Ein Mann wird von Nazischergen abgeführt. Seinen Kopf haben sie in einen Leinensack gesteckt. Selbstverständlich ahnen wir, wessen Gesicht sich darunter verbirgt. Große Überraschungen waren noch nie Teil der ikonischen Filmreihe um den draufgängerischen Archäologen Indiana Jones. Vielmehr ging es immer schon um ein Gefühl von Geborgenheit: Man konnte sich sicher sein, dass der Held, wenngleich nicht heroisch, so doch mit dem Glück eines Straßenköters durch alle Gefahren der Welt hindurchstolpern würde.
Nun, ganze 15 Jahre nach dem enttäuschenden „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“, bei dem sich Steven Spielberg von George Lucas die Sache mit den Aliens hat einreden lassen, nimmt James Mangold auf dem Regiestuhl Platz. Der hat mit Filmen wie dem unterschätzten Stallone-Drama „Copland“ (1997) und dem gefeierten, bierernsten X-Men-Ableger „Logan“ (2017) bewiesen, dass er die gesamte Klaviatur Hollywoods beherrscht. Den Mut, eine der beliebtesten Figuren der Filmgeschichte zu einem Ende zu bringen, muss man erst mal aufbringen. Jeder hat seine eigene Geschichte mit dem Franchise und folglich auch eigene Erwartungen. Man kann eigentlich nur scheitern.
Und genau das tut „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ nach einer ersten atemberaubend-jugendlichen Stunde, in der der digital verjüngte Harrison Ford auf einem fahrenden Zug den klassischen Indy geben darf, sich und seinen Archäologie-Kollegen Basil Shaw (Toby Jones) vor bösen, cartoonhaften Nazis retten muss. Denen wollten die beiden Wissenschaftler eigentlich nur irgendein Artefakt vor der Nase wegschnappen, von dem es heißt, es könnte den Verlauf des Krieges auf den Kopf stellen.
Auf der Suche nach dem Rad des Schicksals
Nazideutschland steht kurz vor dem Zusammenbruch. Durch die Luft donnern die Detonationen. Und dem wahnsinnigen Physiker Dr. Zoller (Mads Mikkelsen) fällt in der Tat das Bruchstück einer historischen Waffe in die Hände: die Hälfte des titelgebenden Rads des Schicksals, das von Archimedes entworfen wurde und von dem angenommen wird, dass damit Zeitreisen möglich sind. Indy – wer hätte es gedacht – entkommt und entwendet mit der ihm eigenen hemdsärmeligen Gerissenheit das wertvolle Gut.
Dann, einen gewaltigen Zeitsprung später, im Jahre 1969, ist Indiana Jones am Ende seiner Karriere. Alt und grantig unterrichtet er an der Uni weitgehend desinteressierte Studenten. Bis sein Patenkind auftaucht, die Tochter seines mittlerweile verstorbenen Kollegen Basil: Helena Shaw (Phoebe Waller-Bridge). Sie ist auf der Suche nach dem Rad des Schicksals – und damit nicht allein. Auch Dr. Zoller, der unter falschem Namen für die amerikanische Regierung arbeitet, hat einen diabolischen Plan gefasst. So passiert, was letztlich in allen „Indiana Jones“-Filmen passiert: Ein rasanter Wettlauf um die Welt beginnt.
Wobei sich das mit der Rasanz im Rahmen hält. Harrison Ford ist schließlich mittlerweile 80 Jahre alt und definitiv kein Tom Cruise. Actionszenen im Stile von „Mission: Impossible“ sind nicht mehr drin. „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ bleibt gediegen und ist dennoch – bis zum übertriebenen und völlig unnötigen Finale – eine ziemlich unterhaltsame Zeitreise mit einem Oldschool-Blockbuster, der das Fiasko mit dem Kristallschädel vergessen macht: die für Spielberg untypischen, lausigen CGI-Effekte und einen Shia LaBeouf, dessen behauptet aufmüpfiger Charakter nie mit Harrison Ford harmonieren wollte.
Man hat es auch diesmal nur mit einem durchschnittlichen Film zu tun
Doch hat man es auch diesmal nur mit einem durchschnittlichen Film zu tun. Man muss in dieser Hinsicht ehrlich sein: Die ersten drei Abenteuer sind unerreichbar, unantastbar und aus einer anderen Zeit. Ob „Jäger des verlorenen Schatzes“, würde er heute erscheinen, auf ein derart positives Echo stoßen würde? Es sind arge Zweifel angebracht. Heutige Blockbuster funktionieren anders, folgen eher der Logik des seriellen Erzählens (Marvel) und müssen mit übergroßen digitalen Schlachtengemälden die Augen der Zuschauer verdrehen.
Häufig wendet man sich mit großer Sehnsucht an die Magie der alten Schule, zu der eben auch „Indiana Jones“ gehört. Sobald das ikonische Musikmotiv von Komponisten-Legende John Williams erklingt, bin ich jedenfalls wieder der kleine Junge. Eingehüllt in eine Wolldecke, habe ich es mir auf dem Sofa der geliebten Großeltern gemütlich gemacht, um mit dem draufgängerischen Archäologen in eine abenteuerliche Welt einzutauchen.
Es liegt ein unendlich gemütliches Gefühl in diesen Bildern, die in meiner heutigen Vorstellung immer ein wenig nach Früchtetee und Butterkeksen riechen. Das, was uns begeistert hat, war und ist bis heute die Figur Indy. Der Hut, die Lederjacke und die knallende Peitsche ergeben das unerschütterliche popkulturelle Bild des Abenteurers, der weit davon entfernt ist, ein sauberer Held zu sein. Jones war immer mehr ein Mann für alle Gelegenheiten, ein hochintelligenter Schwerenöter und Wüstling. Zwischen all diesen charmanten Unzulänglichkeiten, all den Ecken und Kanten blieb immer genug Raum, um sich sein eigenes Bild zu machen.
Wir wollten alle Archäologen werden
Als ich (Jahrgang 1986) und meine Freunde die Filme gesehen haben, waren sie fester Bestandteil des Fernsehprogramms. Dem linearen Fernsehen sei Dank, haben wir das Sehereignis sofort am nächsten Schultag geteilt. Und wir waren eigentlich zu jung. Doch wenn „Indiana Jones“ eines ist, dann eine Art Kinderfilm – zumindest haben wir einen daraus gemacht und unsere Eltern haben wohlwollend zugestimmt. So wollten wir alle, zumindest für eine gewisse Zeit, Archäologen werden, auch weil das abenteuerliche Treiben herzlich wenig mit der echten Wissenschaft zu tun hat.
Heute ist es mein Sohn, der gemeinsam mit mir „Jäger des verlorenen Schatzes“ oder „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ bestaunt. Es sagt viel über die Qualität der Filme aus, dass er diese Welt über den Soundtrack kennengelernt hat. Ohne die zeitlosen Melodien von John Williams wäre die Kunst von Spielberg in weiten Teilen undenkbar. Erst diese Musik verleiht dem B-Movie-Charme, all den schmelzenden Nazis und den Geistern von Kreuzrittern eine unaufdringliche Ernsthaftigkeit.



