Gesundheit

So treibt mich Karl Lauterbach in die Sesquipedalophobie - die Angst vor langen Wörtern

Hypochonder-Kolumne: Der Gesundheitsminister hat vielversprechende Gesetze auf den Weg gebracht. Manchen machen sie jedoch Angst. Unserem Autor zum Beispiel.

Im Stress: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
Im Stress: Bundesgesundheitsminister Karl LauterbachPaul Zinken/dpa

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt ­­– Sesquipedalophobie. Und das kam so: Ich beschäftigte mich mit Karl Lauterbach und seinem segensreichen Wirken als Bundesgesundheitsminister. Das ist eine Art Berufskrankheit. Nicht sein segensreiches Wirken, sondern mein Interesse daran. Man macht sich ja gar keine Vorstellungen, womit sich der Mann tagtäglich befassen muss. Mit allerlei Gesetzen zum Beispiel. Jedes einzelne hat das Zeug zur Erfolgsgeschichte. Allein schon vom Titel her.

Vor dem Tag der Pflege an diesem Freitag vertiefte ich mich also in diverse Vorhaben aus dem Hause des Ministers und blieb zunächst am Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz hängen: 46 Buchstaben, durchdrungen von unvergleichlicher Kompetenz und durchdacht wie vermutlich der dazugehörige Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzestext: 51 Buchstaben. Falls jetzt ein pensionierter Mathematiklehrer auf die Idee kommen sollte, nachzuzählen, um einen Fehler zu finden, werde ich mich auf eine eingebildete Dyskalkulie herausreden. Oder auf Zeitmangel. Auch eine Art Berufskrankheit. Von mir zumindest. Bei Karl Lauterbach erlaube ich mir diesbezüglich kein Urteil.

Die in seinem Ministerium tätigen Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzesnamenerfinder waren immerhin so freundlich, zum Zweck der sprachlichen Zeitersparnis eine Abkürzung mitzuliefern. Sie lautete GVWG und ließ sich daher ganz leicht unterscheiden vom KHPflEG, dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz. Das stand nach meiner gewohnt oberflächlichen Einschätzung thematisch der Heilberufeprüfungsmodernisierungsverordnung sehr nahe. Diese entlastet schließlich die gesetzlich zur Krankenhauspflegeentlastung vorgesehenen angehenden Krankenhauspflegenden.

Spätestens nach diesem Gedankengang hätte ich eine Pause einlegen sollen, denn es stellte sich eine gewisse Benommenheit im Gehirn ein, was nur ein Symptom eben jener Sesquipedalophobie sein konnte. Den Befund legte mir das Internet gleich an mehreren Stellen nahe. „Sesquipedalian“ ist Englisch und bedeutet in etwa „sehr lang“, auch „schwülstig“. Passend dazu entwickelte ich eine Furcht davor, ausufernd viele Silben fehlerhaft auszusprechen oder zu schreiben.

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Berliner Zeitung/Paulus Ponizak
Hypochonder-Glosse
Christian Schwager ist Redakteur für Gesundheit und schreibt alle zwei Wochen an dieser Stelle über seine eingebildeten Krankheiten.

Ich beschloss, das Risiko eines Sesquipedalophobieschubs einzugehen, indem ich nachschaute, ob Karl Lauterbach für solche Fälle gesetzlich vorgesorgt haben könnte. Natürlich hat er. Unter anderem mit dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz, kurz und knackig ALBVVG. Doch die 69 Buchstaben zuzüglich zweier Bindestriche zwangen mich endgültig zum Abbruch. Außerdem bin ich mir bis heute nicht sicher, ob ich an einer Pharmacophobie leide, mich somit Arzneimittellieferengpässe gar nicht betreffen. Doch davon vielleicht später mehr.

Sesquipedalophobie ist lästig, aber ungefährlich

Wie schlimm stand es um mich? Ich konsultierte eine mir vertraute Homepage für Gelegenheitsphobiker. Die erinnerte mich daran, dass eine Angststörung erst dann vorliegen kann, wenn die Beschwerden länger als sechs Monate anhalten. Bei mir waren es nicht einmal sechs Stunden. Eine Sesquipedalophobie wiederum sei zwar unangenehm, aber aus psychologischer Sicht ungefährlich, befand die Seite. Sie schlug als Therapie vor, ein Mantra herunterzubeten: „Blamieren ist menschlich.“ Zurück zu Karl Lauterbach.