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„Boston Strangler“ bei Disney+: Brutal abgewürgt

Und noch eine True-Crime-Verfilmung: Keira Knightley als Journalistin auf gefährlicher Mission.

Dem Würger auf der Spur: Jean Cole (Carrie Coon, l.) und Loretta McLaughlin (Keira Knightley).
Dem Würger auf der Spur: Jean Cole (Carrie Coon, l.) und Loretta McLaughlin (Keira Knightley).imago

Nach Jeffrey Dahmer, Ed Gein, John Wayne Gacy, dem Zodiac-Killer, Henry Lee Lucas, der Manson-Family, Ted Bundy und David Berkowitz wird es so langsam schwierig, noch einen Serienmörder aufzutreiben, dessen Taten „interessant“ genug sind, um Streaming-Fans erschauern zu lassen.

Für Disney hat jetzt der Autor und Regisseur Matt Ruskin den hierzulande wenig bekannten Würger von Boston aus den Untiefen der Kriminalgeschichte heraufgeholt, einen Serientäter, der Anfang der 60er-Jahre die amerikanische Ostküste rund um Boston in Angst und Schrecken versetzte, indem er 13 alleinstehende Frauen mit ihren Strumpfhosen erwürgte.

Arg polierte Geschichte

Behördenversagen, unfähige Ermittler und mangelnde Vernetzung sorgten dafür, dass der Fall nie abschließend geklärt werden konnte. Dafür bekam auch der Boston Strangler einen festen Platz in der amerikanischen Popkultur, auch im Kino wurde der Fall mehrfach erzählt. Am gelungensten 1968 von Richard Fleischer, mit Tony Curtis und Henry Fonda in den Hauptrollen. Dabei hätte man es belassen sollen. Disney aber springt nach dem Megaerfolg der Schocker-Serie „Dahmer“ von Netflix auch noch auf den Zug auf, bevor aus dem True-Crime-Genre wirklich der letzte Tropfen Blut gepresst wurde.

Protagonistin ist hier die 2018 verstorbene Journalistin Loretta McLaughlin, die die Morde an der Ostküste miteinander in Verbindung brachte und mit ihren Zeitungsartikeln erst einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte. McLaughlin wird gespielt von Keira Knightley, die mit mäßigem Erfolg versucht, die arg polierte Geschichte voranzutreiben.

McLaughlin arbeitet für das Lifestyle-Ressort einer großen Bostoner Tageszeitung, testet Toaster und ist unzufrieden mit ihrem Leben und ihrem Job. Sie will richtige Geschichten schreiben und stößt auf den Fall des Würgers. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Jean Cole (Carrie Coon) beginnt sie Nachforschungen anzustellen. Die beiden Frauen bringen die Ermittlungen entscheidend voran und machen die Story zu einem Medienspektakel. Dabei setzen sie sich beharrlich gegen den grassierenden Chauvinismus im Journalismus und in der Verbrechensbekämpfung zur Wehr und werden selbst zu lokalen Berühmtheiten.

Das ist ein interessanter Ausgangspunkt für eine Geschichte und hat in großen Teilen Ähnlichkeit mit jenen Problemen, mit denen der Zeitungskarikaturist Robert Graysmith (Jake Gyllenhaal) bei der Aufklärung der Morde in David Finchers großartigem „Zodiac“ (2007) konfrontiert wird. Doch Regisseur Ruskin lässt alle Chancen ungenutzt und liefert routinierte, doch letztlich zu glatte Thriller-Ware, die in keiner Minute verfängt und auch erst in der zweiten Hälfte Schwung gewinnt. In der Folge bleibt man als Zuschauer größtenteils unberührt.

Loretta McLaughlins Kampf, sich in der Männerdomäne des Journalismus durchzusetzen, wirkt seltsam flach, jeder Bemühung um Anerkennung fehlen Tiefe und Leidenschaft, jede gequalmte Zigarette im Redaktionsgroßraum sieht aus wie gepafft. Hinzu kommt der penetrante Fake-Antik-Filter, der allen Farben die Kraft nimmt, um dem Film eine authentische angestaubte Atmosphäre zu verleihen, aber das Ganze so abdunkelt, dass man ständig einzunicken droht.

„Boston Strangler“ ist keine komplett verschwendete Lebenszeit, Keira Knightley ist eine großartige Schauspielerin, der es aber leider auch nicht gelingt, der Handlung einen ordentlichen Spannungsbogen zu verpassen. Alles plätschert so dahin, und wer Finchers „Zodiac“ schon kennt, der muss „Boston Strangler“ nicht sehen. Für alle anderen ist es immer noch mittelspannende Unterhaltung, sofern man ein Abo bei Disney+ besitzt. Dafür eines abzuschließen, lohnt sich aber auf keinen Fall.


Boston Strangler. Spielfilm, 112 Minuten, Disney+