Wir hatten uns drei Jahre lang nicht gesehen, erst wegen der Pandemie, dann kam der Krieg. Aber jetzt waren sie hier in Berlin, drei Russinnen aus St. Petersburg. Der Abend, den wir miteinander verbrachten, war beglückend, er war bedrückend.
Vor allem von Katja erfuhr ich von dem feinen Gespinst aus Angst und Misstrauen, das sich über ihr Leben gelegt hat. Sie wagt es kaum noch, mit irgendjemandem offen über ihre kritische Haltung zu Putins Politik zu sprechen, sich über die sozialen Medien zu äußern. Zwei ihrer Freunde sind deshalb im Gefängnis. Anfangs, als gleich nach dem Überfall auf die Ukraine, Menschen in Russlands größeren Städten demonstrierten, seien die Festgenommenen nach zwei Wochen wieder freigelassen worden. „Jetzt werden die Leute zu mehreren Jahren verurteilt, wenn sie den Krieg kritisieren.“ Neun Jahre hat einer ihrer Freunde bekommen.
Um Katja ist es einsam geworden. Nicht nur weil die Vorsicht und der Argwohn die sozialen Beziehungen vergiften, viele ihrer Freunde haben das Land verlassen. Sie selbst will bleiben, hat einen Beruf, in dem sie sich um Menschen kümmert, denen sie sich verpflichtet fühlt. Mehr soll hier nicht gesagt werden. Die Paranoia unserer Gäste übertrug sich auf uns. Sogar die Mobiltelefone schalteten wir aus, als wir sprachen.
Eine Meinungsumfrage zum Krieg in einem Hausaufgang in St. Petersburg
Mascha erzählte von ihrer Angst, von den deutschen Freunden verantwortlich gemacht zu werden, für das, was Russland tut, sie sprach von der Erleichterung, dass sich das nicht bewahrheitete. Alle drei sprachen von ihrer Furcht, auf den Straßen Berlins gefragt zu werden, woher sie kommen, und vor der Reaktion auf eine wahrheitsgemäße Antwort. Es gab viele Berührungen an diesem Abend, daraus sprach ein Bedürfnis, sich der Verbundenheit und Zuneigung zueinander auch körperlich zu versichern.
Swetlana erzählte von dem Haus, in dem sie wohnt, in Piter, wie die Bewohner von St. Petersburg ihre Stadt liebevoll nennen. Sie vertraut keiner Meinungsumfrage zum Krieg, aber als sie aufgefordert wurden, leere Konservendosen zu sammeln, die zu Windlichtern für die Soldaten an der Front umfunktioniert werden sollten, achtete sie genau darauf, wie voll die Säcke in ihrem Aufgang wurden. „Sie waren immer ganz voll“, erzählte sie.


