Gesellschaft

„Get woke, go broke“: Von den Versuchen, den Kulturkampf zu kommerzialisieren

Amerikanische Firmen setzen zunehmend auf Trans-Models, reizen damit am Markt ihre Chancen und Risiken aus. Auf wessen Kosten geht der Kulturkampf?

Dylan Mulvaney auf dem roten Teppich beim „Camp Pride“ in New York in der vergangenen Woche
Dylan Mulvaney auf dem roten Teppich beim „Camp Pride“ in New York in der vergangenen WocheAndy Kropa/Invision/AP

Das muss man tragen können“, sagt man gern über ein Outfit, das man selber zwar niemals anziehen würde, an der richtigen Person aber wenigstens vorstellbar fände. Und tragen kann dieser Mensch auf jeden Fall, was ihm die Designer des amerikanischen Modelabels Anthropologie für ein Instagram-Werbevideo da übergeholfen haben. Das Kleid in Korallenrot und mit verschwenderisch viel Tüll um Schultern und Hüften, dazu diese langen Beine und der Schwung in den Bewegungen – keine Frage, es steht ihm ausgezeichnet.

Doch genau da lag in den Augen vieler Kommentare in den sozialen Medien das Problem: Dass das Modell mit den muskulösen Oberarmen und behaarten Beinen eine, wie man ganz korrekt sagen würde, „männlich gelesene Person“, mithin gar tatsächlich ein Mann ist. Aber ein kleidertragender Mann anstelle der gewohnten weiblichen Models – das sei doch wieder ein Versuch, Frauen zu „löschen“, hieß es. Und weil die Modemarke sich entschied, den Kommentarbereich auf Instagram zu schließen, fiel der Shitstorm direkt noch größer aus. Kritische Kommentare von Frauen? Offenbar unerwünscht.

Umsatzrückgang um 25 Prozent

Der Fall Anthropologie steht nicht allein. Seit kurzem sind mehrere Unternehmen in den USA in die Kritik geraten, weil sie ihrer Kundschaft Werbebotschaften zumuteten, die mit Trans-Ästhetiken oder sich als trans identifizierenden Menschen arbeiten. Am härtesten traf es wahrscheinlich die Biermarke Bud Light, nachdem diese im April mit der Schauspielerin und Transfrau Dylan Mulvaney geworben hatte.

Der Auftritt veranlasste nicht nur den Musiker Kid Rock dazu, in einem bizarren Video mit einer Schnellfeuerwaffe auf einen Stapel Bud-Light-Dosen zu schießen, sondern war mutmaßlich mitverantwortlich, dass die Marke einen Umsatzrückgang von rund einem Viertel gegenüber dem Vergleichszeitraum aus dem Vorjahr hinzunehmen hatte. Die Sportartikelhersteller Nike und Adidas und das Modelabel Calvin Klein erlebten in Folge eigener Werbekampagnen mit Transpersonen Ähnliches.

„Get woke, go broke“, heißt es seither. Setze auf Wokeness und du gehst pleite. Das Spiel mit der Ästhetik der Diversität gilt als potenziell geschäftsschädigend. Mittlerweile gibt es in den USA sogar erste Beraterfirmen, die versprechen, Unternehmen ein „politisch neutrales“ Image zu verpassen und sie so vor der Wokeness-Falle zu bewahren.

Beunruhigend an diesen Vorgängen ist, wie gleichmäßig sich die Ablehnung einer Werbung mit Transpersonen durch sehr verschiedene Zielgruppen zieht. Wobei sich auch Unterschiede ausmachen lassen. Während die Bud-Light-Kundschaft vor allem mit gängigen rechtskonservativen Ressentiments reagierte, weil sie in der Präsenz von Transpersonen grundsätzlich Familienwerte und Kinder gefährdet sieht, verdeutlicht die harsche Kritik unter den Kundinnen des Fast-Fashion-Labels Anthropologie exemplarisch einen zentralen Konflikt innerhalb des gegenwärtigen Feminismus.

Ernst gemeintes Engagement?

Dazu muss man wissen, dass die Produkte von Anthropologie eine geradezu stereotype weibliche Ästhetik bedienen. Das Instagram-Profil des Labels zeigt dessen bunte Sommerkleider und Bademoden an den sonnenumkränzten, betont weiblichen Körpern ziemlich normschöner Frauen. Auch eine vermeintliche Mutter ist zu sehen, die ein Kleinkind gegen ihre Brust drückt. Und eben: dieser eine Mann im Kleid. Während es allein angesichts dieser Mehrheitsverhältnisse als blanker Unsinn erscheint, von einem „Löschen“ von Frauen zu sprechen, liegt im falschen Argument wie so oft auch ein richtiges. Denn ob es der Marke um ihr Engagement zugunsten marginalisierter Gruppen wirklich ernst ist, darf auf Basis dieses einsamen Auftritts durchaus bezweifelt werden. Schließlich hat sich „Transwashing“ längst als unternehmerische Strategie etabliert, eine jüngere Klientel anzusprechen.

Der Vorwurf der Kommodifizierung von sexueller Identität verfängt allerdings auch besonders gut in einem Milieu, das die Durchsetzung der Rechte von Transpersonen als Gefahr für Frauen betrachtet. Trans sei modisch und wie der gegenwärtige Feminismus kein Ausdruck gesellschaftlicher Vernunft, sondern vor allem eine ökonomisch gut verwertbare Ergänzung des individuellen Portfolios an Identitäten. Eigentlich klassisch historisch-materialistische Kritik, über die sich mit weniger Bauchschmerzen diskutieren ließe, würde sie nicht in einem Klima geäußert werden, in dem Transpersonen weiterhin an Leib und Leben bedroht sind. Auch bei „Get woke, go broke“ geht es ja nicht um Kleider, die jemand tragen will, kann oder soll. Sondern ums Ertragen oder Nichtertragen anderer Menschen.