Kolumne

Berlin, Potsdamer Platz: Wie aus einem Taschendiebstahl die gute Tat des Tages wurde

Der Geldbeutel lag auf dem Gehsteig am Potsdamer Platz, das Geld war weg, aber er enthielt einen Tauchnotruf. So ging es dann weiter.

Der Potsdamer Platz in Berlin. Hier wurde der gestohlene Geldbeutel gefunden.
Der Potsdamer Platz in Berlin. Hier wurde der gestohlene Geldbeutel gefunden.Florian Gaertner/imago

Das Kind kam ganz aufgeregt von einem Abend am Potsdamer Platz nach Hause. Sie war mit Freunden dort gewesen, und auf dem Rückweg sahen sie einen Geldbeutel auf dem Gehweg liegen. Darin war kein Geld, auch die Bankkarten waren weg, aber ein Personalausweis, die Versichertenkarte, der Führerschein et cetera. Keine Telefonnummer.

Sie beschlossen, sie würden den Beutel samt Inhalt an die Adresse auf dem Personalausweis schicken. Bei der Besitzerin handelte es sich um eine junge Frau aus Lübeck. Sie war wahrscheinlich zu Besuch in Berlin, überlegten sie.

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Dann stießen sie doch auf eine Telefonnummer. Es war eine Notfallnummer, ein Tauchnotruf. Sie zögerten kurz, wählten die Nummer dann aber und es ging tatsächlich jemand dran. Eine Frau, die einen Anruf wie diesen ganz sicher nicht erwartet hatte und sich wohl eher mit Druckkammern auskannte als mit Taschendiebstählen. „Sie war richtig überfordert“, sagte das Kind. Doch sie könne das Diebstahlopfer informieren. Bloß wann? Sie stiegen in den M29, um nach Hause zu fahren. Tatsächlich klingelte bald danach das Handy.

Die Lübeckerin war dran, nannte die Finder Engel, und als sie erfuhr, dass die Freundesgruppe schon im Bus sitzt, sagte sie, sie würde sich mit ihrem Bruder sofort auf den Weg machen. „Ihr erkennt mich an dem breiten Lächeln auf meinem Gesicht und der pinken Plüschjacke.“ Die vier stiegen an der nächsten Station aus und warteten.

Die Diebe waren auf einem Handyvideo zu sehen

An einem Kiosk am Görlitzer Bahnhof fand die Übergabe statt, einen Finderlohn in Höhe von 15 Euro – „unser letztes Bargeld“ – lehnten die Finder ab. Es stellte sich heraus, dass in dem Geldbeutel 80 Euro gewesen waren, und er in einer Spielhalle am Potsdamer Platz gestohlen worden war. Das wusste das Diebstahlopfer deshalb so genau, weil sie sich beim Spielen gefilmt hatte und auf diesem Video auch diejenigen zu sehen waren, die ihre Handtasche durchwühlt hatten. Kinder seien das gewesen, nicht älter als vielleicht 12, 13. Das passt in die Berliner Kriminalstatistik von 2023, der zufolge die Anzahl der tatverdächtigen Kinder um 34 Prozent gestiegen ist, die der Jugendlichen um fast 28 Prozent.

Das eigene Kind scherte sich jedoch weder um den Eindruck, den so ein Berlin-Besuch in Lübeck hinterlässt, noch um den Diebstahl. Es war vor allem am eigenen Anteil an der Angelegenheit interessiert. Ohne je bei den Pfadfindern gewesen zu sein, griff sie auf deren Motto zurück und sagte stolz: „Das war meine gute Tat des Tages.“