Tina testet

Wie schmeckt eigentlich Berlin? In diesem Sommer auf jeden Fall nach Tacos

Dieser Sommer schmeckt mexikanisch, findet unsere Kolumnistin. Und empfiehlt uns die Taqueria in der Markthalle Pfefferberg

Exil-Mexikaner behaupten, in der Taqueria el Oso gäbe es die einzig ernstzunehmenden Tacos von Berlin.
Exil-Mexikaner behaupten, in der Taqueria el Oso gäbe es die einzig ernstzunehmenden Tacos von Berlin.Taqueria el Oso

Kürzlich fragte mich ein israelischer Koch: Wie schmeckt eigentlich Berlin? Seltsame Frage, dachte ich. Er sprach nur wenig deutsch, vielleicht hatte er die Frage daher so formuliert. Doch er führte weiter auf Englisch aus, dass er oft hier essen gehe und noch immer nicht sagen könne, was typisch in Berlin sei. Anders die bayerische Küche. Die sei mit Würsten, Schweinsbraten und Knödeln klar umrissen und präge damit für viele im Ausland das Bild von deutschem Essen schlechthin. Bei der Berliner Küche jedoch suche er noch nach ihrem Kern.

Ich wusste nicht, was ich ihm antworten sollte. Unmöglich sich festzulegen. Berlin bietet so vieles und verändert sich ständig. Auf traditionelle Gerichte wie gepökeltes Eisbein mit Erbspüree, Buletten und Leber Berliner Art zu verweisen, die zwar zur Geschichte der Stadt gehören, aber heute ein Nischendasein fristen, greift viel zu kurz.

Nostalgie und Bewunderung

Auch Currywurst-Metropole war einmal. Wie also schmeckt Berlin heute? Gibt es so etwas wie einen Kern? Diese Frage hat mich nicht losgelassen. Bei einem meiner letzten Cafébesuche fiel mir zufällig eine Sonderausgabe des englischsprachigen „ExBerliner“ in die Hände. 20. Geburtstag feiert dieses Magazin, das von Expats in Berlin herausgegeben wird. Darin fand ich einen Text der Food-Kritikerin Jane Silver, die ich sehr schätze. Sie hatte 20 Gerichte aus zwanzig Jahren seit Heftgründung zusammengestellt, die ihrer Meinung nach die Art, wie wir in Berlin essen, für immer verändert haben.

Die Liste las sich wie die Geschichte vom kulinarischen Aufstieg Berlins: vom noch osteuropäisch geprägten, kulinarischen Underdog zur international gefeierten Food Metropole. Es waren viele schöne Erinnerungen dabei. Der Text begann 2002 mit den Pelmenis im Café Pasternak, die für mich damals, frisch aus München zugezogen, ebenfalls eine Offenbarung waren.

Weiter ging es mit den ersten wirklich mexikanisch schmeckenden Burritos von Dolores und der Revolution des Döners durch Mustafa’s Gemüsekebap über den gegrillten Kopfsalat im Grill Royal und dem Pulled Pork Sandwich von Big Stuff beim Street Food Thursday in der Markthalle Neun bis hin zu den geschleuderten Nudeln von Chungking und Wen Cheng.

Ich verschlang den Text begeistert, erfüllt von Nostalgie und Bewunderung für die Gastronomie dieser Stadt. Da war sie, die Antwort auf die Frage des israelischen Kochs! Der Kern Berlins ist die Veränderung. Die Stadt, die immer wird und niemals ist. Angetrieben durch so viele unterschiedliche Menschen aus aller Welt, die zum Glück noch immer von der Magnetwirkung Berlins angezogen werden.

Natürlich dachte auch ich zwangsläufig nach, was und wer es bei mir in diesem Jahr auf die Liste der geschmacksprägenden Gerichte geschafft hätte. Für das Jahr 2022 und darüber hinaus setzt Jane Silver nämlich ein großes Fragezeichen. Die Foodszene, schreibt sie, werde gerade in so viele unterschiedliche Richtungen gezogen. Es sei unmöglich, einen Trend auszumachen.

Regelrechter Inkubator

Das stimmt natürlich. Ich jedoch sehe zur Zeit eine Aromenrichtung stilprägend, die bisher nicht zu meinen Favoriten zählte. Ich spreche von mexikanischen Einflüssen, die in diesem Berliner Sommer auf einmal nicht mehr wegzudenken sind. In der hier kürzlich besprochenen, leider nun geschlossenen Sommerresidenz des Fish Klubs aß ich etwa eine Tostada, die für mich sicher einen Platz auf der Liste bekommen hätte: eine dicke, crunchige Mais-Tortilla, belegt mit den fleischigsten Shrimps, die ein wunderbares Holzgrill-Aroma verströmten und beim Reinbeißen vor lauter Soße nur so trieften. Ein echter Mexikaner namens Francisco Hernández war der dortige Küchenchef.

Ebenfalls mexikanisch inspiriert ist derzeit die Küche im veganen Zero-Waste-Restaurant Frea, was am neuen Küchenchef Franco Hinojosa liegt. Seine kaffeeglasierte Aubergine, die mit einem mexikanischen Gewürzsalz eingelegt war und durch Koji-Fermentation eine fast fleischige Anmutung hatte, gehört für mich ebenfalls auf die Liste. Auch, weil sie ausschließlich vegan zubereitet ist und in der Küche des Frea schon per Mission-Statement kein Abfall anfällt.

Ein regelrechter Inkubator für mexikanisches Essen in Berlin ist seit letztem Sommer auch die Markthalle Pfefferberg. Ein mexikanischer Bekannter von mir behauptet sogar, hier gäbe es die einzig ernstzunehmenden Tacos in Berlin. Denn unten den schönen Gewölbebögen befindet sich hinter dem Shop von Taco Tales, der mexikanische Zutaten, Kochbücher und -utensilien vertreibt, die Taqueria el Oso. Tatsächlich verkörpern die Tacos hier für mich auch den aktuellen Geschmack Berlins. Besonders die Campechanos − Tacos, die sowohl mit Schwein oder Rind als auch Chorizo gefüllt werden und mit Zwiebeln, Limette und einer der höllenscharfen hausgemachten Saucen abgeschmeckt werden − sind wunderbar. In Mexico Stadt sind sie an jeder Straßenecke zu finden.

Ebenso wie Birria, was es in der Taqueria el Oso immer sonntags gibt. Im Original wird dieses Schmorgericht aus Ziegenfleisch gemacht, das in einer Soße mit vielen Gewürzen und gekochtem Chili im Ofen gegart wird. Für Berliner Mägen greifen sie hier jedoch lieber auf geschmorten Ochsenschwanz zurück, der getoppt von Zwiebeln, Koriander, Chili und saurer Sahne auf Tortillas serviert wird. Um Berlin heute zu verstehen, muss man hier essen. Die Stadt schmeckt zur Zeit eben auch ein bisschen nach Mexikos Straßen. Vielleicht sollte ich das dem israelischen Koch antworten.

Taqueria el Oso in der Markthalle Pfefferberg.

Schönhauser Allee 176, 10119 Berlin. Di–So 12–22 Uhr.