Pandemie

Corona: Darum gibt es vermutlich mehr Geimpfte als gemeldet

Eine neue Schätzung zeigt, dass mehr Menschen gegen Corona geschützt sein dürften als gedacht – geschätzt werden bundesweit 3,5 Millionen. Woran liegt das?

<a target="_blank" href="https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Projekte_RKI/COVIMO_Reports/covimo_studie_bericht_7.pdf?__blob=publicationFile">Eine neue Auswertung des Impfquoten-Monitorings (Covimo) zeigt</a>, dass unter den Erwachsenen bereits bis zu 84 Prozent mindestens einmal und bis zu 80 Prozent vollständig geimpft sind.
Eine neue Auswertung des Impfquoten-Monitorings (Covimo) zeigt, dass unter den Erwachsenen bereits bis zu 84 Prozent mindestens einmal und bis zu 80 Prozent vollständig geimpft sind.AP Photo/Alexander Zemlianichenko

Berlin-Ist die Corona-Impfquote in Deutschland höher als bislang bekannt? Das zumindest nimmt das Robert-Koch-Institut (RKI) an. Eine neue Auswertung des Impfquoten-Monitorings (Covimo) zeigt, dass unter den Erwachsenen bereits bis zu 84 Prozent mindestens einmal und bis zu 80 Prozent vollständig geimpft sind. Das entspräche jeweils um fünf Prozentpunkte höheren Impfquoten als nach offiziellen Meldungen der Impfstellen. Grundlage der Schätzung ist eine telefonische Bürgerbefragung von 1005 Menschen ab 18 Jahren sowie Meldedaten.

Die Impfkampagne sei „noch erfolgreicher als bisher gedacht“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit Bezug auf die Schätzung. Die demnach nun erreichten Impfquoten machten es möglich, draußen auf Vorgaben, etwa zum Tragen medizinischer Masken, zu verzichten. In Innenräumen blieben Zugangsregeln für Geimpfte, Genesene und Getestete (3G) mit der Option für 2G nur für Geimpfte und Genesene wichtig – ebenso Hygieneregeln mit Abstand und Masken besonders in Bus und Bahn. „Aus heutiger Sicht wird es keine weiteren Beschränkungen mehr brauchen“, sagte Spahn mit Blick auf Herbst und Winter. „Jede weitere Impfung erhöht aber die Sicherheit und ermöglicht noch mehr Normalität.“

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte es, wenn sich die Regierung bei der Beurteilung des Impffortschritts auf Umfragen verlasse. „Schließlich ist bekannt, dass bei Befragungen gern sozial erwünschte Verhaltensweisen angegeben werden“, sagte Vorstand Eugen Brysch. „Allein die Fakten sind entscheidend.“ 

Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, erwartet eine baldige Lockerung von Corona-Restriktionen. „Mit einer zu niedrigen Impfquote kann man nun nicht mehr für Corona-Maßnahmen argumentieren“, sagte Gassen der Bild-Zeitung (Freitagsausgabe). Der „Freedom-Day“ rücke näher – also ein Ende aller Beschränkungen, glaubt Gassen. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach nannte die neuen RKI-Daten plausibel. Trotzdem reiche dies noch nicht für einen „Freedom Day“. „Ein paar Wochen 2G und gute Impfangebote würden helfen“, schrieb Lauterbach bei Twitter.

Das RKI erläutert in der Analyse, es liege nahe, „dass die im Digitalen Impfquoten-Monitoring (DIM) berichtete Impfquote als Mindest-Impfquote zu verstehen ist und eine Unterschätzung von bis zu fünf Prozentpunkten für den Anteil mindestens einmal Geimpfter beziehungsweise vollständig Geimpfter angenommen werden kann.“ Zur Anschauung: Fünf Prozentpunkte bei Erwachsenen entsprechen grob überschlagen 3,5 Millionen Menschen.

Hintergrund ist, dass in Befragungen des RKI deutlich mehr Menschen angeben, bereits geimpft zu sein, als in der Meldestatistik vermerkt. Nach deren Meldungen von Impfstellen wie Praxen, Betriebsärzte und Impfzentren haben bisher knapp 80 Prozent der Menschen ab 18 Jahren eine erste Spritze bekommen, gut 75 Prozent bereits die zweite. Bezogen auf die gesamte Bevölkerung, sind nach Daten von Donnerstag nun 65 Prozent oder 54 Millionen Menschen vollständig mit der dafür meist nötigen zweiten Spritze geimpft. Mindestens eine erste Impfung haben 56,8 Millionen Menschen oder 68,4 Prozent aller Einwohner.

Telefonische Befragung wird auf Deutsch geführt

Was sind die Erkläransätze für eine höhere Impfquote unter Erwachsenen - oder anders gefragt, für die Diskrepanz zwischen der Covimo-Studie und des DIM? Laut RKI könne zum einen davon ausgegangen werden, dass mit Impfbefürwortern häufiger ein Interview abgeschlossen werde als mit weniger impfbereiten Personen. Wenig impfbereite Personen wären damit unterrepräsentiert.

Zum anderen könnten Menschen mit schlechten Deutschkenntnissen nicht an der Befragung teilnehmen, da diese nur auf Deutsch durchgeführt wurde. Zudem würden bestimmte Impfungen in der Statistik gar nicht erfasst. Die Impfquote gebe daher den Anteil geimpfter Personen in der deutschsprachigen Bevölkerung ab 18 Jahren an, nicht aber die Impfquote der Gesamtbevölkerung ab 18 Jahren. Bereits im August hatte das RKI von „gewisser Unsicherheit“ bei der Interpretation von Impfquoten-Daten berichtet.

Es gibt teils wohl auch Melde-Verzögerungen. So hätten bisher nur etwa die Hälfte der im digitalen System registrierten Betriebsärzte Impfungen über die Webanwendung gemeldet. Dies könnte „ein Hinweis auf eine Untererfassung der Impfquoten durch DIM sein“ sein. Zudem könne davon ausgegangen werden, dass im Praxisalltag nicht alle Impfungen über entsprechende Meldeportale wie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Privatärztlichen Verrechnungsstelle übermittelt würden. Unter der Annahme, dass alle bis 27. September ausgelieferten Dosen bis zum 5. Oktober verimpft worden wären, erhöhte sich etwa der Anteil mindestens einmal geimpfter Menschen bei den Erwachsenen um 3,2 Punkte.

Die neue Erhebung zeigt einmal mehr, wie wichtig eine verlässliche Meldung aller impfenden Stellen im Rahmen des DIM ist. Das wird auch in der Studie betont. Nur so lasse sich der Impffortschritt in den jeweiligen Altersgruppen valide abbilden.