Kürzlich las ich ein Interview mit Bully Herbig, in dem er beschreibt, wie er einen seiner erbittertsten Kritiker um ein persönliches Treffen bat. Dieser Mann hatte gerade zum ersten Mal etwas Nettes über einen seiner Filme geschrieben. Herbig erzählt, der Kritiker habe dankend abgelehnt – mit dem Hinweis, er wolle die Filmemacher nicht kennenlernen, weil er Angst habe, dass er sie dann mögen könnte. Oh wie gut ich diesen Mann verstehe.
Wer im Kritiker-Business unterwegs ist, weiß, wie schwer es ist, Distanz zu bewahren. Nicht von Sympathie oder persönlichem Hintergrundwissen geleitet zu werden, nicht von Voreingenommenheit oder auch der Sorge um das Echo eines Artikels. Nähe nimmt einem Kritiker die Freiheit – soviel ist klar.
Überschwängliche Begrüßung
Anders als in der Anonymität eines dunklen Kinosaals lassen sich im Restaurant direkte Kontakte zu Gastronomen, Köchinnen und Köchen sowie dem Personal kaum vermeiden. Alles andere wäre auch traurig. Denn neben dem Essen sind sie die eigentlichen Protagonisten, die über einen gelungenen Abend im Restaurant entscheiden. Ähnlich wie es im Film eine geniale Regie und schauspielerische Besetzung vermag.
Trotzdem versuche ich, meine Begegnungen zu minimieren. Ich verabrede mich nie mit Köchinnen und Köchen, wenn ich in ihrem Restaurant essen gehe. Wenn ich Fragen habe, schreibe ich ihnen oder rufe hinterher an. Auch reserviere ich stets unter Pseudonym und pflege keine Freundschaften zu Gastronomen. Doch natürlich kenne ich inzwischen einige von ihnen. Und sie mich.
Ich will daher nicht verheimlichen, dass mein Plan, anonym im Crackers zu essen, nicht aufging. Schon beim Reingehen wurde ich am Empfang so überschwänglich vom Restaurantleiter Marian Cocis begrüßt, dass ich sicher war, er habe mich erkannt. Allerdings beobachte ich, dass Marian zu jedem Gast sehr herzlich ist. Ohnehin scheint mir das gesamte Serviceteam hier nicht nur besonders kompetent, sondern auch phänomenal gut gelaunt, was sich direkt auf die Stimmung der Gäste überträgt.

Als im Laufe des Abends bei uns nicht nur – wie bei all den anderen Tischen – der Sommelier Jan Wienecke und der Barchef Dada Daoud vorbeischauten, sondern auch noch die Marketingchefin Marina Cid, der Koch Patrick Ziegert und schließlich auch noch Crackers-Inhaber Cookie persönlich, war klar, dass die Reservierung unter dem Namen meiner Freundin nichts gebracht hatte. Es kann also sein, dass mir die nötige Distanz beim Schreiben dieser Kritik ein wenig abhanden gekommen ist. Sicher ist aber auch, dass es an der Zeit war, meine Skepsis dem Crackers gegenüber zu überprüfen.
Ich war lange nicht hier gewesen. Früher, bevor Essen in Berlin das neue Ausgehen wurde, war dieser auf einem Podest erhöhte Gastraum mit seinen türkis gepolsterten Sitzen und goldenem Licht der stickig-schummrige Dancefloor des Cookies. Ein Club, den ich liebte.
Vom Rolling Pin Magazin zum Sous-Chef des Jahres gekürt
Vielleicht hatte ich dem Crackers nach seiner Eröffnung 2014 übel genommen, dass meine Clubzeiten endgültig vorbei waren. Jedenfalls fiel meine erste Kritik über das Crackers nicht sonderlich positiv aus. Ich fand es zu teuer, dafür das Essen nicht gut genug und die Karte zu angeberisch, weil sich darauf viele Edelprodukte wie Rinderfilet-Tartar, Jakobsmuschel, Périgord-Trüffel und Stör mit Beluga-Kaviar versammelten.
Doch all das ist lange, lange her. Seit diesem Mai hat das Crackers ein neues, junges Küchenteam unter der Leitung von Patrick Ziegert und dem Sous-Chef Felix Klawitter. Ziegert kocht schon seit längerem im Crackers, dort wurde er 2020 vom renommierten Rolling Pin Magazin zum Sous-Chef des Jahres gekürt.
Die Karte ist noch immer produktfixiert. Doch statt wie früher auf Edelwaren zu setzen, geht es heute viel mehr um exzellente Qualität: Das Fleisch stammt aus nahegelegener Freilandhaltung, der Fisch aus Wildfang oder streng ökologischen Aquakulturen, und von Frühjahr bis Herbst wird das Gemüse etwa vom Bauern Peter Janoth aus Krielow in Brandenburg bezogen. Seine zarten Wildkräuter serviert die Küche als Salat mit Zucchini und Johannisbeere. Besonders gepriesen werden auch seine Tomaten, die es bei meinem Besuch noch als Vorspeise gibt, mit Burrata und Pampelmuse als besonderem Twist.

Ich entscheide mich jedoch für die Krielower Karotten, wunderbar zarte, junge Möhrchen mit perfektem Garpunkt, zu dem der Küchenchef geröstete Haselnüsse und eine vegane, mit Aquafaba aufgeschlagene Yuzu-Mayo anrichtet. Tupfer von sauer-bitterem Yuzu-Gel verstärken die einzigartige Note dieser zwischen Mandarine und Grapefruit changierenden japanischen Zitrusfrucht. Nur was die Würzung der Karotten angeht, hätte die Küche einen mutigeren und gerne auch salzigeren Kontrapunkt setzen dürfen.
Etwas mehr Salz und in dem Fall auch Säure dürfte es auch beim Matjes sein, ein geschmacklich toller Wildfang aus Norwegen, der von Buttermilchsoße, Radieschen und Gurke umspielt wird. Eine gute Kombination, statt einer Salatgurke hätte jedoch eine sauer eingelegte Spreewaldgurke dem Gericht ruhig noch einen aromenkräftigeren Kick verpassen dürfen.
Doch das ist eine klitzekleine Detailkritik. Mehr als angetan bin ich von meinem Heilbutt in Beurre Blanc. Klingt erstmal langweilig, die Ausführung ist dank der Jalapeño-Infusion in der Soße und einem als Kimchi gebeizten Spitzkohl obenauf alles andere. Es ist unerwartetes, nachhaltiges Soulfood, das mit 34 Euro seinen Preis hat. Doch auch hier fällt das Crackers nicht mehr aus dem Rahmen, weil ringsum in Berlin die Gastronomie preislich gehörig angezogen hat.
Auch ist und bleibt das Essen hier, soviel Ehrlichkeit muss sein, stets nur ein Teil des Erlebnisses, für das man bezahlt. Cookies selbst sagt über das Crackers, es sei „ein Restaurant mit Bar, aber mit leichten Erinnerungen an einen Club“. Kann sein, dass ich ihm nun nach dem Mund rede. Aber für mich trifft es den Kern. Früher habe ich mich hier in dem von Körpern erhitzten Raum lebendig gefühlt. Heute ist der zwar perfekt klimatisiert, doch dank der einzigartigen Mischung aus Soulfood, Service, Sound und Stimmung noch immer verdammt belebend.






