Kolumne

Abends in Charlottenburg: Dieser Moment, in dem einem klar wird, dass etwas nicht stimmt

Keine Menschen im Foyer der Komischen Oper im Charlottenburger Exil, aber die Garderobe voller Mäntel. Schlimme Befürchtungen wurden wahr, schlimm ging es weiter.

Das Schiller-Theater in Berlin-Charlottenburg ist Ausweichquartier der Komischen Oper und Ort einer persönlichen Niederlage unserer Autorin.
Das Schiller-Theater in Berlin-Charlottenburg ist Ausweichquartier der Komischen Oper und Ort einer persönlichen Niederlage unserer Autorin.Pemax/Imago

Dieser Moment, in dem einem klar wird, dass etwas nicht stimmt. Er ereilte mich bei der Anfahrt auf das Schiller-Theater, das dieser Tage und für unbestimmte Zeit die Komische Oper beherbergt, während das Stammhaus in der Behrenstraße in Mitte umgebaut und renoviert wird. Es war eine knappe halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn, so dachte ich jedenfalls. Nur war der Platz vorm Theater verdächtig leer.

Wir stellten die Räder ab. Im Foyer kein Mensch. Die Garderobe aber hing voller Jacken und Mäntel. Im zweiten Foyer blickten uns zwei Mitarbeiter entgegen. Wir erfuhren, was ich schon befürchtet hatte: Die Vorstellung hatte bereits um 18 Uhr begonnen, vor einer guten Stunde also und, nein, es gebe keinen Nacheinlass, keine freien Plätze am Rand, auf die wir uns noch hätten schleichen können, keine Pause. Ich war schuld.

Verhaltensfrage: Darf ich jammern?

Von Ulrich Seidler

02.06.2023

Meine Begleitung blieb ruhig, ja, reagierte geradezu großmütig. Er verwies auf die Krawatte, die er sich eigens angezogen hatte, die Lackschuhe, mehr nicht. Für mich war es ein Albtraum!

Doch es war ja nichts zu machen. Der inneren Auflehnung, dem inneren Aufschrei, das könne doch nicht sein, folgte tief geknicktes Kleinbeigeben. Mir stand der Sinn nach Alkohol. Das Café Hardenberg liegt um die Ecke, es kam gerade recht. Kronleuchter, rote Sessel, eine weinrote Serviette unter jedem Getränk. Dass hier die Zeit stehengeblieben ist, zeigte auch ein Blick in die Speisekarte: Königsberger Klopse für 12,90. Wo gibt es das noch! Zu diesem Gedanken waren wir nach wie vor fähig, der Appetit aber war uns vergangen.

Guten Morgen, Berlin Newsletter
Vielen Dank für Ihre Anmeldung.
Sie erhalten eine Bestätigung per E-Mail.

Unsere Geschichte ließ die Tischnachbarn ziemlich kalt

Ich schwankte zwischen einem Cocktail namens Zombie und einem Mai Tai. Letzterer enthielt dann ein bisschen zu viel Mandelsirup, aber, ach Gott, es ging eigentlich gar nicht um den Geschmack. Irgendwann nahm eine Dreiergruppe am Tisch neben uns Platz, die sich angeregt unterhielt. Bald schnappten wir Gesprächsfetzen auf: „Einzigartig, bewegend, betörend, die Farben, die Musik, der Gesang.“ Sprachen sie etwa von der Inszenierung, die wir verpasst hatten? Wir konnten nicht anders und fragten nach. Es war wirklich so. 

Wir waren gekommen, um zu vergessen, stattdessen diese Zufallsbegegnung. Oder war es Schicksal? Tags darauf im Kollegenkreis recht unverhohlene Schadenfreude. Die Wunde war noch frisch, sie fing wieder an zu bluten.