Kino

„Skinamarink“: Der furchterregendste Film des Jahres kommt nach Berlin

Er hat nur 30.000 Dollar gekostet und bereits mehrere Millionen eingespielt: „Skinamarink“ ist der Hype des Jahres – und nur hier zu sehen.

Kevin (Lucas Paul) allein zu Haus, mitten in der Nacht, ohne Eltern und ohne Hoffnung
Kevin (Lucas Paul) allein zu Haus, mitten in der Nacht, ohne Eltern und ohne HoffnungCapelight Pictures Plaion Pictures

Alle paar Jahre kommt ein Horrorfilm in die Kinos, der das Genre ordentlich durchrüttelt. David Lynch hat mit „Eraserhead“ (1977) das Fürchten neu gelehrt. Bald danach feierten Tobe Hooper und Steven Spielberg mit „Poltergeist“ (1982) Erfolge. Die japanische „Ring“-Reihe inspirierte 1998 Filmemacher weltweit zu Geistergeschichten um Liebe und Vergeltung, bevor „The Blair Witch Project“ 1999 eine Flut von Mockumentarys lostrat. Und „Paranormal Activity“ (2007) zieht mittlerweile eine ganze Reihe von mehr oder minder gelungenen Sequels hinter sich her.

Nun reiht sich ein kleiner kanadischer Film mit dem seltsamen Titel „Skinamarink“ und einer wirklich überschaubaren Handlung ein: Der vierjährige Kevin (Lucas Paul) und seine sechsjährige Schwester Kaylee (Dali Rose Tetrault) wachen nachts allein im Haus auf. Die Eltern sind verschwunden, Türen und Fenster ebenso.

Ziellos irren die Kinder durch das große Haus, man sieht sie von hinten durch die Flure spazieren, auf dem Boden liegt Spielzeug, mal hängt es von der Decke, mal an einer Wand. Der einzige, im wahrsten Sinne des Wortes, Lichtblick sind die Cartoons, die im Fernsehen in einer Dauerschleife zu laufen scheinen und deren manische Fröhlichkeit in hartem Kontrast zur körnigen Finsternis des nächtlichen Hauses und dem zunehmenden Gefühl der Bedrohung steht.

Fiebriger Albtraum

Denn zu ihrem Unglück sind Kevin und Kaylee doch nicht ganz allein. Eine unheimliche Stimme befiehlt den Geschwistern nach oben zu kommen, um mit ihr zu spielen. Die Kinder gehorchen und verschwinden in der Dunkelheit des nur spärlich beleuchteten Hauses.

Und genau genommen passiert auch nicht viel mehr in Kyle Edward Balls „Skinamarink“ (benannt nach einem amerikanischen Kinderlied), der seinen Film mit einem Minibudget von nur 15.000 Dollar realisiert hat und dessen Werk dank einer geleakten Filmdatei und TikTok schon vor dem offiziellen Release zum Horror-Hit des Jahres avancierte. Und das vollkommen gerechtfertigt, manifestieren sich doch in der irgendwie belebt wirkenden Dunkelheit des Hauses für Kevin und Kaylee alle Ängste, die Kinder peinigen: etwa die Furcht, alleine zu sein, wenn man mitten in der Nacht aus einem fiebrigen Albtraum erwacht und seine Eltern nicht findet.

„Skinamarink“ spielt perfekt mit dieser Urangst, erklärt nichts und zeigt wenig. Das stumpfe Licht beleuchtet schwach die Reise der Kinder durch das stille Haus. Mal sieht man sie aus der Froschperspektive, ihre kleinen Beine, mal ihre Hinterköpfe, selten ihre Gesichter, die lange in die undurchdringliche Dunkelheit starren oder der Stimme lauschen, die sie ruft. Von den Cartoon-Sounds abgesehen gibt es weder Musik noch eine wirklich stringente Handlung, und trotz aller zähen Rätselhaftigkeit kann man nicht wegsehen, blickt so ängstlich gespannt ins Dunkel wie Kevin und Kaylee.

Erst gegen Ende dieses langen und trostlosen Albtraums werden die Bilder ein bisschen klarer, gerät die Handlung etwas expliziter, nur damit man sich im Anschluss verwundert fragt, was man da jetzt eigentlich gesehen hat. Einen Experimentalfilm? Einen Horrorstreifen? Am ehesten wohl beides.

Balls „Skinamarink“ ist ein zähes Werk, das einen nicht mehr loslässt, sorgsam in Szene gesetzt und mit Ideen, die so einfach und gleichzeitig so verblüffend in ihrer Wirkung sind, dass man versteht, warum der Film so plötzlich ein Hit wurde. Die Dinge wirken hier fern und traumhaft, tröstlich und feindselig zugleich. Kyle Edward Ball hat sein Handwerk in vielen Kurzfilmen perfektioniert, bevor ihm mit „Skinamarink“ ein kleines verstörendes Meisterwerk gelungen ist. Ein schlechter Traum, so faszinierend wie anstrengend. 


Wertung 5/5

Skinamarink. Spielfilm, 140 Minuten, Sonntag, 23. April, 14.30 Uhr bei den Fantasy Filmfest Nights im Zoo Palast