Corona-Debatte

Deutsche Übersterblichkeit: Rheinische Post führt Öffentlichkeit in die Irre

Eine Studie hat sich mit der Übersterblichkeit 2020–2022 befasst. Die Autoren wehren sich gegen fragwürdige Behauptungen einer Zeitung zum Thema. Ein Gastbeitrag.

Ein Arzt zieht im April 2021 in einer Hausarztpraxis in Hessen eine Spritze mit dem Corona-Impfstoff auf.
Ein Arzt zieht im April 2021 in einer Hausarztpraxis in Hessen eine Spritze mit dem Corona-Impfstoff auf.dpa

Martin Kessler (Rheinische Post) thematisierte jüngst unsere Studie zum extremen Anstieg der Übersterblichkeit und der Totgeburten in Deutschland 2021 und 2022. Herr Kessler behauptet, man könne die Studie„angesichts der zweifelhaften Statistik und der umstrittenen Reputation der beiden Autoren“ eigentlich ignorieren, außerdem seien die Autoren „Außenseiter“ auf welche es „es nach dem Ende der Pandemie nicht mehr an[kommt]“.

Zweifelhaft sind in Wirklichkeit diese haltlosen Diffamierungen unserer Studie und unserer Personen sowie die ausschnitthafte und irreführende Darstellung unserer Ergebnisse. Beispielsweise wird nicht erwähnt, dass unsere Studie zur Übersterblichkeit vor der Veröffentlichung in einem aufwendigen Peer-Review-Verfahren von sieben anonymen Fachexperten begutachtet wurde. Ihre inhaltlichen Fragen wurden diskutiert und ausgeräumt bzw. das Manuskript vor der Publikation entsprechend überarbeitet. Es gibt aus der Perspektive des Peer-Review-Verfahrens keine inhaltlichen oder methodischen Mängel in dieser Studie, ansonsten wäre diese nicht publiziert worden. Und das müssen die Leser der Rheinischen Post auch wissen.

Hinsichtlich der angeblich umstrittenen wissenschaftlichen Reputation der Autoren sieht die Faktenlage folgendermaßen aus: Matthias Reitzner hat mehr als 50 peer-reviewed wissenschaftliche Fachartikel in hochrangigen internationalen mathematischen Zeitschriften publiziert und ist anerkannter Aktuar. Christof Kuhbandner kommt auf eine ähnliche Zahl von peer-reviewed Fachartikeln in den renommiertesten internationalen Fachzeitschriften der Psychologie, die oft mit komplexer Statistik arbeiten. Beide sind Fachgutachter für zahllose wissenschaftliche Fachzeitschriften und Institutionen wie die deutsche, israelische und amerikanische Forschungsgesellschaft.

Ein Redakteur der Berliner Zeitung schrieb eingehend über unsere Studie und recherchierte ernsthaft. Er gibt u.a. die Einschätzung der Statistiker Göran Kauermann und Giacomo De Nicola von der LMU München wieder: „Der methodische Teil der Arbeit einschließlich der Ergebnisse ist sorgfältig durchdacht und erläutert. Die Autoren berücksichtigen und diskutieren wirklich jede Wahl, jeden Aspekt, jede Entscheidung, mit der sie konfrontiert wurden, und erläutern ihre Entscheidungen transparent.“ Die Statistiker der LMU München stellen zwar die Frage, wie stark der historische Sterblichkeitstrend einzurechnen sei, worüber man wissenschaftlich fundiert diskutieren kann. Aber alle qualitativ hochwertigen Übersterblichkeitsanalysen berichten dasselbe Muster wie unsere Studie, wie schon ein oberflächlicher Blick in die Fachliteratur und auch in die Studien von Kauermann und De Nicola selbst lehrt.

Die Übersterblichkeit folgt nicht den Corona-Wellen

Schlimmer als diese persönliche Diffamierung unliebsamer Stimmen sind die zahlreichen fragwürdigen Argumente, die Herr Kessler wiedergibt. Im wissenschaftlichen Diskurs ist es wichtig, zwei Ebenen auseinanderzuhalten: die Ebene der Fakten und die Ebene der Interpretation. Auf der Ebene der Fakten zeigt unsere Studie einen – für viele unerwarteten – Übersterblichkeitsverlauf, der wissenschaftlich unbestritten ist. Ebenso ist der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Beginn der Impfungen und dem Anstieg der Übersterblichkeit ein empirischer Fakt, den man nicht wegdiskutieren kann. Wie diese Fakten aber hinsichtlich der möglichen Gründe für die Übersterblichkeit zu interpretieren sind, ist wissenschaftlich bisher nicht geklärt. Hier liefert unsere Studie empirische Anhaltspunkte, aber keine Fakten.

Herr Kessler vermischt diese beiden Ebenen ständig, um sich unliebsamen Fragen nicht stellen zu müssen. Manche der von ihm vorgebrachten Erklärungsmöglichkeiten sind nämlich aufgrund der präsentierten Fakten unplausibel. So wird beispielsweise behauptet, die Übersterblichkeit in den Jahren 2021 und 2022 folge ziemlich exakt den einzelnen Corona-Wellen, was ein starker Hinweis darauf sei, dass die Verbreitung der Ansteckungen und die Todesfälle in einem Zusammenhang stünden.

Das stimmt nicht. Die Kurve der Todesfälle verläuft zeitverzögert zur Kurve der Infektionen, und die Letalität der Virusvarianten hat sich über die Zeit geändert. Methodisch ist es deshalb unsinnig, sich den Verlauf der gemeldeten positiven Testergebnisse anzusehen. Stattdessen muss man sich den Verlauf der durch eine Sars-CoV-2 Infektion bedingten Covid-Todesfälle ansehen. Das haben wir in unserer Studie gemacht, und die Ergebnisse zeigen, dass sich die Anzahl der vom RKI gemeldeten Covid-Todesfälle ab etwa Januar 2021 zunehmend vom Verlauf der Übersterblichkeit entkoppelt hat.

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Zum Autor
Prof. Dr. Christof Kuhbandner. Studium der Psychologie an der Universität Regensburg; Forschung und Lehre an der International University Bremen (2003–2004) und der LMU München (2006–2013); Professor für Psychologie und Leiter des Lehrstuhls für Pädagogische Psychologie an der Universität Regensburg seit 2013.
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Zum Autor
Prof. Dr. Matthias Reitzner. Studium der Mathematik an der TU Wien, Doktorat 1993; Studium der Versicherungsmathematik an der TU Wien, seit 1996 anerkannter Aktuar (Aktuarvereinigung Österreich); a.o. Prof. an der TU Wien 2001–2009; Gastprofessor an der Universität Salzburg 2003–2007; Professur für Stochastik an der Universität Osnabrück seit 2009.

Dass die gemeldeten Covid-Todesfälle die Übersterblichkeit unmöglich erklären können, hätte schon allein ein Vergleich der Anzahl der Covid-Todesfälle und der Anzahl der unerwarteten Todesfälle in den verschiedenen Jahren gezeigt. In 2020 wurden knapp 42.000 Covid-Todesfälle vom RKI gemeldet, aber es sind insgesamt nur 4000 Todesfälle mehr aufgetreten als statistisch erwartet. In 2022 wurden dann 49.000 Covid-Todesfälle gemeldet, aber es sind 65.000 Todesfälle mehr aufgetreten als statistisch erwartet. Die Behauptung von Herrn Kessler, dass die Übersterblichkeit den Corona-Wellen folge, ist sichtlich falsch. Vielmehr hätte man die Leserschaft darüber aufklären können, dass die Anzahl der Covid-Todesfälle nicht zur Übersterblichkeit passt und diese daher nicht erklären kann. Und man hätte fragen können, wie es sein kann, dass laut RKI im Jahr 2020 durch das neue Virus 42.000 Todesfälle verursacht wurden, obwohl nur 4000 Menschen mehr als üblicherweise verstorben sind.

Rolle der Hitzewellen 2021 und 2022 sowie der Grippewelle Ende 2022

Martin Kessler schreibt in seinem Artikel weiter, die meisten Wissenschaftler und auch die Experten des Statistischen Bundesamts würden für die Übersterblichkeit seit 2020 vor allem die Pandemie verantwortlich machen und in zweiter Linie die beiden Hitzewellen 2021 und 2022 sowie die Grippewelle Ende 2022. Dass die Pandemie durch eine hohe Anzahl von Covid-Toten die Übersterblichkeit erklärt, wurde eben ausgeschlossen. Auch die Hitzewellen und die Grippewelle liefern in Wirklichkeit keine zufriedenstellenden Erklärungen.

In der Tat gab es 2022 in Deutschland eine intensive und lang anhaltende Hitzeperiode von Mitte Juli bis Ende August. Allerdings trifft das zum einen nicht auf das Jahr 2021 zu, zum anderen gab es auch in den Jahren vor 2021 intensive Hitzeperioden. So schreibt der Deutsche Wetterdienst: „Nach dem ‚Jahrtausendsommer‘ 2003 erlebten Deutschland und Mitteleuropa in den Jahren 2018, 2019, 2020 und 2022 eine Folge von sehr trockenen und warmen Sommern.“

Hätten die Hitzewellen tatsächlich die hohe Übersterblichkeit 2022 verursacht, hätte in den Jahren 2019 und 2020 ebenfalls eine starke Übersterblichkeit auftreten müssen, 2021 dagegen nicht. In Wirklichkeit war das Jahr 2019 ein Jahr mit einem vergleichsweise geringen Sterbegeschehen und das Jahr 2021 ein Jahr mit einer vergleichsweise hohen Übersterblichkeit. Das Auftreten von Hitzewellen kann also die Übersterblichkeit in den Jahren 2021 und 2022 nicht erklären.

Auch richtig ist, dass es Ende 2022 eine außergewöhnlich frühe und starke Grippewelle gab, die zur starken Übersterblichkeit Ende 2022 beigetragen hat. Allerdings verschiebt diese Erklärung das Rätsel der Übersterblichkeit nur auf eine andere Ebene: Denn es stellt sich die Frage, was wiederum die Ursache für das Auftreten dieser außergewöhnlichen Grippewelle war. Seit der Jahrtausendwende wurde ein einziges Mal eine – deutlich kleinere – Grippewelle im Zeitraum November/Dezember beobachtet, welche auf das damalige Auftreten einer neuen Variante des Influenza-A-Virus H1N1 („Schweinegrippe“) zurückging. Neue Virusvarianten scheinen aber Ende 2022 nicht aufgetreten zu sein. Es stellt sich also die Frage, wie es sein kann, dass gewöhnliche Grippeviren zu einem solch ungewöhnlichen Zeitpunkt solche extremen Wirkungen erzeugen können. Dafür gibt es bisher keinerlei nachvollziehbare Erklärung.

Hatten Länder mit niedrigerer Impfquote eine höhere Übersterblichkeit?

Martin Kessler behauptet weiter, dass im Jahr 2021 die Übersterblichkeit in den Bundesländern höher gewesen sei, wo die Impfquoten niedriger waren, was für den positiven Effekt der Impfungen spreche. Hier misst er mit zweierlei Maß: Während der korrelative Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Impfungen und dem Anstieg der Übersterblichkeit im Jahr 2021 nicht als Beleg für einen möglichen negativen Effekt der Impfungen betrachtet wird, möchte Kessler den korrelativen Zusammenhang zwischen der Impfquote eines Bundeslandes und der Übersterblichkeit plötzlich als Beleg für einen positiven Effekt der Impfungen sehen.

Zudem ist die Behauptung aus methodischer Perspektive fragwürdig. Es kann sein, dass eine beobachtete Korrelation gar keinen kausalen Zusammenhang widerspiegelt, sondern den Effekt einer Drittvariablen. Bekannt ist das Beispiel der Korrelation zwischen der Geburtenrate eines Landes und der Anzahl an Störchen in einem Land. Diese Korrelation kommt natürlich nicht dadurch zustande, dass die Babys vom Storch gebracht werden, sondern durch eine Drittvariable: den Grad an Industrialisierung. Eine höhere Industrialisierung in einem Land geht gleichzeitig mit einer Abnahme des Lebensraums des Storches einher sowie mit einer sinkenden Anzahl der geborenen Kinder.

Und in der Tat zeigt ein genauerer Blick in die Übersterblichkeitsdaten, dass der im Jahr 2021 beobachtete Zusammenhang zwischen der Impfquote und der Übersterblichkeit auf der Wirkung impfunabhängiger Drittvariablen beruht. Die in einem Bundesland erreichte Zweitimpfquote korreliert nicht nur negativ mit der Übersterblichkeit im Jahr 2021, sondern auch in vergleichbarer Höhe mit der Übersterblichkeit im Jahr 2020. Da die Impfungen nicht rückwärts in der Zeit gewirkt haben können, spiegelt die im Jahr 2021 berichtete Korrelation also offenbar keinen Effekt der Impfungen wider, sondern einen allgemeineren Effekt: Es gibt zeitstabile impfunabhängige Faktoren, welche dazu führen, dass in manchen Bundesländern die Übersterblichkeit generell geringer ausfällt, und zufälligerweise wurde in den Bundesländern mit einer generell geringeren Übersterblichkeit dann im Jahr 2021 mehr geimpft.

Das belegt auch eine einfache Zusatzanalyse: Betrachtet man die Veränderung der Übersterblichkeit in einem Bundesland im Jahr 2021 im Vergleich zum Jahr 2020, zeigt sich eine Tendenz in Richtung einer positiven Korrelation zwischen Impfquote und Anstieg der Übersterblichkeit. Für den Anstieg der Übersterblichkeit im Jahr 2022 zeigt sich sogar eine noch höhere positive Korrelation mit der erreichten Zweitimpfquote, was ein weiteres Sicherheitssignal zu den Impfstoffen darstellt.

Verhinderte die Impfung zwar nicht die Ansteckungen, aber schwere Verläufe und unerwartete Todesfälle?

Die Fachwelt sei sich darüber einig, so Kessler, dass die Covid-Impfungen zwar nicht die Ansteckungen verhinderten, aber gegen schwere Verläufe und Todesfälle schützten. Auch hier gibt die Rheinische Post den Stand der Wissenschaft nicht korrekt wieder.

Bei allen existierenden Studien, welche als Befund berichten, dass die Geimpften selten schwerer erkranken und versterben würden, handelt es sich um sogenannte Beobachtungsstudien, bei denen Personen verglichen werden, die sich haben impfen lassen versus nicht haben impfen lassen. Aus solchen Studien lassen sich allerdings keine kausalen Schlüsse ziehen, weil auch hier das bessere Abschneiden der Geimpften in Wirklichkeit auf impfunabhängige Drittvariablen zurückgehen kann.

Beispielsweise wurde in einer kürzlich publizierten Re-Analyse einer viel zitierten Beobachtungsstudie zur Wirksamkeit der Booster-Impfungen gezeigt, dass die geimpfte Gruppe nicht nur seltener an Covid-19 verstarb, sondern auch an allen anderen Todesursachen seltener verstarb. Da die Impfungen aber nicht gegen andere Todesursachen wirken, spiegelt die geringere Anzahl an Covid-Todesfällen in der Impfgruppe also gar keinen impfbedingten Effekt wider, sondern offenbar einen allgemeineren Effekt: Offenbar waren die Personen in der geimpften Gruppe generell gesünder als in der nicht geimpften Gruppe (sog. Healthy Vaccinee Bias), was dazu geführt hat, dass die Geimpften unabhängig von den Impfungen seltener verstorben sind.

Die einzigen Studien, aus denen wirklich kausale Schlüsse über die Wirkung der Covid-Impfstoffe gezogen werden könnten, sind die randomisierten kontrollierten Zulassungsstudien, in denen die Probanden per Zufall der Behandlungs- und der Placebo-Gruppe zugeordnet (Randomisierung) und in denen die Ergebnisse beider Gruppen dann direkt verglichen wurden (Kontrolle). Und da zeigt sich ein völlig anderes Bild.

In der Zulassungsstudie zum Biontech-Pfizer-Impfstoff traten laut den berichteten Daten in der Placebogruppe 162 symptomatische Infektionen, vier schwere Covid-Erkrankungen und zwei Covid-Todesfälle auf. In der Impfgruppe waren es acht symptomatische Infektionen, eine schwere Covid-Erkrankung und ein Covid-Todesfall. Entgegen der Behauptung von Herrn Kessler schützt also nach den in den Zulassungstudien berichteten Daten die Impfung vor Ansteckungen.

Wie sieht es aber mit der Wahrscheinlichkeit aus, im Falle einer Ansteckung schwer zu erkranken und zu versterben? Auf den ersten Blick meint man vielleicht auch hier einen positiven Effekt zu erkennen, weil ja in der Impfgruppe tendenziell etwas weniger Personen an Covid schwer erkrankt bzw. verstorben sind. Aber dieser Schein trügt. Das sieht man, wenn man die Zahlen genauer betrachtet: In der Placebogruppe sind von den symptomatisch infizierten Personen 2,5 Prozent (4 von 162) schwer erkrankt und 1,2 Prozent (2 von 162) verstorben. In der Impfgruppe sind von den symptomatisch infizierten Personen 12,5 Prozent (1 von 8) schwer erkrankt und 12,5 Prozent (1 von 8) verstorben. In der Impfgruppe war die Wahrscheinlichkeit, im Falle einer symptomatischen Infektion schwer zu erkranken oder zu versterben, also deutlich höher als in der Placebogruppe. Dieses Befundmuster steht im Kontrast zu den laut Herrn Kessler angeblich übereinstimmenden Erkenntnissen der Fachwelt, dass die Impfung zwar nicht die Ansteckungen verhindere, aber schwere Verläufe und unerwartete Todesfälle.

Betrachtet man nicht nur covidbedingte Erkrankungen, sondern alle Erkrankungen, zeigt sich in den Zulassungsstudien sogar ein noch negativeres Bild. In der Zulassungsstudie zum Biontech-Pfizer-Impfstoff traten in der Impfgruppe zwar drei schwere Covid-Erkrankungen weniger auf. Diesen stehen aber vier schwere impfbedingte Nebenwirkungen gegenüber. Ähnlich ist es bei der Anzahl der Todesfälle. In der Impfgruppe trat im untersuchten Zeitraum zwar ein Covid-Todesfall weniger auf als in der Kontrollgruppe. Allerdings sind dafür in der Impfgruppe insgesamt drei Personen mehr an Todesursachen verstorben, die das Herz und das Gefäßsystem betreffen.

Zudem gibt es Hinweise darauf, dass es weitere Fälle mit schweren Nebenwirkungen gab, die verheimlicht wurden. Bekannt wurde der Fall von Augusto Roux, der als Proband in der Impfgruppe drei Tage nach seiner zweiten Impfung wegen einer schweren Herzbeutelentzündung ins Krankenhaus eingeliefert werden musste und die Diagnose „unerwünschte Reaktion auf den Coronavirus-Impfstoff (hohe Wahrscheinlichkeit)“ erhielt, in der publizierten Zulassungsstudie aber nicht auftaucht.

Es gibt den Konsens der Fachwelt, den die Rheinische Post behauptet, also nicht. Die Daten aus den Zulassungsstudien legen eher nahe, dass bei den Covid-Impfungen hinsichtlich schwerer Erkrankungen und Todesfälle der Schaden höher als der Nutzen ist. Das deckt sich auch mit Peter Doshis Arbeit zur Biontech-Pfizer-Zulassungsstudie, über die u.a. die Berliner Zeitung schon im September 2022 ausführlich akkurat berichtet hat.

Die Rheinische Post erwähnt das Wichtigste überhaupt nicht

Ein „Risikosignal“ ist eine Statistik, der auf den Grund zu gehen ist, weil sie möglicherweise einen bisher nicht bekannten Schaden aufzeigt, den ein Präparat oder eine Therapie bei Menschen anrichtet. Mehrere solche Signale haben wir in unserem Fachartikel beschrieben, aber die Rheinische Post gibt diese Teile unserer Studie schlicht nicht wieder.

Im April 2021 – mit dem Beginn der Impfkampagne – tritt eine frappierende Änderung des Übersterblichkeitsmusters auf. Anders als zuvor zeigt sich plötzlich eine Übersterblichkeit bis in die jüngsten Altersgruppen hinein, welche bis Ende 2022 zunehmend stärker wird. Ab April 2021 ist also plötzlich ein völlig neues Übersterblichkeitsmuster als zuvor zu beobachten, was Herr Kessler nicht erwähnt.

Er ignoriert ebenfalls, dass die Übersterblichkeit im Frühjahr 2021 nicht in allen Altersgruppen zeitgleich ansteigt. Stattdessen begann der Anstieg umso später, je jünger eine Altersgruppe war. Der Verlauf des Anstiegs der Übersterblichkeit in den verschiedenen Altersgruppen folgt also dem zeitverzögerten Impffortschritt in den verschiedenen Altersgruppen.

Dieser Befund spricht zum einen gegen mögliche Erklärungen wie Hitzewellen oder Covid-Wellen, weil diese nicht in Abhängigkeit vom Alter der Menschen auftreten. Zum anderen liefert der Befund zusätzliche Evidenz für einen möglichen Zusammenhang der zusätzlichen Toten mit den Impfungen.

Im Rahmen unserer Studie haben wir zusätzlich den Verlauf der Totgeburten analysiert. Es zeigt sich, dass vor dem Rückgang der Lebendgeburten die Anzahl der Totgeburten stark gestiegen ist. Im Vergleich zu den Vorjahren ist die Anzahl der Totgeburten pro 1000 Geburten im Jahr 2021 im zweiten Quartal um 9,4 Prozent und im vierten Quartal um 19,4 Prozent angestiegen. Ein solch extremer Anstieg ist historisch vergleichsweise einzigartig. Verglichen mit der üblicherweise beobachteten Schwankung der Totgeburtenrate entspricht der Anstieg der Totgeburten im vierten Quartal 2021 einem Anstieg um etwa vier Standardabweichungen. Ein solcher Anstieg würde statistisch betrachtet also nur in etwa alle 30.000 Quartale auftreten. Auch davon erfährt der Leser der Rheinischen Post nichts.

Das Anstiegsmuster bei den Totgeburten – ein erster kleinerer Anstieg im ersten Quartal und ein extremer Anstieg im vierten Quartal 2021 – stimmt zeitlich überein mit den öffentlichen Empfehlungen zur Impfung während der Schwangerschaft. Bereits im zweiten Quartal 2021 wurde von den deutschen gynäkologischen Fachgesellschaften eine Covid-Impfung für alle Schwangeren empfohlen. In der Empfehlung vom 10. Mai 2021 schreibt die Stiko, dass der freien Entscheidung der Schwangeren für eine Impfung durch die aktualisierte Stiko-Empfehlung mehr Raum gewährt werden soll und Schwangeren mit Vorerkrankungen oder einem erhöhten Expositionsrisiko eine Impfung ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel angeboten werden kann. Kurz vor Beginn des vierten Quartals wurde dann von der Stiko eine explizite Empfehlung einer Impfung für alle bisher nicht oder unvollständig geimpften Schwangeren ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel ausgesprochen.

Der eigentliche Appell

Martin Kessler schließt seinen Artikel mit dem Hinweis, dass solche „irreführenden Studien“ wie die unsere schnell verfangen würden und die Auseinandersetzung damit deshalb nicht nachlassen dürfe. Da kann er beruhigt sein: Seit Michael Andrick unseren Fachartikel in einer Kolumne, die auch Herr Kessler zitiert, einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht hat, entspann sich eine intensive Diskussion mit mehreren Folgeartikeln. Sie darf noch lange nicht enden, denn wir können eine solche Anzahl unerklärter Todesfälle gesellschaftlich nicht einfach ignorieren. Die Fakten liegen auf dem Tisch, die Ursachen der Übersterblichkeit müssen ermittelt werden. Und dabei müssen alle möglichen Erklärungen wirklich wissenschaftlich valide geprüft werden, anstatt durch das Vorbringen von nicht stichhaltigen Erklärungen von möglichen Erklärungen abzulenken, welche mit unliebsamen Konsequenzen verbunden wären.

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