Beratungsstelle für Stalker

Stalking: „Die Täter triumphieren, wenn der Tatbestand nicht greift“

In der Berliner Beratungsstelle „Stop Stalking“ lernen Täter Impulskontrolle. Doch von jährlich 2000 Fällen in der Hauptstadt melden sich nur 150 Stalker. 

Stalker müssen ihre Impulskontrolle wieder lernen. 
Stalker müssen ihre Impulskontrolle wieder lernen. imago

Berlin - Opfern von Stalking muss geholfen werden – doch wie umgehen mit den Tätern? 

Ein Jahr nach Inkrafttreten des Nachstellungsparagrafen hat Wolf Ortiz-Müller 2008 in Berlin eine von deutschlandweit nur vier Beratungsstellen für Stalker mitbegründet – und blieb bis heute dabei. „Es wird fantastisch angenommen“, freut sich der Psychotherapeut. Denn er weiß: Wenn Täter rechtzeitig zu ihm und seinen acht Kollegen und Kolleginnen kommen, kann Schlimmeres verhindert werden. In die Sprechstunde kommen Stalker und Stalkerinnen, die entweder freiwillig Beratung suchen, nachdem sie selbst bemerkt haben, dass sie sich übertrieben auf ein Gegenüber fixieren, oder weil sie vom Umfeld oder dem Opfer darauf gestoßen wurden. Oder weil das Gericht sie dazu verurteilt hat, als Bewährungsauflage – und nach einer Haftstrafe.

Täterarbeit ist auch Opferschutz, betont Ortiz-Müller, denn wer sich rechtzeitig helfen lässt, begeht womöglich keine Straftat – und wer sich nach einer Tat begleiten lässt, begeht womöglich keine weitere. Viele Täter hätten ein geringes Selbstbewusstsein, erklärt der Stalking-Experte, und will ihnen helfen, das nicht an anderen auszulassen.

Doch „Stop Stalking“ soll nicht nur Tätern helfen, auch Betroffene können sich beraten lassen – sie sind sogar in der Mehrzahl: Rund 150 Täter werden hier jährlich erreicht – von insgesamt rund 2000 Stalking-Fällen pro Jahr in Berlin und etwa 20.000 deutschlandweit –, aber auch 500 Stalking-Opfer kommen in die Stop-Stalking-Stelle. Die Fälle reichen von vermehrten Nachrichten nach einer Trennung über den Wohnungseinbruch bis hin zur Tötung. „Die Gefahr durch Ex-Partner ist am größten“, sagt Ortiz-Müller, „weil da die Gefühlsgemengelage am größten ist.“

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Malte Jaeger
Zur Person
Wolf Ortiz-Müller, Psychotherapeut aus Berlin, hat die Beratungsstelle „Stop Stalking“ 2008 mitbegründet und leitet sie. Acht Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus psychologischer Therapie, Psychologie, Pädagogik und Sozialpädagogik helfen Betroffenen und beraten auch Tätern und Täterinnen auf dem Weg zurück in ein Leben ohne Stalking. 

Aber wer wird zum Täter? „Das zieht sich durch jegliches Alter und alle Gesellschaftsgruppen, vom Geschäftsmann auf der Friedrichstraße, der seine Ex-Geliebte stalkt, obwohl verheiratet, bis zu prekarisierten Personen mit wenigen Ressourcen und wenig Glück in der Gestaltung von Beziehungen.“ Überwiegend seien es Menschen zwischen 25 und 50 Jahren.

Die Täterperspektive sei oft folgende: „Viele fühlen sich abgewiesen und ungerecht behandelt. Sie haben ganz viele Fragen, der Betroffene weigert sich aber, diese zu beantworten. Viele sehen sich dann nur in ihrer eigenen Verletzung und sind zum Perspektivenwechsel gar nicht in der Lage: Das Opfer soll jetzt mal so leiden, wie ich leide“, berichtet Ortiz-Müller. Andere waren in der Beziehung massiv kontrollierend und haben Druck oder schon häusliche Gewalt ausgeübt – manche haben sich „ein Bein ausgerissen für die Partnerschaft“ und wollen sich danach rächen.

Die Betroffenenperspektive beschreibt er so: „Das ist ein tägliches Eindringen in meine Selbstbestimmungssphäre. Ich bekomme ständig Nachrichten und kann nicht alles blockieren. Ich werde bloßgestellt auf meinem Instagram-Profil, ich gucke mich vor der Haustür ständig um, ich checke am Auto die Reifen. Das ist ein Gefühl des permanenten Ausgeliefertseins.“ Von der Anzeige bis zur Strafverfolgung sei schnell ein halbes Jahr vergangen, und wenn diese dann auch noch eingestellt wird, sei das sehr bitter für die Betroffenen. „Die Täter triumphieren, wenn der Tatbestand nicht greift, und da müssen wir ansetzen, indem Beschuldigte und Betroffene gleich nach der Strafanzeige von zuständigen Fachberatungsstellen kontaktiert werden dürfen“, erklärt der Psychotherapeut. Manche Stalker benötigten nur einen „Schnupperkontakt“, andere 20 Stunden Vollberatung, in denen sie lernen, ihre Impulskontrolle besser zu steuern. Nach spätestens drei Monaten sollte sich eine deutliche Änderung im Verhalten einstellen.

Den Opfern stehen die Berater und Beraterinnen zur Seite, was die Strafverfolgung und Kontakte zu Behörden und Anwälten angeht – und ebenfalls mit psychologischer Unterstützung: „Auf der einen Seite muss ich Nachbarn informieren und meine Passwörter schützen, auf der anderen Seite kann ich lernen, trotzdem eine halbwegs gute Lebensqualität zu haben, ohne von früh bis spät an den Stalker oder die Stalkerin zu denken, mir wieder Freiräume zu schaffen und mein eigenes Alarmsystem zu lehren, wann es sich beruhigen kann.“

Beratungen werktags von 9 bis 18 Uhr, nur nach Voranmeldung, auch online. Detmolder Str. 60, 10715 Berlin, Tel. 030/22 19 22 000. Weitere Infos: www.stop-stalking-berlin.de