Nimmt man Platzierung und Umfang, spielen Gesundheit und Pflege für die designierte Regierung eine weniger dominante Rolle. Beginnend auf der 88. von insgesamt 135 Seiten handelt der Koalitionsvertrag auf sieben DIN-A4-Blättern das Thema ab. Nach der Pandemie ist vor der Pandemie? Immerhin stellt das Papier den Punkt „Personal und Fachkräfte“ an die erste Stelle. „Die Koalition ist als Trägerin der landeseigenen Krankenhäuser für gute Arbeitsbedingungen und steht für eine Verbesserung dieser sowie der Entlohnung“, heißt es da.
Pflegekräfte: Die derzeitigen Streiks gehen auf den Tarifkonflikt der Gewerkschaft Verdi mit den kommunalen Arbeitgebern bundesweit zurück, fallen also nicht direkt in die Verantwortung des amtierenden, von der SPD geführten Senats. Die künftige Landesregierung verschreibt sich zunächst altbekannten und teilweise bereits angeschobenen Projekten. Der bedarfsgedeckten Aus-, Fort- und Weiterbildung zum Beispiel.
Ausbildung: Mehr Plätze für Ausbildung und Studium sollen geschaffen und dazu als eine Grundvoraussetzung mehr Studienplätze der Medizinpädagogik angeboten werden. Ein solches Projekt entsteht derzeit zum Beispiel auf dem Gesundheitscampus am Unfallkrankenhaus Berlin in Marzahn. Staatlich anerkannte Schulen des Gesundheitswesens sollen Fördermittel beantragen können. Soweit im Moment noch zu entrichten, soll das Schulgeld für Heilberufe entfallen. Besser spät als nie.
Personalmangel: Dem Fachkräftemangel, der vor allem eine Fachkräfteflucht ist, wird unter anderem dadurch begegnet, dass ausländische Berufsabschlüsse anerkannt werden. Problematisch war bislang, dass Pflegekräften, etwa aus Vietnam, in ihrer Heimat weitaus größere Kompetenzen eingeräumt wurden, als ihnen das streng hierarchisch aufgebaute deutsche Gesundheitssystem zubilligt.
Vivantes und Charité: Tochterfirmen zurück in den Konzern
Ausgliederung bei Landeskliniken: Charité und Vivantes sollen ihre Zusammenarbeit ausbauen. Mit Blick auf die Krankenhausreform, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorantreiben will, kündigt die künftige Berliner Regierung zudem an, den angestrebten Konzentrationsprozess hin zu großen Klinikkomplexen, nach dänischem Vorbild und von Gesundheitsökonomen vorangetrieben, kritisch zu begleiten. „Wir wollen eine wohnortnahe Gesundheits- und Notfallversorgung auch nach der Reform sicherstellen und setzen uns auf Bundesebene für entsprechende Rahmenbedingungen ein.“ Die ambulante Versorgung soll deshalb gestärkt werden.

Finanzinvestoren: Nicht an Gewinn ausgerichtete Medizinische Versorgungszentren (MVZ) wie das in seiner Existenz gefährdete Gesundheitszentrum Gropiusstadt werden diesen Passus interessiert zur Kenntnis nehmen. Ebenso, „dass die Transparenz über Betreiberstrukturen von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in Berlin erhöht wird“; sprich: Der wachsende Einfluss von Finanzinvestoren in der ambulanten Medizin soll beschränkt werden.
Digitalisierung: Das Gesundheitssystem stärker zu digitalisieren ist ein ebenso wohlfeiles wie problematisches Projekt, dass sich jede Regierung, ob im Bund oder im Land, zur Aufgabe macht. Bisher allerdings mit eher mäßigem Erfolg, vergleicht man die Fortschritte mit den Gegebenheiten in Europa. Immerhin, die Koalitionäre halten fest: „Wir wollen den Ausbau digitaler Strukturen wie IVENA vorantreiben, um die Vernetzung zwischen Rettungsstellen, Rettungswagen, Stemos, Luftrettung und ambulanten Strukturen zu verbessern. Eine gemeinsame Strategie mit Brandenburg wird mitgedacht.“
Hilfe für Lichtenberg, Marzahn und Hellersdorf
Rettungsdienst: Eine zentrale Leitstelle für Rettungsdienst und Krankentransport zählt zu den Vorhaben, das die bisherige Koalition mit einem Gesundheitsressort unter Führung der Grünen bereits angestoßen hat. Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin (KV) soll außerdem dabei unterstützt werden, den Mangel an Hausärzten in Randlagen zu kompensieren wie Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg oder Reinickendorf durch sogenannte KV-Praxen. Ebenso soll der ärztliche Bereitschaftsdienst „auskömmlich finanziert“ werden.
Soziales: Relativ viel Aufmerksamkeit widmet die Koalition sozialen Aspekten der Gesundheit, der Behandlung und Prävention von Suchtkrankheiten etwa, dem „Modell der Kombi-Praxis mit Sozialberatung und Kiezschwester-Modellen“, der Schwangerschaftskonfliktberatung, der Gewaltschutzambulanz. Und: „Die Vielfalt der Berliner Bevölkerung muss sich auch in der Ausgestaltung von Gesundheitsversorgung und -forschung widerspiegeln.“




