Therapie mit Kühlkappen

Haarausfall bei Krebs: So können die Haare bei einer Chemo gerettet werden

Haarverlust zählt zu den schlimmen Nebenwirkungen der Chemotherapie. Eine Kältekappe bei Vivantes macht Hoffnung – doch in Berlin stellen sich die Kassen quer.

Haarausfall gehört gerade für Frauen zu den am meisten belastenden Nebenwirkungen einer Chemotherapie. Betroffene fühlen sich weniger attraktiv.
Haarausfall gehört gerade für Frauen zu den am meisten belastenden Nebenwirkungen einer Chemotherapie. Betroffene fühlen sich weniger attraktiv.imago/Panthermedia

Berlin-Krebs verändert. Nicht nur das Innerste, was die Zellen, das Gewebe, die Organe, das Blutbild, angeht. Sondern auch das Äußere. Operationen hinterlassen Narben. Medikamente können zu Hautausschlag und zu Haarverlust führen – was gerade für Frauen mit psychischen Veränderungen einhergehen kann. Haarausfall gehört gerade für Patientinnen zu den am meisten belastenden Nebenwirkungen einer Krebstherapie, manche denken sogar darüber nach, die Chemotherapie genau aus diesem Grund abzulehnen.

Betroffene fühlen sich unweiblich, weniger attraktiv, sie fühlen sich entblößt und verletzlich. Die Haare, die durch die Behandlung insgesamt lichter werden, können innerhalb weniger Wochen nach Beginn einer Chemotherapie vollständig ausfallen, teils büschelweise. Nicht nur die Haare auf dem Kopf, auch Augenbrauen, Wimpern und andere Körperhaare sind betroffen. Eine kahlköpfige Frau gilt in der deutschen Gesellschaft als ein Tabu. Die vorherrschenden Schönheitsideale und Stereotypen sehen vor, dass nur Männer eine Glatze tragen dürfen. Frauen ohne Haare fallen aus dem Raster, entsprechend schief werden sie auf der Straße angeschaut – was sich wiederum negativ auf das Selbstwertgefühl der Betroffenen auswirkt.

Es gibt kaum Therapien, die dem Haarausfall bei einer Chemo wirksam vorbeugen können. Das Feld ist insgesamt wenig erforscht, weil Haarverlust zum einen eine sehr typische zum anderen aber auch zeitlich begrenzte Nebenwirkung darstellt: Meist wachsen die Haare nach abgeschlossener Therapie wieder nach.

Vivantes bietet Kühlkappen für Brustkrebs-Patientinnen an

Zur Vorbeugung tragen manche Patienten Haarwuchsmittel während der Therapie auf die Kopfhaut auf, zum Beispiel Minoxidil. Laut gesundheitsinformation.de, einer Webseite des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), konnte dieses Mittel den Haarausfall allerdings in Studien nicht nachweislich verhindern. Was etwas besser untersucht ist und in der Praxis bereits eingesetzt wird: die Kopfhautkühlung.

Im Brustkrebszentrum am Vivantes-Klinikum Am Urban wird sie Patientinnen mit Mammakarzinom angeboten. „Die erste Anwendung mit der Kühlkappe hatten wir 2014“, sagt Marion Paul, Chefärztin am Brustkrebszentrum. Im Jahr 2021 hätten von 262 Brustkrebs-Patientinnen 75 die Kühlkappe genutzt, was einem Anteil von 29 Prozent entspricht.

Am Vivantes-Klinikum nutzen etwa 30 Prozent der Brustkrebs-Patientinnen die Kühlhaube.
Am Vivantes-Klinikum nutzen etwa 30 Prozent der Brustkrebs-Patientinnen die Kühlhaube.Brustkrebszentrum Vivantes

Mit zuletzt rund 68.000 Neuerkrankungen jährlich ist Brustkrebs die mit Abstand häufigste Krebserkrankung der Frau. Auf Basis der aktuellen Inzidenzraten erkrankt etwa eine von acht Frauen im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Fast drei von zehn betroffenen Frauen sind bei Diagnosestellung jünger als 55 Jahre alt. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei etwa 64 Jahren. Die Zahlen stammen von den deutschen Krebsregistern und dem Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert-Koch-Institut.

Im Jahr 2019 haben laut der Berliner Krebsgesellschaft in Berlin und Brandenburg 3900 Menschen zum ersten Mal die Diagnose Mammakarzinom bekommen. Im Schnitt wird etwa 30 Prozent der Patientinnen eine Chemotherapie empfohlen, heißt es vonseiten des Brustkrebszentrums Vivantes. Die Therapie dauere meist über sechs Monate, entsprechend haben Betroffene auch mindestens sechs Monate mit Haarausfall zu kämpfen.

Krebsmedikamente greifen Haarwurzelzellen an

Viele bei einer Chemotherapie eingesetzten Medikamente, aber auch die Strahlen einer Strahlentherapie, wirken besonders auf schnell wachsende und sich häufig teilende Zellen. Dazu zählen Tumorzellen, aber auch Haarwurzelzellen, die sich in der Wachstumsphase befinden. Sind die Haarwurzeln geschädigt, fallen die Haare aus oder brechen über der Wurzel ab. Genau hier setzt die Kopfhautkühlung an.

Für die Kühlung werden spezielle Kühlkappen verwendet. Die Haube ähnelt einem Fahrradhelm und wird entsprechend ähnlich aufgesetzt. Mithilfe von Temperatursensoren in der Kappe wird die korrekte – gekühlte – Kopfhauttemperatur aufrecht erhalten. 19 Grad beträgt sie laut Hersteller. „Die Kappe muss sehr gut sitzen“, sagt Paul. „Es darf keinen Luftraum zwischen Kopf und Haube geben.“ Sie wird 30 Minuten vor Beginn der Chemobehandlung angelegt, die Patientinnen müssen sie während der gesamten Infusionszeit anbehalten und auch danach. Die Nachkühlzeit kann bis zu zwei Stunden betragen, wodurch sich die Therapiesitzung bis zu fünf Stunden ziehen kann. Vivantes verfügt über zwei Geräte mit jeweils vier Hauben. Vier Patientinnen können also gleichzeitig mit der Kopfhautkühlung behandelt werden.

Die Kühlkappen-Therapie ist in Berlin keine Kassenleistung. Eine Sitzung kostet etwa 86 Euro.
Die Kühlkappen-Therapie ist in Berlin keine Kassenleistung. Eine Sitzung kostet etwa 86 Euro.Brustkrebszentrum Vivantes

Die Idee: Die Kühlung führt dazu, dass sich die Blutgefäße in der Kopfhaut verengen. Dadurch werden die Zellen in den Haarwurzeln weniger durchblutet, entsprechend gelangen weniger Krebsmedikamente in die Haarwurzelzellen, wie es Vivantes zusammenfasst. Die Kälte sorge auch dafür, dass die Umsetzung des Medikaments im Stoffwechsel und damit auch in den Haarwurzelzellen selbst verlangsamt wird. Die Haarzellen überleben – im Idealfall.

Die wenigen Studien, die es zur Kühlkappe gibt, zeigen: Im Vergleich zu Personen, die keine Kopfhautkühlung erhielten, hatten die Personen, bei denen die Kopfhaut während ihrer Chemotherapie gekühlt wurde, weniger Haarausfall. Außerdem ist laut Vivantes bislang kein erhöhtes Risiko für Kopfhautmetastasen, also in diesem Fall eine Verschleppung von Tumorzellen von der Brust in die Kopfhaut, nachweisbar – auch nicht in Studien mit Beobachtungszeit von mehr als drei Jahren.

Vivantes: Erfolgsrate liegt zwischen 60 und 70 Prozent

Die Kühlung eignet sich lediglich dazu, dem Ausfall der Kopfhaare vorzubeugen. Für manche Betroffene ist der Verlust von Wimpern oder Augenbrauen aber genauso belastend. Das Klinikum schränkt außerdem ein: Weil jeder Kopf, die Dichte und Haarstruktur bei jedem Menschen verschieden seien, wirke die Kühlung nicht bei allen gleich gut. Die Erfolgsrate liege zwischen 60 und 70 Prozent. Es gebe wenige Voraussetzungen für die Behandlung: Unter anderem dürfen die Haare 24 Stunden vor der Kühlung nicht gewaschen, geföhnt, oder gebürstet, die Haare dürfen während der gesamten Chemo nicht gefärbt werden.

Grundsätzlich ist die Kopfhautkühlung laut Vivantes gut verträglich. Zur häufigsten Nebenwirkung würden Kopfschmerzen zählen – womöglich ein Ausschlusskriterium für Migräne-Patientinnen. Manche Personen würden die Kälte aber als so unangenehm empfinden, dass sie die Kühlung abbrechen. „Deshalb bieten wir die erste Sitzung als Probelauf an, damit die Patientin schauen kann, ob das überhaupt was für sie ist, und wie sich die Haube anfühlt“, so die Chefärztin des Brustkrebszentrums Marion Paul.

Die Kühlkappen-Therapie ist keine Kassenleistung. „Eine Sitzung kostet etwa 86 Euro“, sagt Paul. Es werde auch jeder einzelne Zyklus in der Chemotherapie abgerechnet, die Zahlung könne bis zu einem halben Jahr nach Abschluss der Therapie bezahlt werden. Wie viele Zyklen die Patientin braucht, hängt von der Schwere der Erkrankung ab. Ein Beispiel: Bei 16 Chemo-Zyklen würde die Kühlkappen-Therapie insgesamt 1400 Euro kosten.

Patientinnen können auch selbst entscheiden, wann sie mit der Therapie aufhören möchten. „Ich hatte eine Patientin, die sagte, sie wolle nur bis zur Hochzeit ihres Sohnes ihre Haare behalten – danach sei es ihr egal. Und so kam es dann auch: Sie hatte vier Chemo-Zyklen mit der Haube, eben bis zur Hochzeit, und danach nicht mehr“, sagt Paul. Inzwischen sei die Kühlhaube eine Art Markenzeichen von Vivantes. „Wir erzielen bessere Erfolge, weil wir das Handling gut kennen.“

Krankenkassen in Berlin stellen sich quer

Für die Kühlhaube gebe es trotzdem keine Lobby. „Es ist von Anfang an ein schwerer Weg gewesen, die Therapie zu rechtfertigen. Es sei so kompliziert, die Haube aufzusetzen, der Haarausfall gehöre doch zur Chemo dazu – diese Kritik mussten wir uns auch im Haus oft anhören“, berichtet Paul. „Als man dann der ersten Patientin nicht ansehen konnte, dass sie eine Chemo hatte, fand ein Umdenken statt.“

Eine private Kasse hätte laut Paul die Therapie bezahlt – alle anderen würden sie auch nicht rückwirkend erstatten. „Ich habe so viele Diskussionen bereits geführt und führe sie weiterhin. Perücken werden bezahlt, aber dass die eigenen Haare durch die Kühlkappe erhalten bleiben können, da stellen sich in Berlin die Kassen finanziell quer.“

Krebspatienten befänden sich ohnehin in einer extrem belastenden Situation. „Sie können weniger arbeiten, bekommen weniger Gehalt oder sind gänzlich von Krankengeld abhängig. Und Frauen wiederum verdienen noch mal weniger als Männer“, so Paul. „Ich rate meinen Patientinnen deshalb, weiterzukämpfen und die Leistungen bei ihren Kassen einzufordern.“