener Tarnung à la Al Pacino in „Im Auftrag des Teufels“, denn als elefantengroßer giftgrüner Kraftprotz. Zu einem solchen verwandelt sich bekanntlich der Wissenschaftler Bruce Banner, wenn seine friedliebende Persönlichkeit in Stresssituationen dem „Hulk“ weichen muss. Die blinde Aggression, aufgestaut seit der Kindheit mit einem gewalttätigen Vater, freigesetzt und potenziert durch Gamma-Strahlung, bekam der Avenger nach vielen Jahren einigermaßen unter Kontrolle – mit Selbstdisziplin, feinfühliger Unterstützung seiner ehemaligen Gefährtin Natasha Romanoff alias Black Widow und wissenschaftlichen Durchbrüchen. Seit einiger Zeit lebt er im Kino-Universum von Marvel nun überwiegend als „Smart Hulk“, also in grüner Form mit Banners geistigem Innenleben.
Seine Mutation nimmt Bruce Banner trotzdem weiterhin als Fluch wahr und umso größer ist seine Verzweiflung darüber, dass er diesen unfreiwillig auf seine Cousine überträgt. Als die Anwältin ihren Cousin nach einem Unfall aus dem Autowrack zerren will, gerät sein Blut in ihren Organismus, und die Verwandlung folgt sogleich. Nach ein paar Eskapaden erwacht Jennifer in einem tropischen Luxusanwesen, wo Bruce sie im harten Kampf gegen das grüne Alter Ego unterstützen will. Doch Überraschung: In Jennifers Brust wohnt gar keine zweite Seele und auch kein Aggressionsproblem. „Frauen sind Profis darin, ihre Emotionen zu unterdrücken“, erklärt Jennifer dem smarten Hulk, anders komme man gar nicht durchs Leben. Was She-Hulk-Erfinder Stan Lee im Comic noch auf eine mildere Version der Hulk-Infektion zurückführte, bekommt in der Serie also eine klare gesellschaftspolitische Färbung und bildet die Grundlage für die Erzählung, die sich fortan mit moderner Weiblichkeit beschäftigt.
Die Männer stehen auf She-Hulk
Zum absoluten Unverständnis von Bruce Banner spielt Jennifer keine Sekunde mit dem Gedanken, mit ihren neuen Kräften ein Superhelden-Dasein zu führen, oder gar den Avengers beizutreten. Sie will ihr altes Leben weiterleben, inklusive der Karriere als Anwältin. Doch schon bei ihrem ersten Gerichtstermin scheitert der Plan: Als eine bekannte Influencerin mit Superkräften Ärger macht, muss Jennifer in grüner Form die Geschworen und Co. retten, was ihr zwar viel Dankbarkeit, aber auch die Kündigung einbringt. Eine andere Kanzlei bietet ihr die Leitung der Abteilung für übermenschliche Angelegenheiten an, allerdings unter der Bedingung, dass sie ausschließlich als She-Hulk, wie ein männlicher Reporter sie taufte, zur Arbeit erscheint.
Auch für Jennifers Privatleben bieten die neuen Kräfte, die sie eigentlich ignorieren wollte, ganz neue Möglichkeiten. Während ihr das menschliche Foto im Dating-Profil kaum Matches einbringt, lässt das grüne Abbild permanent das Handy summen und die Anwärter Schlange stehen. Ein durchtrainierter Onkologe für Kinder, der lieber zuhört, als über sich zu sprechen, will nur allzu bereitwillig von She-Hulk ins Bett getragen werden – als er morgens bei Jennifer aufwacht, folgt die Ernüchterung.
Ähnlich düpiert fühlt sich ein ehemaliger Kollege von Jen, der nun ihre neue Kanzlei beauftragt hat, eine ältere Bewohnerin Asgards zu verklagen, die in der Beziehung zu ihm die Gestalt von Superstar Megan Thee Stallion angenommen und den arroganten Schnösel um eine ordentliche Summe erleichtert hat.
In ihrem Spiel mit der Beziehung zwischen Äußerlichkeit und Identität werfen die Autoren um Jessica Gao mitunter interessante Fragen auf, die allerdings in erster Linie auf den humoristischen Effekt abzielen – meistens mit mäßigem Erfolg. Wie schon in den Comics durchbricht die Heldin mit Kommentaren in Richtung Zuschauer auch in der Serie regelmäßig die vierte Wand, was allerdings keinen Mehrwert bietet, außer dass sich die Serie auf diese Art stilistisch minimal von den anderen Titeln des Marvel-Universums abgrenzen kann. Tatiana Maslany, die für ihre Rolle(n) in der großartigen Klon-Serie „Orphan Black“ mit Preisen überschüttet wurde, geht in der scherzenden Riesin unter, ihre CGI-Version bewegt sich gefährlich an der Grenze zum Uncanny Valley, also dem Bereich, in dem künstliche Figuren Menschen extrem ähneln, aber eine bleibende Irritation zur Ablehnung führt. Vielleicht hätten ein paar Poren oder weniger Schwung im Kunsthaar She-Hulk gutgetan.
Insider-Witze und diverse hochkarätige Gastauftritte dürften bei Fans des Franchises durchaus für Entzückung sorgen, um Neulinge zum Einstieg ins Marvel Cinematic Universe zu motivieren, werden She-Hulks Kräfte allerdings kaum ausreichen.
Wertung: 3 von 5 Punkten



