Tina testet

Sie glauben, es gibt keine gute Balkanküche in Berlin? Wir belegen das Gegenteil

Wir alle kennen die Schlachteplatte mit gegrilltem Schweinefleisch, Zwiebeln und Pommes aus dem Balkan-Grill. Nur, gibt es jugoslawische Küche auch in Edel? Ja!

Fine Dining trifft rustikale Balkan-Küche: Ein edler Fischgang vom Wolfsbarsch im Tante Fichte.
Fine Dining trifft rustikale Balkan-Küche: Ein edler Fischgang vom Wolfsbarsch im Tante Fichte.Nils Hasenau

Als meine Eltern 1969 heirateten, luden sie ihre sehr überschaubare 13-köpfige Hochzeitsgesellschaft zum Jugoslawen ein. Das Restaurant hieß Bosna, sagt meine Mutter. Sarajevo, sagt mein Vater. Wie auch immer, es muss jedenfalls eines der ersten jugoslawischen Restaurants in Süddeutschland gewesen sein. Die jeweiligen Schwiegereltern waren damals natürlich schockiert. Sie hatten keine Ahnung, was sie da vorgesetzt bekamen: Ražnjići, Ćevapčići, Ajvar, Djuvec Reis, das klang für sie eher nach einer Kriegserklärung.

Doch meine Eltern waren jung, sie wollten kein spießiges deutsches Essen, und jugoslawisches Essen war damals der heißeste Scheiß. Ich war ganz offensichtlich nicht dabei. Mein Onkel aber schon. Bei jedem Familientreffen erzählt er, der selbst ausgebildeter Koch war, er habe noch nie so viel gegessen wie auf der Hochzeit meiner Eltern.

Brandenburger Fenchel mit Joghurt und grünem Fenchelsorbet.
Brandenburger Fenchel mit Joghurt und grünem Fenchelsorbet.Nils Hasenau

Die jugoslawische erreichte als erste Ethno-Küche Deutschland. Inzwischen ist sie im Gegensatz zur italienischen und griechischen aber fast wieder verschwunden, was nicht nur daran liegt, dass auch das von Diktator Tito zusammengekleisterte Land Jugoslawien nicht mehr existiert. Es gibt leider wenige kroatische, mazedonische, bosnische, serbische oder slowenische Restaurants in der Nachfolge und kaum welche, die die Balkan-Küche in die heutige Zeit oder gar eine gehobene Liga katapultieren.

Es gibt kaum gute Kroaten, Bosnier und Serben in Berlin

Gerade jedoch durfte ich in Berlin eine Ausnahme kennenlernen. Eine, die mich, was Anspruch, Ausführung und Ess-Vergnügen angeht, vollkommen umgehauen hat. Ich spreche vom Speiselokal Tante Fichte, dessen Name etwas irreführend ist. Es wurde mitten im Lockdown eröffnet. Ich hatte mir irgendwann mal eine Foodbox abgeholt, die gut war, aber ebenso wie der Name nicht erahnen ließ, was Dominik Matokanovic, ein Westfale mit kroatischen Wurzeln, wirklich drauf hat.

In Berlin hatte er unter Christian Lohse im Fischers Fritz gekocht, in München unter Bobby Bräuer. Doch keiner dieser zweifach dekorierten Sterneköche hatte Matokanovics wahres Potenzial gehoben. Das gelang erst mit dem Gastronom Michael Köhle. Der Tante-Fichte-Betreiber Köhle lässt Dominik Matokanovic endlich machen. Das Ergebnis ist ein von Berlin inspiriertes, kroatisches Fine Dining, als Menü in fünf bis sieben Gängen serviert, die nicht weniger als phänomenal schmecken.

Macht hier das, was er am besten kann und von dem es viel zu wenig in Berlin gibt: exzellente Balkanküche von Dominik Matokanovic.
Macht hier das, was er am besten kann und von dem es viel zu wenig in Berlin gibt: exzellente Balkanküche von Dominik Matokanovic.Nils Hasenau

Die zwei Welten spiegeln sich schon in den exzellenten Ausgangsprodukten wieder, die zum einen möglichst aus Berlin und seinem Umland bezogen werden. Zum anderen hat das Fichte-Team Quellen in der zweiten Heimat des Kochs, Kroatien, aufgetan, wo sie kürzlich alle gemeinsam hinfuhren.

Ćevapčići vom Reh mit kleinen Pfannkuchen

Ein Palatschinken, in den der Gast selbst ein feines Ćevapčići vom Brandenburger Reh mit süßlich marinierten Zwiebeln, sahnigem Kajmak und scharfer Ajvar rollt, macht den Auftakt. Nach dieser Hommage ans alte, klassische Repertoire der Balkan-Küche überrascht der Koch mit einem Wolfsbarsch aus dem kroatischen Küstenort Poreč, und zwar Sashimi Style, also vollkommen roh und nur mit bestem Olivenöl, Salz und Zeste beträufelt. Die wunderbare Salzigkeit unterstützen Kapern und Meerfenchel von der Insel Pag.

Für das Dessert war leider kein Platz, aber den können Sie ja dann freihalten.
Für das Dessert war leider kein Platz, aber den können Sie ja dann freihalten.Nils Hasenau

Unvergesslich, weil vollkommen neu im Geschmack, ist auch der Gang danach: ein leicht sauer eingelegter junger Fenchel vom Brandenburger Bauern Peter Janoth im Joghurt mit Salz, Pfeffer und Walnüssen abgeschmeckt und einem Sorbet aus dem Grün des Fenchels. Nach diesem fast dessertähnlichen Einschub folgt Brot. Selbstverständlich hausgebacken, hier aus Kartoffeln mit einem Hauch Süden gewürzt, nämlich Rosmarin und Thymian.

Ebenso sonnig geht es mit den Aromen weiter. Als nächstes folgt ein Rizot, die kroatische Version eines Risotto. Unfassbar cremig, weil unter die Dinkel- und Gerstengraupen ein üppiger Schafskäse aus Istrien namens Paski Sir gerührt wird, dessen salzhaltige, kräuterige Note von erdiger Roter Bete gezähmt wird.

Dominik Matokanovics hat es einfach drauf

Tatsächlich steigert sich der Koch danach noch weiter. Ich bekomme das beste Fischbrötchen, das ich je gegessen habe: Es heißt Pohani kruh und ist eine Art French Toast, also ein Milchbrötchen mit Ei in der Pfanne gebraten. Belegt ist es mit Incuni. Ich lerne, das ist kroatisch für Ölsardellen, die mit karamellisierten Zwiebeln und – wer möchte und gegen Aufpreis – einem Klecks Imperial Kaviar kombiniert werden.

Eigentlich wünscht man sich hier, jeder Teller möge ein Hauptgang sein, so gut schmeckt alles. Gang für Gang denke ich, besser wird’s nicht, und dann folgt eine weitere Überraschung. Das, was ich als einen der beiden Hauptgänge interpretiere, ist ein Reh aus der Schorfheide. Ich würde sagen, es schmeckt wie ein Gulasch der feinsten Art. Cobanac, Hirteneintopf, nennt man es in Slawonien, die Aromen sind ebenso vielschichtig wie kräftig: Neben dem Reh, von dem hier ein Ragout aus dem Halsfleisch gekocht wird, sind es Paprika, Rotwein, Zwiebeln, Wacholder, Lorbeer, getoppt von einem Tataki-Style-Schinken aus der rohe Rehkeule, Kartoffeln als hauchfeine Chips mit Trüffeln und Kapuzinerkresse.

So haben Sie Reh noch nie gegessen: Brandenburger Böckchen trifft auf Balkanaromen.
So haben Sie Reh noch nie gegessen: Brandenburger Böckchen trifft auf Balkanaromen.Nils Hasenau

Danach folgt noch ein „besoffener Fisch à la Pijani Saran“, auch ein klassisches Gericht aus Kroatien, wie ich lerne, bei dem eigentlich ein Karpfen mit viel Weißwein im Ofen gegart wird. In Matokanovics moderner Version wird der Karpfen durch ganz kurz gebratenen Zander ersetzt, den er mit einem wunderbaren Kartoffel-Möhrenstampf sowie einer Weißwein-Fisch-Velouté serviert und dazu noch alles an Pilzen auftischt, was der Wald gerade hergibt: Steinpilze, Pfifferlinge und Krause Glucke.

Begeisterung wirkt nach!

Wieder mal bleibt fürs fantastische Dessert nicht genügend Platz. Diesmal nicht nur beim Schreiben, tatsächlich auch im Magen. Denn trotz aller Finessen wird hier keine Pünktchen-und-Stäubchen-Küche aufgetischt.

Ich bin begeistert von der spielerischen Art, wie Dominik Matokanovic mit den alten Traditionen umgeht. Im Tante Fichte bringt er so viele neue Ideen und kräftige Aromen auf die Teller, selbst eine klare Einteilung in Vor-, Zwischen- und Hauptspeisen fällt hier schwer. Für mich ist es die erste wirkliche Neuinterpretation der Balkan-Küche und vollkommen klar: Beim nächsten Besuch meiner Eltern werde ich sie hierhin führen.

Tante Fichte Speiselokal. Fichtestraße 31, 10967 Berlin, Preise: 7-Gänge-Menü 118 Euro, 5-Gänge 88 Euro. Geöffnet: Mittwoch bis Samstag 18 bis 22 Uhr.