Ausstellung

Im Humboldt-Forum kann man sich hinlegen zum Rendezvous mit dem Tod

In der vierten großen Einzelausstellung widmet sich das Humboldt-Forum der Aktualität und Kulturgeschichte des Todes: „Un_endlich. Leben mit dem Tod.“

Die Ausstellung als Erfahrungsraum zum Umgang mit Leben und Tod. 
Die Ausstellung als Erfahrungsraum zum Umgang mit Leben und Tod. Alexander Schippel

Aus ökologischer Sicht stellt der Tod ein Problem dar – zumindest, wenn man sich für die Bestattungsvariante des Verbrennens entscheidet. Zu viel Emissionen. Das ist keine Kleinigkeit, findet der Berliner Kriminalbiologe Mark Benecke, der es mit seinem schön-schaurig und klug vermittelten Wissen über forensische Entomologie und vieles mehr zu einer gewissen Berühmtheit gebracht hat.

Im Rahmen der Ausstellung „Un_endlich. Leben mit dem Tod“ im Berliner Humboldt-Forum hört man Beneckes Stimme in der Vermittlungskoje Biologie. Erdbestattungen findet Benecke in Ordnung. In den rund 25 Jahren, für die deutsche Friedhofsverwaltungen eine Grabstätte in der Regel vergeben, werden die sterblichen Reste eines menschlichen Körpers wieder in den natürlichen Kreislauf überführt. In der Welt, in der etwas krabbelt, kriecht und zersetzt wird, fühlt sich Mark Benecke zu Hause. Ein paar Zelte weiter erfahren die geneigten Besucher dann Wissenswertes über den Tod im Hinduismus, Islam oder auch der Glaubenswelt der nigerianischen Yoruba. Nichts ist vollständig in dieser Ausstellung, weil der Tod universell und unabschließbar ist.

Was der Wissenschaft nicht zugänglich ist

Koje, Zelt – das klingt viel zu despektierlich. Im Kontext der Ausstellung betritt man, seriöser ausgedrückt, Erfahrungswelten, wenn man nicht mit pennälerhaftem Schalk im Nacken immer wieder auf Kurioses aus der Museumsdidaktik stieße. Auf einem elektronischen Hinweisschild liest man: „Judentum. Bitte eintreten“. Das ist natürlich nicht als Aufforderung zur Konversion zu verstehen, sondern als Einladung, sich in die stark immersive Ausstellungsarchitektur hineinzubegeben.

Tatsächlich wird, wer die ganze Dimension dieser überaus aufschlussreichen Ausstellung zur Kultur- und Lebensgeschichte des Todes erfassen will, sich irgendwann auch in Schräglage begeben müssen. Obwohl so unterschiedliche Philosophen wie Rabindranath Tagore, Philippe Ariès und viele andere Wissens- und Bedenkenswertes über den Tod gesagt haben, gilt dieser doch als die letzte unverfügbare Grenze des Bedürfnisses nach Aufklärung. So nah ihm Menschen in Form sogenannter Nahtoderfahrungen auch gekommen sein mögen, gilt er doch als das Andere, das diese Großschreibung tatsächlich verdient.

Sicher, Neurologen verfügen über Daten und Beschreibungen dessen, was sich in der finalen Sterbephase im Hirn abspielt. Im Interview mit dem Neurologen und Schlaganfallforscher Jens Dreier, das in der stattlich gestalteten Ausstellungspublikation beigefügt ist, ist von einer letzten großen Entladungswelle die Rede, die sich vor dem Tod ausbreitet. Zum Meister des Todes aber werden Hirnforscher deswegen nicht. „Alles, was uns zugänglich ist“, so Dreier, „passiert, solange der Patient oder die Patientin noch lebt. Was danach passieren könnte, ist der Wissenschaft nicht zugänglich.“

Werkzeuge zur Leichenversorgung.
Werkzeuge zur Leichenversorgung.epd

Und doch unternimmt die Ausstellung den Versuch, sich der Ausnahmesituation zwischen den Welten zumindest atmosphärisch anzunähern. Viel weißes Tuch hängt in den Räumen, die Lichtdramaturgie führt himmelwärts. Die Assoziation zur Bühnenästhetik ist keineswegs zufällig. Die Ausstellungsmacher, der Schweizer Kurator Detlef Vögeli und die britischen Bühnenbildner Tom Piper und Alan Farlie, haben ihren Parcours über Leben und Tod als Drama in fünf Akten angelegt. „So wie Shakespeare in ,Hamlet‘ versucht, mit dem Tod umzugehen, wollen wir die Menschen ermutigen, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen.“ Der Tod als Theater des Lebens, darunter macht es die mitunter an die Kursführung einer Geisterbahn erinnernde Ausstellungsdramaturgie nicht. Aber anders als der Kirmesparcours wird in „Un_endlich“ nicht auf Schock und Erschrecken gesetzt, sondern auf die Bereitschaft, das Wissen und die Ahnungen vom Tod zu erweitern.

Obwohl Detlef Vögeli mit dem französischen Historiker Philippe Ariès der Auffassung ist, dass die modernen westlichen Gesellschaften den Tod „ausgebürgert“ haben, wird er doch immer wieder mit großem Gespür für Tradition und Transzendenz als gesellschaftliches Ereignis inszeniert. Das weltweite Interesse an der Trauerzeremonie zum Tod von Queen Elizabeth II. war denn auch weniger als Empathie von und für Royalisten zu verstehen, sondern als Zelebration der Endlichkeit – des Individuums und vielleicht sogar der Gattung selbst.

Wie es sich für das Selbstverständnis des Humboldt-Forums gehört, erfolgt der Blick auf die Kulturgeschichte des Todes aus globaler Perspektive. Statistisch gesehen sind die Lebenserwartungen regional und gesellschaftlich ungleich verteilt. Seit über einem Jahrzehnt setzt sich die forensische Anthropologin Cristina Cattaneo für die Identifizierung der auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunkenen Menschen ein. Schlüsselanhänger und Ohrringe vermögen dazu beizutragen, und Cattaneo versteht die Anwendung ihrer wissenschaftlichen Möglichkeiten nicht zuletzt als demonstrativen Akt, den „Verdammten dieser Erde“ (Frantz Fanon) einen Hauch von Würde zu erstatten.

Kosmos: Am Ende sind wir alle Sternenstaub.
Kosmos: Am Ende sind wir alle Sternenstaub.Alexander Schippel

Die Gewissheit des Todes und der Todfeind

Der Ausgangspunkt der Ausstellung ist, so Hartmut Dorgerloh, der Generalintendant des Humboldt-Forums, die Gewissheit des Todes, die alle Menschen verbinde und gleichwohl eine der letzten großen Unbekannten sei. Aber dann geht das Nachdenken über den Tod und das Leben ganz im Sinne der Ausstellung wieder von vorn los. Der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti hat selbst diese Gewissheit bestritten. Er sah sich in einem emphatischen Sinn als Todfeind, der in seiner schriftstellerischen Unbescheidenheit nicht weniger wollte als die Erlangung der Unsterblichkeit für die Menschen.

Un_endlich. Leben mit dem Tod. Vom 1. April – 26. November 2023 im Humboldt-Forum. Eintritt 12 Euro. Informationen unter: www.humboldtforum.org