Dienstagabend in der Leberstraße 57. Draußen rauscht der Verkehr, drinnen herrscht Stille. Tomasz Dorniak steht hinter dem Tresen seiner Eisenwaren.Bar auf der Roten Insel in Berlin-Schöneberg, wischt Gläser, blickt auf leere Stühle. „Manchmal frage ich mich, ob dieser Laden wirklich eine Zukunft hat.“ Vor genau zehn Jahren gründete der 41-Jährige den Weinverein Rote Insel, schräg gegenüber seiner neuen Eisenwaren.Bar.
Deren Geschichte begann im Jahr 2021, mitten in der Corona-Zeit. Als die Betreiber der Vorgängerkneipe Meisterstübchen aus den Mietschulden nicht mehr rauskamen, packte der Gastronom, damals noch mit Partner, die Gelegenheit beim Schopfe und übernahm die Räumlichkeiten.
Wenn Dorniak heute über die Eisenwaren.Bar nachdenkt, plagen ihn Zweifel. „Der Kiez braucht eine Kneipe, es haben hier so viele aufgegeben. Aber noch habe ich nicht das richtige Konzept gefunden.“ Es ist bereits der dritte Versuch, die ehemalige Raucherkneipe in die neue Zeit zu retten.
Der Name „Eisenwaren“ stammt von der alten Werbemalerei aus den 40er-Jahren, die nach der letzten Renovierung zufällig freigelegt und so zum Namensgeber wurde. Dorniak mag es, Relikte zu erhalten: „Ich mag Kontinuität. Berlin liebt den Wandel. Im Stadtbild findet man beispielsweise nur selten alte Reklame. Auch die Kiezkneipen verschwinden. Ich will diese hier retten und in die Gegenwart befördern. Für solche Erfolgsgeschichten gibt es Beispiele, etwa den Tresen Treff am Bayerischen Platz.“ Der Gastronom meint damit die alte Eckkneipe im Schöneberger Nachbarkiez, die sich mit guter Küche, ehrlichem Bier, engagierten Gastronomen und einem neuen Konzept durchsetzen konnte. Dorniak schwebt eine ähnliche Story vor.
Vorerst bleibt die Eisenwaren.Bar für Laufkundschaft geschlossen – geöffnet wird nur für private Veranstaltungen, das macht die Kosten überschaubar. Dorniak tüftelt an einem neuen Konzept. Mehrere Versuche, eine allgemein zugängliche Kiez-Kneipe zu betreiben, sind bislang gescheitert. „Der Verlust war zu hoch mit den Personalkosten, kein Konzept trug Früchte.“

Der Mann, der in Berlin den Wein vom Sockel stieß
Wer Dorniak kennt, weiß: Er ist kein gewöhnlicher Kneipier. Als er 2015 seinen Weinverein in Schöneberg eröffnete – heute eine nicht wegzudenkende Institution im Schöneberger Kiez –, war das ein Durchbruch. „Wir sind die Sozialisten unter den Weinbars“, sagt Dorniak lachend. Seine Idee: faire Preise, ein einziges Weingut auf der Karte (in Berlin ist das eher unüblich), einfache Speisen in Topqualität und ein Ort, der für alle offen ist – nicht nur für die Schickeria. Käse aus dem Frischeparadies, Wurstwaren von der Metzgerei Bünger aus Halensee, Brot vom Bäcker Mann aus Friedenau.
Die Idee, mit nur einem Weingut zusammenzuarbeiten, kam aus Rheinhessen, wo Dorniak als Schüler das Weingut Stallmann-Hiestand kennen und lieben lernte. „In Berlin habe ich verstanden, dass Wein politisch ist“, erzählt er rückblickend. „In Rheinhessen, wo ich herkomme, waren Weinstuben einfache Orte sozialer Durchmischung, voll reger Diskussion. In Berlin waren es elitäre, gehobene Lokale. Daher auch der Name ‚Weinverein‘. Vereine sind inklusiv. Die hiesigen Weinlokale waren eher exklusiv.“
Heute betreibt Dorniak zwei Weinvereine – in Schöneberg und Kreuzberg – und bleibt seiner Linie treu: nur Weine von Stallmann-Hiestand, Gläser ab 4,50 Euro, Flaschen ab 24 Euro. „Wein soll niedrigschwellig sein. Es geht um Begegnung, nicht Kommerz“, sagt Dorniak, der Osteuropastudien betrieben hat und über Umwege Gastronom wurde. „Ich setze gern neue Gäste an belegte Tische. So entstehen Gespräche, Freundschaften, manchmal sogar Ehen.“ Sein in Teilen langjähriges Team erhält einen Stundensatz über Mindestlohn.
Am 13. November feierte der Weinverein sein zehnjähriges Bestehen. „Ich denke schon, dass wir Berlin bereichern“, sagt Dorniak. Nur: Was wird aus der Eisenwaren.Bar? Dorniak hat viel Herzblut investiert – bislang ohne Erfolg. Ein Laden, der einfach nicht ins Rollen kommt.
Der erste Versuch hieß Chateau Kaputt – eröffnet im Oktober 2021, kurz nach dem ersten Lockdown. „Ich wollte etwas Neues wagen“, erzählt Dorniak. Mit dem Projekt wollte er die ehemalige Raucherkneipe Meisterstübchen retten, wo Männer hinter gelbem Milchglas frisch gezapftes, extrem günstiges DAB tranken. „Da saßen früher die Bordsteinschwalben und die Tresen-Trinker. Ich mochte das, aber das Publikum starb langsam aus. Am helllichten Tag trinken heute zu wenige Menschen hinter Milchglasscheiben. Auf der Roten Insel haben in zehn Jahren mindestens vier Kiezkneipen aus verschiedenen Gründen geschlossen.“
Gemeinsam mit Apo, dem Späti-Betreiber gegenüber, startete Dorniak das Projekt. Sie frischten die Bar mit zwei älteren Herren aus dem Kiez auf, Klaus und Olaf, die ihr Leben in der Nachbarschaft und auch in der Kneipe Meisterstübchen verbracht hatten. Es gab eine neue Getränkekarte, auch neue Speisen. Der Kern des Konzepts: „Es gab zwei Karten: Die Chateau-Karte bot französische Bistroklassiker wie Croque Monsieur und Schampus, die Kaputt-Karte Berliner Klassiker wie etwa Boulette oder Herrengedeck.“
Doch die Idee zündete nicht. Im Winter lief es zwar gut, im Sommer aber fehlte Außenfläche – und die zwei riesigen Milchglas-Fenster ließen sich nicht öffnen. Ab dem Frühling fehlten Licht, Luft und Gäste. Dorniak versuchte, die Sommerzeit mit Eisverkauf zu überbrücken, mit mäßigem Erfolg. Das Chateau war Geschichte.

Zwischen Resignation und Aufbruch
Aufgeben war trotzdem keine Option. „Ich dachte mir: Dann verschwindet die nächste Kiezkneipe. Dann steht hier noch ein Büro. Das wollte ich nicht zulassen.“ Sein Partner stieg aus, Dorniak baute um, in der Hoffnung, profitabel zu werden. Der in den Raum hinein thronende Rundtresen wurde modernisiert, bodentiefe Fenster wurden eingesetzt, die man im Sommer öffnen kann und die den Innenraum in eine Terrasse verwandeln.
Dorniak fand während der Renovierung die „Eisenwaren“-Reklame und benannte das Projekt um, strich Speisen bis auf zwei Panini, setzte neben Bier auf Prosecco vom Fass, bot etliche Spritz-Varianten. Und wieder kein Durchbruch. Der Sommer war mau, die Kosten explodierten, er schloss die Eisenwaren.Bar wieder. „Vielleicht brauche ich jemanden, der mitdenkt, der kocht, der sich beteiligt, der mit mir gemeinsam diesen Laden retten will?“
Die große Frage: Was will Berlin?
Corona hat Spuren hinterlassen. „Die Leute feiern weniger gemeinsam, weniger hemmungslos. Der anständige Rausch gerät ein bisschen aus der Mode, das merkt man.“ Muss man sich auf eine Generation vorbereiten, die die Kiezkneipe nicht mehr braucht? Dorniak ist sich nicht sicher. Gegenüber im Weinverein wird immer noch viel gegessen und getrunken. „Ich glaube, mir fehlt nur das richtige Angebot. Das macht mich wahnsinnig.“ Trotzdem bleibt er seiner Mission treu: soziale Räume schaffen, Orte, an denen Menschen sich begegnen.
Am Wochenende zieht es ihn nach Brandenburg, wo er einen Rückzugsort aufbaut – zunächst privat, später vielleicht für Künstler und Gäste. Dorniak, der Mann mit den polnischen Wurzeln, ist ein Überzeugungstäter. Er will die Welt ein Stückchen besser machen. Auf seine Weise.

„Ich glaube an Begegnungen. Orte, wo sich Menschen, Meinungen mischen, wo nicht alles durchgestylt ist.“ Auch die Eisenwaren.Bar sollte so ein Ort sein. Derzeit kann man die Kneipe ausschließlich für private Veranstaltungen mieten, für Geburtstagsfeiern und Firmenevents. Anfragen für die Weihnachtszeit sind willkommen, sagt Dorniak (E-Mails an: info@weinverein.berlin).
Das Catering kommt vom Weinverein Schöneberg, auf Wunsch mit abgesprochenen Speisen. „Wir hatten Drei-Gänge-Menüs. Wenn die Leute hier sind, lieben sie das. Die Speisen koche ich im Weinverein, in der Eisenwaren.Bar werden sie erwärmt und serviert.“ Bis zu 40 Gäste könne er mit seinem Team in seinem neuen Laden bewirten. Vielleicht liegt die Zukunft in solchen Formaten? „Eigentlich will ich täglich öffnen. Mein vorläufiger Plan ist, nächstes Jahr eine polnische Speisewirtschaft in der Eisenwaren.Bar aufzumachen. Mal schauen. Vielleicht fehlt dem Kiez genau das.“
Zehn Jahre Weinverein – und ein offenes Ende
Der Gastronom will nicht aufgeben, er ist gerne im Kiez und glaubt an die Zukunft seines dritten Ladens. Die Erfolge seiner beiden Weinvereine geben ihm recht. „Das beruhigt“, sagt er. Er schaut auf die alten Eisenwaren-Buchstaben über der Tür seines Ladens. „Ich will weitermachen.“ Tomasz Dorniak ist ein Kämpfer für eine Idee: dass es in Berlin Orte des Konsums gibt, die offen, bezahlbar, menschlich und dennoch profitabel sind. Das treibt ihn an.
Ob die Eisenwaren.Bar eine Zukunft hat? Die nächsten Monate werden es zeigen. Doch wer Dorniak kennt, weiß: Er gibt erst auf, wenn es nicht anders geht. „Noch einen Versuch habe ich“, sagt er sich und fügt dann hinzu: „Das habe ich vor der letzten Renovierung auch schon gesagt.“





