Sexualwissenschaft

Cis-Mann: Das Wort, das Elon Musk eine Beleidigung nennt, hat ein Deutscher erfunden

Diesseits und jenseits der Genitalien: Wie der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch auf diese Begrifflichkeiten gekommen ist.

Elon Musk hat ein Problem damit, als Cis-Mann bezeichnet zu werden. Alpha wäre ihm wahrscheinlich lieber.
Elon Musk hat ein Problem damit, als Cis-Mann bezeichnet zu werden. Alpha wäre ihm wahrscheinlich lieber.AFP/Alain Jocard

Auf Twitter darf man Menschen nicht länger als cis oder cisgender bezeichnen, die Begriffe Cis-Mann und Cis-Frau sind tabu, ja sie gelten als Beleidigung, wie Elon Musk Anfang dieser Woche verkündet hat. Wer sich dem widersetzt, dem soll zumindest die temporäre Sperrung seines Kontos drohen.

Zuvor soll sich ein Twitter-Nutzer darüber beklagt haben, dass er von Transaktivisten als cissy bezeichnet worden sei, nachdem er getwittert habe, er lehne das Wort „cis“ ab. Cissy ist eine Anspielung auf den leicht abwertenden Begriff sissy, mit dem Männer belegt werden, die als zu weich oder unmännlich empfunden werden.

Cis-Männer und -Frauen sind Personen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, mit dessen Merkmalen sie geboren worden sind. Aber wo kommt dieser Begriff eigentlich her, den bei der entsprechenden Twitter-Umfrage, die Elon Musk sogleich gestartet hat, auch 78 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Beleidigung bezeichneten.

„Wenn es Cissexuelle gibt, dann muss es auch Transsexuelle geben“

„Die Menschen lehnen diese offensichtliche Beleidigung mit überwältigender Mehrheit ab, die Fanatiker durchsetzen wollen“, schreibt Musk. Aber es war gar kein Fanatiker, der diesen Begriff geprägt hat, sondern der 1940 in Bad Freienwalde geborene Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch, der im Februar dieses Jahres gestorben ist. Er erfand den Cis-Mann und die Cis-Frau als Pendant zu Trans-Mann oder Trans-Frau. Denn, so schrieb er in seinem Werk „Sexualitäten. Eine kritische Theorie in 99 Fragmenten“: „Die einen sind ohne die anderen gar nicht zu denken.“

Der Begriff Cis-Gender gehört heute zum Standardvokabular in den Genderstudies und arbeitet sich allmählich in die Alltagssprache vor. Manche haben anders als Elon Musk keine Probleme damit. Sogar Elyas M’Barek weiß inzwischen, dass er ein Cis-Mann ist, wie er der Berliner Zeitung vor einiger Zeit sagte.

In einem Interview mit der Zeit erklärte Volkmar Sigusch vor einigen Jahren, wie er auf den Cis-Begriff gekommen ist: „Ich kam darauf, weil es die Wendungen ‚transalpin‘ und ‚cisalpin‘ gibt, die ‚jenseits der Alpen‘ und ‚diesseits der Alpen‘ bedeuten. Jetzt also auch: jenseits und diesseits der Genitalien. Mit anderen Worten: Wenn es Cissexuelle gibt, dann muss es auch Transsexuelle geben. Das heißt, die sind ganz normal.“

Der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch wuchs in der DDR auf

Sigusch ist in der DDR zur Schule gegangen und hat später in Frankfurt am Main das Institut für Sexualwissenschaft aufgebaut, das nach seiner Emeritierung 2006 geschlossen wurde. Er aber forschte weiter und immer verknüpfte er Gesellschaft, Kultur und Sexualität: „Das Neo-Logische am Transsexualismus ist, dass er sein eigentlich immer schon logisches Gegenstück, den Cissexualismus, grundsätzlich ins Zwielicht rückt. Indem der Transsexualismus beweist, dass auch die Geschlechtlichkeit ein kulturell Zusammengesetztes und psychosozial Vermitteltes ist, fallen Körpergeschlecht und psychosoziale Geschlechtsidentität bei den ‚Normalen‘, die bisher die einzig ‚Gesunden‘ waren, nicht mehr fraglos zusammen.“ Dass das ans Eingemachte geht, war ihm bewusst. Im Fall von Elon Musk blickt man nun darauf, was für Auswirkungen dies zeitigen kann.