Gesundheit

Hilfe, ich klinge wie Charles Aznavour! Muss ich ins Krankenhaus?

Hypochonder-Kolumne: Wer morgens mit einer rauen Stimme aufwacht, könnte ernsthaft krank sein. Oder wie unser Autor vorübergehend zum Chansonnier werden.

Sand in der Stimme: Chansonnier Charles Aznavour
Sand in der Stimme: Chansonnier Charles AznavourBrigani-Art/imago

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt – Epiglottitis. Und das kam so: Es war früher Morgen, ich erwachte nichts ahnend, schlurfte ins Bad, um beim Blick in den Spiegel ein Selbstgespräch zu beginnen. Doch schon nach den ersten Silben verschlug es mir die Sprache. Ich klang wie Charles Aznavour. „Mimimimiiiiie! Mumumumuuuuh!“ Tatsächlich!

Vorsichtig versuchte ich, erste Takte aus dem Repertoire des französischen Chansonniers zu intonieren: „Du lässt disch gäh’n …“ Das war das, was mir spontan so einfiel. Fabelhaft, ich fand meine Stimme der des Altmeisters zum Verwechseln ähnlich. Den Text zu „Als es mir beschißen ging“ bot mir kurz darauf eine Suchmaschine in genau dieser Originalschreibweise an, und mich beschlich der leise Verdacht, dass mir da ein Algorithmus etwas sagen wollte. Ich war doch wohl nicht krank?

Weil ich schon mal im Netz unterwegs war, machte ich mich sofort an den Befund. Die Symptome schienen zu einer Entzündung des Kehldeckels zu passen, ebenjener Epiglottitis. Streng genommen handelte es sich ja nur um ein einziges Symptom: „Mumumumuuuuh!“ Die auf der Seite „Rundum Gesund“ oder so als typisch eingestuften Halsschmerzen konnte ich bei mir nicht diagnostizieren. Weder Angst und Unruhe noch Fieber traten auf; die Stirn war normal temperiert.

Pfeifende Zwischengeräusche blieben ebenfalls aus. Es singt: Charles Aznavour. An der Blockflöte: Charles Aznavour. Was die Kollegen zu einem solchen Auftritt gesagt hätten? Die ignorierten meine klangbildliche Notlage weitgehend. Nur vereinzelt fragte jemand misstrauisch: „Bist du krank?“ Ich verneinte, verwies auf einen negativen Corona-Selbsttest, den ich gemacht hatte. Zu den Klängen von „Non je n’ ai rien oublié“.

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Berliner Zeitung/Paulus Ponizak
Hypochonder-Glosse
Christian Schwager ist Redakteur für Gesundheit und schreibt alle zwei Wochen an dieser Stelle über seine eingebildeten Krankheiten.

Okay, das ist jetzt geflunkert, hätte aber prima gepasst: „Nein, ich habe nichts vergessen.“ Das mit dem Test entsprach der Wahrheit. Meinem ehrlichen Herzen entsprang zudem meine Verteidigungsrede angesichts der Vermutung, ich hätte die vorangegangene Nacht durchgesoffen.

Es ergab sich glücklicherweise, dass ich arbeitsmäßig schon bald sehr ausgelastet war, mich nicht mehr äußern und zunächst auch keine weiteren Recherchen zum Krankheitsbild anstellen konnte. So erfuhr ich erst Stunden später, dass Viren, Bakterien oder Verletzungen den Kehldeckel anschwellen lassen können. Ja, sogar Pilze.

Enkel-Trick mit Aznavour-Timbre

Unbedingt muss jede Epiglottitis schnellstmöglich in einem Krankenhaus behandelt werden, las ich, bei größeren Beschwerden auf einer Intensivstation. Das stand in irgendeinem Chat, ich habe mir nicht gemerkt, in welchem. Schließlich betrachtete ich mich inzwischen als fast geheilt, denn zu diesem Zeitpunkt entwickelte sich meine Stimme ganz langsam wieder zurück in Richtung Mireille Mathieu.

Das Timbre musste allerdings noch derart fremd geklungen haben, dass mich meine Mutter am Telefon für einen Enkeltrick-Betrüger hielt und kommentarlos wegdrückte. Beim zweiten Versuch kam das Gespräch zustande und die Rede nach wenigen Minuten auf Salbeibonbons. „Und viel trinken!“ Das brachte mich auf eine Idee: Für eine empirische Vergleichsstudie an mir selbst könnte ich in den nächsten Supermarkt gehen, um ein Sechserpack Bier und eine Schale Pfifferlinge zu kaufen. Oder Champignons. Oder sonst irgendwelche Pilze.

Ob es wirklich dazu kam, soll sich jetzt jeder selbst zusammenbrummen, -reimen, egal. Sonst stimmt aber an der Geschichte alles hörgenau.